Schutzbedürftige aus Afghanistan:Bundesregierung scheitert an Versprechen
von Julia Theres Held und Salim Sadat
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Vor einem Jahr hat die Bundesregierung angekündigt, pro Monat 1.000 Schutzbedürftige aus Afghanistan zu holen. Gekommen sind bisher 13 Personen.
Afghanische Familien dürfen nach Deutschland einreisen, ihre volljährigen Kinder jedoch müssen in der Heimat bleiben und um ihr Leben fürchten.17.10.2023 | 2:36 min
Eine Gemeinschaftsunterkunft des Deutschen Roten Kreuzes in Bergisch Gladbach. Vor zweieinhalb Wochen sind die Amiris* hier angekommen. Vater, Mutter und vier Kinder.
Noch immer stehen die Koffer unausgepackt in der Ecke. Darin alles, was ihnen aus ihrem alten Leben geblieben ist. Tochter Samira* sagt:
BAP: Hoffnung für Afghanen
Verfolgt von den Taliban hatten die Amiris eine Aufnahmezusage aus Deutschland bekommen. "BAP" steht jetzt in ihrem Pass. Es ist die Abkürzung für ein großes Versprechen, das Deutschland Afghanistan nach dem übereilten Abzug aus dem Land gegeben hatte, das sogenannte Bundesaufnahmeprogramm.
1.000 besonders schutzbedürftige Afghanen und Afghaninnen sollten jeden Monat mit diesem Programm nach Deutschland kommen dürfen - unbürokratisch und schnell. Als es vor genau einem Jahr verkündet wird, sind die Erwartungen im Land groß.
Aufnahmeprogramm: Gerade mal 13 Personen angekommen
"An dem Tag, an dem das Programm angekündigt wurde, war es auch in Afghanistan überall in den sozialen Medien", berichtet Therese Herrmann von der Hilfsorganisation Kabul Luftbrücke.
"Wir haben direkt in den ersten Tagen über 40.000 Nachrichten bekommen. Zuschriften und Gefährdungsanzeigen von Personen, die große Hoffnungen in das Programm gesetzt haben."
Ein Jahr später allerdings ist die Bilanz bitter: Gerade mal 13 Personen sind über das BAP bislang in Deutschland angekommen. Etwa 0,1 Prozent also des selbsterklärten Ziels.
Die Amiris gehören dazu und können es nach wie vor kaum glauben. "Es ist wie ein Wunder", so Samira. "Wir kennen so viele andere Familien, die seit Monaten warten und langsam jede Hoffnung verlieren."
Faeser: Programm aus Sicherheitsgründen ausgesetzt
Die zuständige SPD-Innenministerin Nancy Faeser gibt auf unsere Nachfrage zu:
Aus Sicherheitsgründen habe man das Programm mehrere Monate aussetzen müssen. Hilfsorganisationen allerdings halten das nur für einen Teil der Erklärung.
"Wir haben von Anfang an gesagt, dass das Programm zu bürokratisch und zu intransparent ist", so Therese Herrmann. Unter anderem würde die Bundesregierung nicht mal kommunizieren, wie und wo sich Schutzsuchende bewerben können.
Trotz Aufnahmezusagen sitzen Tausende in Pakistan, Iran und Afghanistan fest
Und nicht nur das: Während das eine Programm nicht richtig zum Laufen kommt, sitzen in Pakistan, Iran und auch in Afghanistan noch Tausende fest, die Aufnahmezusagen aus vorangegangenen Programmen haben, dem Ortskräfte-Programm zum Beispiel oder der sogenannten Menschenrechtsliste.
Afghanin: Deutschland hat sich seit März nicht mehr gemeldet
So wie Mariam Asadi*. Wir treffen die 21-jährige Afghanin in Islamabad. Die 21-Jährige hatte für eine Frauenrechtsorganisation gearbeitet und wurde deshalb von den Taliban mit dem Tode bedroht.
Im März bereits hatte sie deshalb eine Aufnahmezusage aus Deutschland bekommen, für sich, ihre Mutter und ihre Schwestern. "Sie haben uns eine E-Mail geschickt, dass wir nach Pakistan kommen sollen", so Mariam.
"Hier würden wir dann die Dokumente für die Weiterreise bekommen." Seither aber habe sie nichts mehr aus Deutschland gehört.
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Der Schwarzmarkt für illegale Visa blüht
Das Problem: Die Visa der Frauen für Pakistan sind längst abgelaufen. Wie Tausende andere Afghanen gelten sie seither als illegal im Land. Vor die Tür, erzählt sie uns, würden sie sich nur im Notfall trauen. Pakistan habe die Razzien gegen Afghanen extrem verschärft.
In der Not: Menschen besorgen sich illegale Visa
Viele würden sich in dieser Not illegale Visa auf dem Schwarzmarkt besorgen, berichten uns auch andere Geflüchtete. Und auch wir stoßen bei unseren Recherchen auf ein organisiertes System, dass mit dem Leid der Afghaninnen und Afghanen ein gutes Geschäft macht.
Per WhatsApp werden uns Visa und Pässe angeboten: "Ein sechsmonatiges Pakistan-Visum kostet 1.100 Dollar, dauert einen Tag", so die Nachricht. "Ich kann dir einen Pass in einer Woche besorgen. Das kostet dich 1.500 Dollar."
Hilfsorganisationen kritisieren deutsche Verfahrensvorschriften
Und noch eine fatale Folge haben die langwierigen und undurchsichtigen deutschen Verfahren, lernen wir, als uns Mariam mitnimmt zur Botschaft der Taliban. Nur hier, erklärt sie uns, könne sie die von Deutschland geforderten Dokumente bekommen. Ihre Fingerabdrücke habe sie dafür abgeben müssen und ihre Fluchtgründe erklären.
Auch Hilfsorganisationen kritisieren, die deutschen Verfahrensvorschriften würden die Menschen ausgerechnet in die Arme derer treiben, vor denen sie geflohen sind. "Natürlich müssen Sicherheitsstandards eingehalten werden", so Herrmann.
Aber die Bundesregierung müsse Möglichkeiten prüfen, mit der pakistanischen Regierung andere Abkommen zu schließen.
Samiras Familie trotzdem dankbar für die Hilfe Deutschlands
Währenddessen in Bergisch Gladbach. Auch hier scheinen sich die Behörden noch schwer zu tun mit dem neuen Aufnahmeprogramm. "Fünf Stunden mussten wir am Flughafen warten", erzählt die junge Afghanin Samira. Und nicht nur die Zollbeamten, auch beim Jobcenter hätten sie mit der neuen noch unbekannten Abkürzung im Pass nichts anzufangen gewusst.
Trotzdem, das schickt uns Samira noch als Kurznachricht hinterher, ihre Familie sei Deutschland unglaublich dankbar für die Hilfe. Das sollen wir unbedingt noch schreiben.
Quelle: ZDF
Sehen Sie mehr zu dem Thema bei frontal. Am 17. Oktober um 21 Uhr im ZDF und in der ZDF-Mediathek.
* Namen aus Sicherheitsgründen geändert.
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