Wie die EU mit Schnellverfahren Migration eindämmen will

    EU-Pläne zu Migration:Asylverfahren an Außengrenze: Was erlaubt ist

    Samuel Kirsch
    von Samuel Kirsch
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    Im Asylrecht stehen die Zeichen auf Verschärfung, auch auf EU-Ebene. Eine Maßnahme: Mehr Verfahren an den Außengrenzen. Dabei gelten besondere rechtliche Vorgaben.

    Migranten warten am Hafen auf der sizilianischen Insel Lampedusa am 14.09.2023 auf ihre Überführung auf das Festland.
    Migranten auf der sizilianischen Insel Lampedusa (Archivbild)
    Quelle: Reuters

    Geht es nach den Regierungen der EU-Staaten, setzt die EU in Zukunft verstärkt auf Verfahren an den Außengrenzen der Union. Für Asylsuchende, die aus Drittstaaten mit einer unionsweiten Anerkennungsquote von weniger als 20 Prozent kommen, sollen diese beschleunigten Grenzverfahren ohne Einreise in die EU verpflichtend sein.
    Binnen fünf Tagen soll sich für Ankommende zunächst in einem "Screening" entscheiden, ob es für sie mit einem Asylverfahren oder mit einer Rückführung weitergeht. Auch das eigentliche Asylverfahren soll an der Grenze in einer Transitzone stattfinden können und nicht länger als zwölf Wochen dauern.
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    Kritik von Menschrechtsorganisationen

    Die Zustimmung des EU-Parlaments zu den Plänen steht noch aus, die Stoßrichtung aber ist klar: Mehr Verfahren möglichst zügig an den Außengrenzen abzuwickeln und Migranten gegebenenfalls schon dort abzuweisen, soll zu weniger Flüchtlingen in der EU und zu weniger Binnenmigration von einem EU-Staat in den anderen führen.
    Menschenrechtsorganisationen kritisieren die Pläne, fürchten Grenzlager, in denen Flüchtlinge abgefertigt werden, ohne ihre Rechte effektiv ausüben zu können.
    Auf dem Bild sieht man den Schalt-Gesprächspartner Klaus Brodbeck.
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    Müssen Asylsuchende in die EU gelassen werden?

    Schon heute ist es nach EU-Recht möglich, Verfahren in einer Transitzone vor der eigentlichen Einreise in die EU durchzuführen. Auch an deutschen Flughäfen werden sogenannte Flughafen-Asylverfahren bereits praktiziert.
    Die Asylsuchenden sind dabei zwar offiziell noch nicht in einen EU-Staat eingereist. Trotzdem ist der Staat, auf dessen Territorium die Transitzone liegt, für die Asylsuchenden verantwortlich und muss ihre Grund- und Menschenrechte beachten.
    Dazu gehört auch bei künftigen Grenzverfahren die Garantie, sich gegen eine Behördenentscheidung vor Gericht wehren zu dürfen. "Es muss nach der Europäischen Menschenrechtskonvention und der EU-Grundrechtecharta Zugang zu einer effektiven gerichtlichen Überprüfung gegen eine Zurückweisung bzw. Ablehnung geben", so Mattias Wendel, Professor für Europäisches Recht und Migrationsrecht an der Universität Leipzig.

    Dieser Rechtsschutz muss grundsätzlich in der EU gewährt werden. Asylantragsteller darauf zu verweisen, den Rechtsweg von Drittstaaten aus zu betreiben, daran habe ich große Zweifel.

    Mattias Wendel, Experte für Migrationsrecht

    Rückführung erst wenn Beschwerdeverfahren abgeschlossen möglich

    Asylsuchende, die gegen ihre Ablehnung klagen, dürften demnach erst zurückgeführt werden, wenn das gerichtliche Beschwerdeverfahren abgeschlossen ist. Auch diese gerichtlichen Rechtsschutzverfahren sollen innerhalb der zwölf Wochen, die für das Grenzverfahren vorgesehen sind, ablaufen.
    Die genaue Umsetzung liegt bei den Mitgliedstaaten. Bei hohen Flüchtlingszahlen stehen sie damit vor einer großen organisatorischen Herausforderung.

    Dürfen Flüchtlinge festgesetzt werden?

    Um das Grenzverfahren durchzuführen, können Asylsuchende im Bereich einer Transitzone festgehalten werden. Je nachdem, wie die konkreten Bedingungen vor Ort sind, kann es sich dabei nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs um eine freiheitsentziehende Haft handeln.
    Eine Inhaftierung von Asylsuchenden ist nach der Europäischen Menschenrechtskonvention zwar zulässig, um unerlaubte Einreisen zu verhindern. Nach geltendem EU-Recht darf Haft allerdings nicht pauschal für alle Ankommenden vorgesehen sein, sondern muss einzeln angeordnet werden. Auch das erhöht den organisatorischen Aufwand für die Grenzverfahren.

    Mindeststandards gelten auch in Notsituationen

    Staaten, die Asylsuchende unterbringen, müssen außerdem humanitäre Mindeststandards einhalten. Dagegen verstieß etwa Italien im Jahr 2011, als infolge des "Arabischen Frühlings" Zehntausende Migranten aus Nordafrika auf die italienische Insel Lampedusa kamen.
    Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verurteilte Italien 2015 dafür, die Flüchtlinge unter unzumutbaren hygienischen Verhältnissen und ohne Informationen darüber, was mit ihnen passieren würde, in streng bewachte Lager gesteckt zu haben, und stellte klar:
    Auch in Extremsituationen, in denen der Aufnahmestaat mit einer großen Zahl an Ankommenden heillos überfordert ist, muss er die Menschenwürde der Flüchtlinge achten.
    Samuel Kirsch arbeitet in der ZDF-Redaktion Recht und Justiz.

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