Islamrat-Vorsitz: "Gefühl, dass Muslime verdächtigt werden"
Interview
Vorsitzender des Islamrats:"Gefühl, dass Muslime verdächtigt werden"
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Innenministerin Nancy Faeser hat zur Islamkonferenz eingeladen - dabei soll es auch um die Folgen des Hamas-Terrors in Israel gehen. Was erwartet der Islamrat von dem Treffen?
Gebetssaal in der Zentralmoschee in Köln-Ehrenfeld
Quelle: dpa
Vor der Deutschen Islamkonferenz in Berlin hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) von muslimischen Verbänden eine klare Verurteilung des Angriffs der radikalislamischen Hamas auf Israel gefordert. "Ich erwarte von den muslimischen Verbänden, dass sie sich ganz klar äußern und ihre Verantwortung in der Gesellschaft wahrnehmen", sagte sie im gemeinsamen Morgenmagazin von ARD und ZDF.
Der Islamrat verurteilt zwar den Terror der Hamas - wirbt aber zugleich für eine "differenzierte Betrachtungsweise" des Konflikts. Ihr Vorsitzender, Burhan Kesici, im ZDFheute-Interview:
ZDFheute: Herr Kesici, was erwarten Sie von der Islamkonferenz mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser?
Burhan Kesici: Nicht besonders viel, insbesondere, weil wir als muslimische Religionsgemeinschaften nicht bei der Vorbereitung mit dabei gewesen sind und vor allem auch nicht aktiv teilnehmen, sondern als passive Zuhörer da sind. Aber vielleicht ist das ein Signal für die Zukunft, dass man zukünftig besser zusammenarbeiten kann. Die DIK arbeitet im Bereich antimuslimischer Rassismus sehr gut und unterstützt viele Projekte.
Quelle: dpa
Burhan Kesici ist der Vorsitzende des Islamrats für die Bundesrepublik Deutschland. Er wurde 1972 in Berlin geboren und hat Politikwissenschaften studiert. Der Islamrat bietet Muslimen nach eigenen Angaben religiöse Dienstleistungen an und trägt dazu bei, ein Leben nach islamischen Vorschriften zu leben. Der Rat übernehme "gesamtgesellschaftliche Verantwortung".
... wurde 2006 als Forum für den Dialog zwischen Staat und Muslimen ins Leben gerufen. Gesprochen wird dort unter anderem darüber, wie muslimische Gemeinschaften anderen Religionsgemeinschaften wie den Kirchen gleichgestellt werden können. Etabliert wurden infolge der dortigen Beratungen in der Vergangenheit etwa islamischer Religionsunterricht oder Lehrstühle für Islamische Theologie an deutschen Universitäten.
ZDFheute: Die Bundesregierung hat ja eine klare Positionierung von den Islamverbänden gefordert, den Hamas-Terror zu verurteilen - fühlten Sie sich als Islamrat angesprochen?
Kesici: Nicht besonders, weil wir relativ früh über den Koordinationsrat der Muslime die Terroranschläge verurteilt und uns auch klar positioniert haben.
ZDFheute: Der Islamrat hat am 8. Oktober in einer Stellungnahme auf den Hamas-Terror reagiert und die Gewalt gegen die Zivilbevölkerung "auf beiden Seiten" kritisiert, sich aber nicht ausdrücklich gegen die Hamas-Attacken positioniert, das folgte erst am 22. Oktober. Da gab es eine Verurteilung der Hamas - deshalb wird Ihnen eine Art "Salamitaktik" vorgeworfen. Verstehen Sie das Misstrauen?
Kesici: Nein, wir haben uns schon klar gegen den Terror der Hamas geäußert. Sie müssen aber auch Folgendes verstehen: In Deutschland tun wir so, als ob der Konflikt am 7. Oktober begonnen hat. Und man möchte die Geschichte vorher gar nicht mitdiskutieren. Und vor allem auch das Drumherum nicht. Die Muslime sind mit der Problematik in Palästina seit über 50 Jahren konfrontiert.
Es gibt hier in Deutschland 500.000 Palästinenser, in den türkischen und arabischen Nachrichten hört man tagtäglich von den Auseinandersetzungen in Gaza und Palästina.
Aber wir waren uns auch im Klaren, dass eine Eskalation stattfinden wird. Mit der Presseerklärung haben wir versucht, auf beide Seiten Einfluss auszuüben, indem wir unsere Presseerklärung auch dementsprechend gestaltet haben.
