Sonderstatus und "Recht auf Rückkehr" von Palästinensern
FAQ
Palästinensische Flüchtlinge:Sonderstatus und "Recht auf Rückkehr"
von Jan Henrich
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Seit Jahrzehnten birgt die Situation der palästinensischen Flüchtlinge Konfliktpotenzial. Ihr Status ist rechtlich einzigartig. Doch was bedeutet das genau?
Das UN-Hilfswerk UNRWA unterhält insgesamt 58 Flüchtlingslager für Palästinenser im Libanon, Syrien, Jordanien, aber auch im Westjordanland und im Gazastreifen.
Quelle: dpa/Marwan Naamani
Laut des Palästinensischen Zentralbüros für Statistik gab es Mitte 2021 circa 13,8 Millionen Palästinenser weltweit, davon sind aktuell 5,9 Millionen beim UN-Hilfswerk UNRWA als Flüchtlinge registriert und erhalten Unterstützung. Sie nehmen eine völkerrechtliche Sonderstellung ein, die auf die Zeit der Gründung des Staates Israel 1948 zurückgeht und bis heute fortdauert.
Fünf arabische Nachbarstaaten griffen damals den neugegründeten Staat an. Es begann der erste Nahostkrieg, den Israel militärisch für sich entscheiden konnte. Rund 700.000 Araber waren in Zuge dessen aus ihrer Heimat im früheren britischen Mandatsgebiet Palästina geflohen oder wurden vertrieben.
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Welchen Status haben palästinensische Flüchtlinge?
Den palästinensischen Flüchtlingen aus dieser Zeit und ihren Nachkommen wird seither ein Flüchtlingsstatus zuerkannt, der einige Besonderheiten aufweist. Ausschließlich für ihre Situation wurde damals das Hilfswerk UNRWA gegründet, das insgesamt 58 Flüchtlingslager im Libanon, Syrien, Jordanien und auch im Westjordanland und im Gazastreifen unterhält.
Die Aufgabenfelder des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) umfassen unter anderem Bildung, medizinische Versorgung, Sozialleistungen, Kleinkredite, Schutz und humanitäre Hilfe. Größter Geldgeber waren 2021 die USA mit etwas mehr als 300 Mio. Euro, gefolgt von Deutschland mit rund 150 Mio. Euro. Quelle: UNRWA
Als anerkannte palästinensische Flüchtlinge gelten alle Personen, deren "gewöhnlicher Wohnsitz zwischen dem 1. Juni 1946 und dem 15. Mai 1948 in Palästina war und die ihre Heimat und ihren Besitz in Folge des Konfliktes verloren haben." Gleiches gilt für die Nachkommen männlicher anerkannter palästinensischer Flüchtlinge. Quelle: UNRWA
Von der allgemein geltenden Genfer Flüchtlingskonvention sind Palästinenser mit der eigenen Regelung damit ausgeklammert. Der Flüchtlingsstatus wird zudem auf Nachkommen vererbt.
Wie gehen die arabischen Nachbarstaaten mit palästinensischen Flüchtlingen um?
Eine große Zahl palästinensischer Flüchtlinge lebt in den angrenzenden Staaten Jordanien, Libanon und Syrien - teils mit gleichen Rechten wie die übrige Bevölkerung, teils als Bürger zweiter Klasse.
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Der jordanische König Abdullah II. hatte jüngst betont, dass sein Land und auch Ägypten nicht bereit seien, weitere palästinensische Flüchtlinge aufzunehmen. Zum einen sehen sich die Staaten an einer Belastungsgrenze, zum anderen spielen auch politische Überlegungen eine Rolle.
Aus Sicht der Nachbarstaaten würde eine Entvölkerung des Gazastreifens eine Zwei-Staaten-Lösung noch schwieriger machen. Mit ähnlicher Begründung verfolgen die Staaten der Arabischen Liga seit 1965 zudem die Politik, palästinensischen Flüchtlingen auf ihrem Gebiet keine Staatsangehörigkeit zu verleihen. Denn dadurch könnte ein "Recht auf Rückkehr" untergraben werden. Lediglich Jordanien hat einen Großteil der palästinensischen Flüchtlinge eingebürgert.
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Gibt es ein Recht auf Rückkehr?
Gerade dieses "Recht auf Rückkehr" sorgt in dem Konflikt immer wieder für Probleme. Aus palästinensischer Sicht ergibt sich ein solches Recht aus Artikel 11 der Resolution 194 der UN-Generalversammlung von 1948. Darin wird gefordert, dass palästinensischen Flüchtlingen, die in ihre Heimat zurückkehren und dort mit ihren Nachbarn in Frieden leben wollen, dies erlaubt werden soll.
Israel bestreitet die rechtliche Basis der Resolution und weist zudem darauf hin, dass der Artikel explizit Frieden und Versöhnung voraussetzt. Doch das friedliche Zusammenleben scheint weit entfernt. Ein Großteil der arabischen Länder ist nicht einmal dazu bereit, die Existenz Israels überhaupt anzuerkennen.
Sind Palästinenser staatenlos?
Nicht alle Palästinenser sind automatisch staatenlos. Aus einer Ausarbeitung des Deutschen Bundestages geht hervor: Etwa fünf Millionen der palästinensischen Flüchtlinge, die in angrenzenden arabischen Ländern leben, wird dieser Status zugerechnet.
Aus Sicht der Länder, die den Staat Palästina nicht anerkannt haben, werden zudem weitere 1,4 Millionen Menschen in den palästinensischen Autonomiegebieten als staatenlos eingestuft.
Im November 1988 rief die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) den "Staat der Palästinenser" aus. Dabei wurden das Westjordanland sowie der Gazastreifen als Staatsgebiet beansprucht, sowie Ost-Jerusalem als Hauptstadt.
Weltweit erkennen 138 Staaten den Staat Palästina an, Deutschland und weitere EU-Staaten allerdings nicht. Aus Sicht der Vereinten Nationen gilt Palästina als Nichtmitgliedstaat mit Beobachterstatus. Unter Staatsrechtsexperten ist umstritten, ob Palästina die Kriterien eines Staates erfüllt.
Welchen rechtlichen Status haben palästinensische Flüchtlinge in Deutschland?
Aus der UN-rechtlichen Sonderstellung ergibt sich: Wer als staatenloser Palästinenser freiwillig ein Schutzgebiet der UNRWA verlässt, wird in Deutschland in den meisten Fällen nicht als Flüchtling anerkannt. Dies gilt zumindest, wenn eine Rückkehr in ein Land im Einsatzgebiet des UN-Hilfswerks möglich oder zumutbar ist.
Zudem hatte der Europäische Gerichtshof 2018 entschieden, dass Gaza-Flüchtlinge in diesem Fall auch keinen subsidiären Schutz erhalten können. Der rechtliche Status unterscheidet sich damit stark zu beispielsweise dem Status geflüchteter Menschen aus Syrien oder der Ukraine.
In der Praxis gestaltet sich aber auch ohne Anerkennung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention eine Abschiebung als schwierig. Vielerlei Gründe können hierbei eine Rolle spielen, vor allem aber die mangelnde Aufnahmebereitschaft der Zielländer. Im ersten Halbjahr 2022 wurden nur drei staatenlose Menschen aus Deutschland abgeschoben.
Jan Henrich ist Mitarbeiter in der ZDF-Redaktion Recht und Justiz.
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