Senioren im Straßenverkehr: Streit um Fahrprüfung für Ältere
Senioren im Straßenverkehr:Streit um regelmäßige Fahrprüfung für Ältere
von Philipp Dietrich
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Sollte es Fahrprüfungen für Ältere geben? Dadurch "bricht sich keiner einen Ast ab", sagt Grünen-Politiker Gelbhaar. Auf Eigenverantwortung setzen, fordert CDU-Politikerin Breher.
moma duell: Muss die Fahrtauglichkeit von älteren Menschen regelmäßig geprüft werden?21.03.2024 | 11:57 min
Schockunfall Mitte März in Berlin: Eine Mutter und ihr vierjähriges Kind sterben, weil ein 83-jähriger Autofahrer viel zu schnell einen Stau überholt - auf dem Radweg. In vielen EU-Ländern sind Fahrtüchtigkeitstest für ältere Autofahrer Standard. Würden solche Tests auch deutsche Straßen sicherer machen?
Darüber debattieren Silvia Breher, stellvertretende Vorsitzende der CDU und Stefan Gelbhaar, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen im moma duell.
Quelle: dpa
Silvia Breher wurde 1973 in Löningen geboren. Sie hat Rechtswissenschaften in Osnabrück studiert und war von 2001 bis 2018 als Rechtsanwältin selbstständig. Seit November 2019 ist sie stellvertretende Vorsitzende der CDU Deutschlands. Breher hat drei Kinder.
Quelle: Deutscher Bundestag
Quelle: dpa
Stefan Gelbhaar wurde 1976 in Berlin geboren. Er hat das erste und zweite juristische Staatsexamen absolviert. Seit 2005 ist er als Rechtsanwalt und Strafverteidiger tätig. Seit 2017 ist Gelbhaar Mitglied des Bundestages und seit 2020 Sprecher für Verkehrspolitik und Radverkehr. Er hat zwei Kinder.
Quelle: Deutscher Bundestag
Sehen Sie sich die Debatte oben im Video an oder lesen Sie hier eine Zusammenfassung.
Grünen-Politiker Gelbhaar fordert Sehtests für alle
Der grüne Verkehrspolitiker Stefan Gelbhaar beginnt das moma duell mit der klaren Forderung nach regelmäßigen Sehtests - und zwar nicht nur für ältere Autofahrer, sondern für alle. "Ich finde, dass man auch mit dreißig einen grauen oder einen grünen Star bekommen kann", sagt Gelbhaar.
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Er ist sich sicher: Durch einen Gang zum Optiker, "bricht sich keiner einen Ast ab". Mit 65 oder 70 Jahren sollten diese Tests dann "verdichtet" werden: "Erst alle zehn, fünfzehn Jahre und später vielleicht alle fünf Jahre", lautet sein Vorschlag.
"Keiner sagt, dass das etwas mit dem Alter zu tun hat", kontert Christdemokratin Silvia Breher. Sie möchte ältere Menschen nur dann mit Tests belasten, "wenn es auch wirklich etwas bringt".
CDU-Politikerin Breher: Senioren bauen weniger Unfälle
Gelbhaar sieht neben Fahranfängern besonders ältere Menschen gefährdet, pro gefahrene Kilometer seien diese häufiger an Unfällen beteiligt. "Das kann man nicht wegignorieren", meint er.
Es gäbe in Deutschland jedes Jahr über 2.500 Verkehrstote, sagt Gelbhaar weiter. Für ihn hängt die Zahl der Toten auch mit den körperlichen Beeinträchtigungen durchs Altern zusammen. Er sieht die Politik in der Pflicht, darauf Antworten zu finden. "Da machen sich ehrlich gesagt sehr, sehr viele Parteien auch im Bundestag einen schlanken Fuß."
Volker Wissing (FDP) ist gegen verpflichtende Untersuchungen für Führerscheininhaber. "Ich halte staatliche Vorgaben, verpflichtende Selbstauskünfte auszufüllen und ärztliche Gutachten zur Fahrtauglichkeit auszustellen, für einen enormen Bürokratie-Aufwand", so Wissing im Berliner "Tagesspiegel".
Autofahrerinnen und Autofahrer könnten ihre Fahrtüchtigkeit selbst am besten einschätzen. "Menschen sind in der Lage, für sich und andere Verantwortung zu übernehmen, dafür braucht es keine Formulare und Gutachten, die nur Bürokratie produzieren und knappe Ressourcen in Behörden binden."
