Israel: Parlament billigt Teil der kritisierten Justizreform

    Einschätzungen und Reaktionen:Israel: Justizreform teilweise verabschiedet

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    Nun kann Israels Höchstes Gericht Entscheidungen von Volksvertretern nicht mehr auf "Angemessenheit" prüfen. Die Knesset hat ein Kernelement der Justizreform beschlossen.

    Trotz massiven Widerstands hat Israels Parlament ein Kernelement der umstrittenen Justizreform verabschiedet. 64 von 120 Abgeordneten stimmten nach tagelangen Debatten am Montag für einen Gesetzentwurf, der die Handlungsmöglichkeiten des Höchsten Gerichts einschränkt. Die Opposition boykottierte die Abstimmung.
    Das Gesetz ist Teil eines größeren Pakets. Kritiker stufen es als Gefahr für Israels Demokratie ein.

    Diese Konsequenzen hat das neue Gesetz in Israel

    Mit dem neuen Gesetz ist es dem Höchsten Gericht künftig nicht mehr möglich, eine Entscheidung der Regierung oder einzelner Minister als "unangemessen" zu bewerten.
    Kritiker befürchten, dass dies Korruption und damit auch die willkürliche Besetzung wichtiger Posten und Entlassungen begünstigt. Die Netanjahu-Regierung wirft der Justiz dagegen vor, sich zu sehr in politische Entscheidungen einzumischen.
    Israel-Experte Peter Lintl erklärt bei ZDFheute live: "Kritiker befürchten, dass hier ein Maß an Beliebigkeit nun in das Regierungshandeln einkehren wird". Zudem erläutert Lintl:

    Viele Expertinnen und Experten in Israel sehen die Gefahr, dass hochrangige Verwaltungsposten oder die Personen, die diese Ämter innehaben, sehr viel leichter gekündigt werden können.

    Peter Lintl, Stiftung Wissenschaft und Politik

    Das könne beispielsweise Ämter wie den Polizeichef betreffen, so Lintl.
    Sehen Sie hier weitere Einschätzungen von Peter Lintl bei ZDFheute live:

    Lintl: Einschränkung hat "weitreichende Konsequenzen"

    Weiter erklärt der Experte: "In Israel kontrolliert quasi nur das Oberste Gericht und die Generalstaatsanwältin das Parlament und die Regierung. Es gibt keine andere Mechanismen von Checks and Balances, wie wir sie in anderen Staaten kennen."
    Nur das Justizsystem schaue kritisch auf das Parlament und die Regierung. Eine zweite Kammer oder ein föderales System gebe es nicht.

    Und deswegen ist die Einschränkung dieser Kontrollfunktion so dramatisch und hat so weitreichende Konsequenzen.

    Peter Lintl, Stiftung Wissenschaft und Politik

    Der Staat Israel hat keine schriftliche Verfassung und fußt stattdessen auf einer Sammlung von Grundgesetzen.

    Israel: So reagiert die Bevölkerung auf die Reform

    Seit mehr als einem halben Jahr spaltet das Vorhaben weite Teile der israelischen Gesellschaft. Regelmäßig gehen Tausende Menschen gegen eine Schwächung der Justiz auf die Straßen.
    Auch am Montagabend nach dem Beschluss gingen die Proteste weiter. Tausende Israelis gingen auf die Straße. Laut "dpa" wurden landesweit mindestens 34 Demonstranten festgenommen und mehrere Menschen unter anderem durch den Einsatz von Wasserwerfern verletzt. In mehreren Orten kam es demnach zu Zusammenstößen zwischen der Polizei und Demonstranten.
    Bei einer Kundgebung in einem Ort nördlich von Tel Aviv raste ein Auto in die Menge. Drei Demonstranten wurden dabei laut Polizei verletzt. Die Sicherheitskräfte nahmen den Fahrer, dessen Motiv am Abend zunächst unklar war, nach einer Fahndung fest.
    Was steckt hinter der umstrittenen Justizreform und den Protesten? Ein Überblick:

    Justizreform: Widerstand im Militär und der Politik

    Zuletzt nahm auch der Widerstand innerhalb des Militärs zu. Mehr als zehntausend Reservisten kündigten an, nicht mehr zum Dienst zu erscheinen, sollte ein Teil der umstrittenen Pläne verabschiedet werden. Hunderte Rekruten unterschrieben eine Petition gegen das Gesetz. Auch aus der Wirtschaft und weiteren Teilen der Gesellschaft gab es solche Drohungen.
    Der Oppositionsführer Jair Lapid sagte am Montag: "Die Koalition feiert die Spaltung des Landes. Das ist kein Sieg der Koalition, das ist eine Niederlage für unser Land".
    Die Opposition werde am Dienstagmorgen beim Höchsten Gericht eine Petition gegen die "einseitige Aufhebung des demokratischen Charakters des Staates Israels" einreichen, kündigte Lapid an. Die Abgeordneten der Opposition boykottierten die Abstimmung, mehrere von ihnen riefen "Schande, Schande".

    Benjamin Netanjahu verteidigt Justizreform

    Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu begrüßte das knappe "Ja" als "notwendigen demokratischen Schritt".
    Dieser ermögliche der gewählten Führung das Regieren im Sinne der Mehrheit der Bürger, so Netanjahu in einer Ansprache. Die Erfüllung des Wählerwillens sei "das Wesen der Demokratie" - und nicht ihr Ende.

    USA und Deutschland äußern sich zu Justizreform

    Die USA kritisieren die Entscheidung des israelischen Parlaments ohne Zustimmung der Opposition. US-Präsident Joe Biden habe immer wieder deutlich zum Ausdruck gebracht, dass große Veränderungen in einer Demokratie einen möglichst breiten Konsens erforderten, um dauerhaft zu sein, teilte seine Sprecherin am Montag mit. Es sei "bedauerlich", dass das Votum "mit der geringstmöglichen Mehrheit" zustande gekommen sei.
    Auch die Bundesregierung reagierte besorgt. Aus dem Auswärtigen Amt hieß es:

    Wir bedauern sehr, dass die Verhandlungen zwischen Regierung und Opposition unter Vermittlung von Staatspräsident Isaac Herzog vorerst gescheitert sind.

    Auswärtigen Amt

    Deutschland blicke "mit großer Sorge auf die sich vertiefenden Spannungen in der israelischen Gesellschaft".
    Quelle: dpa, AFP, ZDF

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