Die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) gehört zu den einflussreichsten islamischen Organisationen in Deutschland. Laut des Islamrats für die Bundesrepublik Deutschland ist Milli Görüs sein "größtes Mitglied". IGMG hat nach Angaben deutscher Behörden sehr enge Bezüge zur Türkei. Dort wurde die gleichnamige islamische Bewegung in den 70er-Jahren von dem früheren türkischen Ministerpräsidenten Necmettin Erbakan gegründet.
Die IGMG unterhält nach eigenen Angaben 518 Moscheen, davon 323 in Deutschland. Die Zahl der Mitglieder in Deutschland liegt bei etwa 33.000 Menschen, schätzt die Konrad-Adenauer-Stiftung.
Kerngedanken der Ideologie sind die Schlüsselbegriffe "Milli Görüs" ("Nationale Sicht") und "Adil Düzen" ("Gerechte Ordnung"). Laut dem baden-württembergischem Verfassungsschutz strebt die Bewegung eine "gerechte Ordnung" auf islamischem Fundament an, die langfristig alle anderen, als "nichtig" erachteten politischen Systeme ablösen soll.
Immer wieder in der Kritik steht das antisemitische Weltbild des Gründers von Milli Görüs, Necmettin Erbakan. Nach Erbakans Tod 2011 ging die IGMG zwar dazu über, den Bezug auf ihn zu vermeiden. Dennoch werden seine Ansichten offenbar noch immer von Teilen der Bewegung geteilt. 2022 hat die IGMG einen Imam wegen antisemitischer Aussagen in einem Instagram-Video entlassen. Der Verfassungsschutz bezeichnet Milli Görüs als legalistische islamistische Organisation. Laut des nordrhein-westfälischen Innenministeriums ist das Ziel der Bewegung "mit den Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar".
Der Generalsekretär der IGMG, Ali Mete, hat den Großangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober als "terroristischen Anschlag" verurteilt. "Wir lehnen jede Art von Gewalt ab", sagte Mete. Der Verband war in die Kritik geraten, weil er sich erst spät von den Anschlägen kritisiert hatte.
ZDFheute: Der Islamrat betont immer wieder die mangelnde Anteilnahme in Deutschland am Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung in Gaza - auf der anderen Seite stehen die Gräueltaten der Hamas an israelischen Zivilisten, die den jetzigen Konflikt ja erst ausgelöst haben. Hat Deutschland aus Ihrer Sicht aus historischen Gründen eine zu einseitige Sicht auf die Dinge?
Kesici: Wir würden uns wünschen, dass man den Konflikt im Nahen Osten etwas differenzierter betrachtet. Selbstverständlich haben wir aus der deutschen Geschichte heraus eine besondere Verantwortung gegenüber unseren jüdischen Mitbürgern - auch gegenüber Juden weltweit.
Und dementsprechend ist es normal, dass man in der deutschen Debatte schaut, ob das Existenzrecht Israels bedroht ist oder nicht. Und was man für die Stärkung des Staates Israel tun muss. Das kann aber nicht heißen, dass man einen Persilschein ausstellt und die Aktion nach den Attentaten und nach dem Terroranschlag der Hamas gutheißt. Ich glaube, dass das kontrapoduktiv ist und wir sollten Israel darauf aufmerksam machen.
Und das ist genau das, was sich sehr viele in Deutschland auch wünschen. Wir sehen, dass man nach dem ersten Schock, den wir nach dem 7. Oktober gehabt haben, eine uneingeschränkte Unterstützung Israels verlangt wurde.
Deutschland sollte Israel als Freund auch auffordern, sich an das Völkerrecht zu halten.
Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland, verurteilt Antisemitismus als "Sünde".01.11.2023 | 7:49 min
ZDFheute: Der Islamrat hat von einem Generalverdacht gegen Muslime gesprochen. Was meinen Sie damit?
Kesici: Wir haben seit Wochen das Gefühl, dass wir als Muslime verdächtigt werden, Sympathien für den Terror der Hamas zu haben, dass wir es gutheißen. Und man legt uns ja nahe, dass unsere Distanzierung und vor allem auch Verurteilung immer einen Beigeschmack hat.
Aber wir fordern auch eine differenzierte Betrachtungsweise, insbesondere gerade, weil auch die Muslime ein Teil dieser Gesellschaft sind und vor allem sich auch deutlich gegen Antisemitismus und auch für das Existenzrecht Israels und Palästinas ausgesprochen haben. Das müsste man der Fairness halber auch wahrnehmen und schauen, wie man mit den Muslimen zusammen in Deutschland eine bessere Atmosphäre hinbekommt.
Das Interview führte Peter Böhmer, Korrespondent im ZDF-Landesstudio NRW.