"Wenn man genauer hinschaut, gibt es nicht eine einzige Statistik, die das genau belegt", antwortet Breher. "Es ist eben nicht so, dass ältere Menschen signifikant höheren Unfallzahlen haben".
Zwar würden ältere Menschen häufiger und schwerer in Unfällen verletzt werden. "Das liegt aber nicht daran, dass sie Fahrer eines Autos waren", erklärt sie. Ältere Menschen würden auch als Fußgänger oder Fahrradfahrer im Straßenverkehr verletzt werden, sagt die CDU-Politikerin.
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Die Fahrtauglichkeit infrage zu stellen, sieht Breher als Aufgabe der Familien an, sie setzt auf Eigenverantwortung. Breher argumentiert für die Idee der Feedback-Fahrten mit einem Fahrlehrer, die von den Familien organisiert werden, ohne fremdes Auto und in der eigenen Umgebung.
Fahrtauglichkeitstests im EU-Vergleich
Die Fahrtauglichkeit wird ab 50 Jahren alle fünf Jahre geprüft. Das Intervall wird mit zunehmenden Alter kürzer: Für Personen ab 70 gibt es jedes zweite Jahr einen Test.
Alle Autofahrer müssen regelmäßig zur Kontrolle. Personen unter 50 Jahren werden alle zehn Jahre geprüft, danach werden die Intervalle kürzer. Erst muss die Fahrtauglichkeit alle fünf Jahre, ab 70 alle drei Jahre und ab 80 alle zwei Jahre nachgewiesen werden.
Ab 60 Jahren wird die Fahrtauglichkeit alle fünf Jahre überprüft, danach werden die Intervalle mit zunehmendem Alter kürzer.
Ab 65 Jahren muss die Fahrtauglichkeit alle fünf Jahre nachgewiesen werden.
Alle ab 70 Jahren müssen verpflichtend an einer ärztlichen Überprüfung der Fahrtauglichkeit teilnehmen.
Ein Attest der Fahrtauglichkeit wird hier ab 75 Jahren erwartet, anschließend müssen Fahrerinnen und Fahrer sich alle zwei Jahre ein medizinisches Attest einholen.
Test-Pflicht ab 75 Jahren, danach muss alle fünf Jahre ein Nachweis der Fahrtauglichkeit erfolgen.
Autofahrer müssen ab 80 Jahren ihre Fahrtauglichkeit nachweisen.
Eigenverantwortung versus verpflichtende Tests
Auf Freiwilligkeit zu setzen ist für Gelbhaar "bloß ein Argument, um wieder nichts zu tun". Wenn Fahranfänger verpflichtend zum Sehtest geschickt werden, dann müsste und könnte man das auch mit 80-Jährigen tun, meint Gelbhaar. Zu den Kosten einer verpflichtenden Testung sagt Gelbhaar: "Das wäre zu lösen".
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Breher plädiert erneut für die Eigenverantwortlichkeit. Gelbhaars Argument, dass es in anderen Ländern Fahrtauglichkeitstests gibt und sie dort auch funktionieren, kontert Breher mit den italienischen Unfallstatistiken, dort gäbe es deutlich mehr Unfälle als in Deutschland - trotz der Tests ab 50 Jahren.
Zahlen zu Senioren im Straßenverkehr
Wenn ältere Autofahrer in einen Unfall mit Personenschaden verwickelt sind, tragen sie häufiger die Hauptschuld daran als jüngere. Das geht aus Zahlen des Statistischen Bundesamtes hervor. Demnach waren 2022 die mindestens 65-Jährigen in mehr als zwei Drittel der Fälle die Hauptverursachenden. Bei den mindestens 75-Jährigen wurde sogar gut drei von vier unfallbeteiligten Autofahrern die Hauptschuld am Unfall zugewiesen. Das ist mit Abstand der höchste Wert aller Altersgruppen.
Zum Vergleich: Bei den unter 65-jährigen Autofahrern waren 55,2 Prozent Hauptverursachende.
Quelle: destatis
Laut Statistischem Bundesamt sind ältere Menschen gemessen an ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung seltener in Verkehrsunfälle verstrickt als jüngere. Im Jahr 2022 waren demnach 77.700 Menschen ab 65 Jahren an Unfällen mit Personenschaden beteiligt. Das waren 15,1 Prozent aller Unfallbeteiligten mit Altersangaben. Im Jahr 2022 waren dagegen 22,1 Prozent der Bevölkerung in Deutschland mindestens 65 Jahre alt.
Dass ältere Menschen seltener in Unfälle verwickelt sind, liegt laut Statistischem Bundesamt daran, dass sie nicht mehr zur Arbeit fahren.