25 Jahre Bologna-Reform: Eine Studienreform ohne Abschluss
25 Jahre Bologna-Reform:Eine europäische Studienreform ohne Abschluss
von Michael Kniess
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Vor 25 Jahren wurde die Bologna-Reform beschlossen. Was hat die Studienreform gebracht? Welche Erwartungen konnte sie nicht erfüllen? Eine Bilanz.
Bachelor- und Masterstudiengänge gehen auf eine Einigung der europäischen Bildungsminister im norditalienischen Bologna von 1999 zurück.
Quelle: Markus Hibbeler/dpa-tmn/Archivbild
Studiengänge und -abschlüsse, die europaweit einheitlich und damit vergleichbar sind. Mehr internationale Mobilität von Studierenden und Hochschulangehörigen. Abschlüsse, die nicht nur schneller erreicht werden, sondern auch besser auf den Bedarf der Wirtschaft abgestimmt sind. Geringere Hürden für den Studieneinstieg.
Die Erwartungen waren groß, als am 19. Juni 1999 von 29 europäischen Bildungsministern im italienischen Bologna ein Vertrag unterzeichnet wurde, um einen einheitlichen Europäischen Hochschulraum zu schaffen.
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Bologna: Eine Erfolgsgeschichte mit Einschränkungen
Aus Sicht von Christian Kerst vom Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) erzählt die Bologna-Reform durchaus eine Erfolgsgeschichte, jedoch eine mit Einschränkungen. Einer der wichtigsten Punkte, der länderübergreifende Wissenstransfer und Austausch, ist für den Bildungswissenschaftler gut umgesetzt:
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Insgesamt hat der internationale Austausch im Europäischen Hochschulraum zugenommen, Hochschulen bieten gemeinsame Studiengänge an, Auslandsaufenthalte sind einfacher in das Studium zu integrieren und auch die internationale Mobilität von Wissenschaftlern ist im Zuge des Bologna-Prozesses gefördert worden. Gleichzeitig können dank ECTS-Punkten im Ausland erbrachte Studienleistungen leichter angerechnet werden.
Inzwischen sind 49 Staaten Teil des Europäischen Hochschulraums, der weit über die EU hinausreicht. Ein Auslandssemester in San Marino ist damit genauso problemlos möglich wie eines in Kasachstan.
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Deutschland hinkt bei der Mobilität hinterher
Zumindest in der Theorie. Denn in puncto internationale Mobilität hinkt Deutschland den im Rahmen von Bologna gesetzten Zielen hinterher. Anstelle von mindestens 20 Prozent haben nur rund 17 Prozent der Hochschulabsolventen studienbezogene Auslandserfahrung gesammelt.
Ein weiterer Kritikpunkt: Es dauert noch zu lange, bis ECTS-Punkte aus dem Ausland anerkannt werden. Nicht erfüllt wurde zudem die Erwartung in Deutschland, dass die Bologna-Reform zu schnelleren Studienabschlüssen führt.
"Rechnet man zum Bachelor- noch einen Masterstudiengang hinzu, landet man in Sachen Studiendauer auf demselben Niveau wie beim Diplomstudium", betont Christian Kerst. Ein Umstand, der viele Studierende betrifft, so der Wissenschaftler, dessen Arbeits- und Forschungsschwerpunkt unter anderem in der Bildungsberichterstattung liegt. Denn bei zwei Dritteln aller Studierenden an Universitäten folgt auf ein Bachelorstudium noch der Master.
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Luft nach oben bei der Praxisorientierung
Ebenfalls nicht geringer geworden durch die Reform ist die Zahl derer, die ihr Studium wieder abbrechen. Gestiegen ist dagegen die Zahl an Studiengängen - und zwar deutlich. Mehr als 22.000 Studiengänge umfasst der Hochschulkompass inzwischen. Alte Studiengänge wurden aufgesplittet, gleichzeitig wurde immer weiter spezialisiert und ausdifferenziert. Für Christian Kerst ein Negativpunkt: "Das führt zu einer Unübersichtlichkeit für Studieninteressierte."
In der Arbeitswelt sind die neuen Abschlüsse längst angekommen. An der Abstimmung lasse sich jedoch noch arbeiten, findet man in der deutschen Wirtschaft. Aus Sicht der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) sollten die Hochschulen die Wirtschaft bei der konkreten Ausgestaltung ihrer Studienangebote noch stärker einbeziehen. Bei der Praxisorientierung sowie bei der Vermittlung arbeitsmarktrelevanter Kompetenzen sei noch Luft nach oben, so Achim Dercks, stellvertretender DIHK-Hauptgeschäftsführer.
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Bologna-Prozess ist nicht abgeschlossen
Abgeschlossen ist der Bologna-Prozess in Deutschland auch für Christian Kerst nicht, solange es inhaltliche Ziele gibt, die noch nicht erreicht wurden. Etwa die Tatsache, dass es nach wie vor von der sozialen Herkunft abhängt, ob junge Leute an der Hochschulbildung teilhaben können oder nicht.
Auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) mahnt 25 Jahre nach dem Start der Bologna-Reform: Bund und Länder müssen die soziale Dimension des europäischen Hochschulraums ernst nehmen.
"Die Förderung der Beschäftigungsfähigkeit war eines der wichtigsten Ziele der europäischen Hochschulreform - genau daran muss sich ihr Erfolg aus Sicht der Wirtschaft heute weiterhin messen lassen", betont Achim Dercks, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK). Aus Sicht der DIHK sollten die Hochschulen die Wirtschaft bei der konkreten Ausgestaltung ihrer Studienangebote noch stärker einbeziehen. Das gelte insbesondere für den Bachelor, von der Bologna-Reform als "erster, berufsqualifizierender Abschluss" vorgesehen. Bei der Praxisorientierung sowie bei der Vermittlung arbeitsmarktrelevanter Kompetenzen sei noch Luft nach oben.
Der Deutsche Mittelstands-Bund (DMB) gibt zudem zu bedenken, dass sich im Zuge der Umstellung auf das Bachelor- und Mastersystem ein Trend zu einer zunehmenden Akademisierung abgezeichnet habe. Der Nationale Bildungsbericht 2024 bestätigt diese Entwicklung: Seit 2011 tritt fast die Hälfte der jungen Erwachsenen aus Deutschland in ein Studium ein, 2005 war es nicht einmal jeder Dritte. Steffen Kawohl, Referent für den Bereich Arbeit und Bildung beim DMB, betont: "Diese Personen stehen dann für eine Berufsausbildung nicht mehr zur Verfügung, was den Fachkräftemangel in vielen Ausbildungsjobs natürlich verschärft." Gleichzeitig würden die Anforderungen an viele Berufe spezieller, sodass auch der Bedarf an Personen mit akademischen Abschlüssen größer werde.