Syrer in Jordanien:Ein ganzes Leben im Flüchtlingscamp Zaatari
von Elisa Miebach
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Krisen überlagern Krisen. Was das für die ärmsten der syrischen Geflüchteten bedeutet, zeigt ein Blick an die syrisch-jordanische Grenze zwölf Jahre nach Beginn des Syrien-Kriegs.
Das jordanische Flüchtlingscamp Zaatari: Vom Provisorium wurde es zur provisorischen Dauerlösung. (Archivbild)
Quelle: AP
Punkt- vor Strichrechnung steht heute auf dem Lehrplan im Flüchtlingscamp Zaatari. Die zehnjährige Meis hält ein großes Blatt Papier mit einer Zahl hoch. Sie hat noch nie eine Schule außerhalb des Flüchtlingslagers gesehen, denn sie ist in Zaatari geboren. Ihre Eltern sind zu Beginn des Kriegs in Syrien nach Jordanien geflohen.
Das Lager Zaatari an der syrisch-jordanischen Grenze ist das größte Camp für Geflüchtete im Nahen Osten. Vom Provisorium wurde es zur provisorischen Dauerlösung mit Containern und Wellblechverschlägen, kleinen Kiosken und Schulen. 80.000 Menschen leben hier, in etwa so viele wie in der deutschen Stadt Bamberg. Die meisten sind wie Meis' Eltern schon vor Jahren gekommen, gegründet wurde das Lager im Jahr 2012.
Jordanien: Rund 1,3 Millionen geflüchtete Syrer
Gefragt nach ihrem Traumberuf, sagt Meis: "Ingenieurin oder Ärztin". Doch die Chancen der Geflüchteten, ein Leben außerhalb des Lagers aufzubauen, sind gering. Viele Studiengänge und Berufe sind für Geflüchtete in Jordanien beschränkt. Das Land hat nach Angaben der jordanischen Regierung insgesamt 1,3 Millionen Syrerinnen und Syrer aufgenommen.
Nicht alle sind beim UNHCR registriert, einige kamen bei Bekannten und Verwandten unter. Insgesamt hat Jordanien rund elf Millionen Einwohner. Die Arbeitslosigkeit liegt bei mehr als 20 Prozent.
Über 110 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht
Dass Jordanien so viele Menschen aus dem Nachbarland aufgenommen hat, ist kein Einzelfall. Weltweit werden rund 70 Prozent der Geflüchteten von ihren Nachbarländern aufgenommen. Dies sind meist selbst Schwellen- und Entwicklungsländer.
Die Mittel zur Versorgung sind knapp und werden aktuell weltweit immer knapper. Das liegt auch an den steigenden Flüchtlingszahlen. Momentan schätzt das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR, dass über 110 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht sind. Vor zehn Jahren waren es noch weniger als halb so viele.
UNHCR: Geber-Fokus auf aktuellen Krisenherden
"Es ist ganz klar, dass es momentan weltweit mehrere Krisenherde gibt, die die Aufmerksamkeit der wichtigen Geberländer beanspruchen, von der Ukraine über den Sudan und jetzt natürlich die Situation in Gaza", sagt Dominik Bartsch, UNHCR-Leiter in Jordanien. Natürlich müssten die dringendsten Bedarfe abgedeckt werden. Gleichzeitig werde aber weiter auch Geld für die bestehenden Notlagen gebraucht.
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In Zaatari heißt das, Container und Wellblechhütten, die vor rund acht Jahren Zelte ersetzten, haben mittlerweile Löcher und Risse bekommen und müssten erneuert werden. Die Schulbildung und gesundheitliche Versorgung müssen finanziert werden. Die Solaranlage, die mit deutschen Mitteln 2016 hier installiert wurde, muss gewartet werden.
Auch wenn in diesem Camp viele Strukturen aufgebaut wurden, die es anderswo nicht gibt, bleiben große Herausforderungen. Eine besonders große ist die Wasserversorgung.
Grundwasser in Zaatari geht zur Neige
Ganz Jordanien leidet unter Wassermangel. Pro Kopf stehen hier jährlich 65 Kubikmeter zur Verfügung, in Deutschland sind es mehr als 20-mal so viel. Das Lager Zaatari wird hauptsächlich aus einem Grundwasservorkommen versorgt, das in rund zwei Jahren voraussichtlich aufgebraucht ist, schätzen Experten. Danach müsse aufwendig noch tiefer gebohrt werden. Schon jetzt ergänzen Tanklaster die Wasserlieferungen in das Lager.
Die Wasserversorgung im gesamten Land will Deutschland mit einem Darlehen in Höhe von 129 Millionen Euro unterstützen, gab Entwicklungsministerin Svenja Schulze am Montag bei Besuchen in Zaatari und in der Hauptstadt Amman bekannt. Für Jordaniens Geflüchtete versprach sie zusätzliche 41 Millionen Euro.
Begrenzte Perspektiven auf ein Leben fernab von Zaatari
Die 28-jährige Nour Al Dalla, die mit ihren drei Kindern im Camp lebt, erinnert sich an die Zeiten im Sommer, in denen das Wasser im Camp besonders knapp war. Sie würde gerne auswandern, am liebsten nach Kanada oder Deutschland, sagt sie:
Die Perspektiven dafür sind begrenzt. Mit drei Kindern wäre es ein fast unmöglicher Weg von Jordanien durch die Wüste über Ägypten, Libyen und das Mittelmeer. Doch auch zurück in ihr kriegszerrüttetes Heimatland Syrien zu gehen, ist keine Option.
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