Punkte im Check: Wie Experten das Migrationspapier bewerten

    Analyse

    10 Punkte im Check:Wie Experten den Migrationsbeschluss bewerten

    Katja Belousova
    von Katja Belousova
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    Bezahlkarte statt Bargeld, eine Flüchtlingspauschale von 7.500 - und doch wenig Neues: Wie Fachleute für Migration die aktuelle Einigung von Bund und Ländern bewerten.

    Bis tief in die Nacht hinein dauerte der Migrationsgipfel im Kanzleramt. Als Ergebnis präsentieren Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und die Ministerpräsident*innen der Bundesländer am Dienstag "10 Maßnahmen für Humanität und Ordnung" bei der Fluchtmigration. Doch wie sind die einzelnen Punkte zu bewerten?
    Den großen Durchbruch entdecken Migrationsexpert*innen dabei nicht. Victoria Rietig, Leiterin des Migrationsprogramms der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, entdeckt in vielen Punkten "eine Mischung aus dem, was im Vorfeld ohnehin schon geschlossen wurde, gemischt mit einigen neueren Dingen". Hans Vorländer, Vorsitzender des Sachverständigenrats für Integration und Migration, nennt es dennoch "ein tragfähiges Kompromisspapier, welches eine relativ pragmatische und realistische Perspektive für Veränderungen ermöglicht und keine falschen Erwartungen weckt."
    ZDFheute hat mit ihnen über die einzelnen Beschlüsse im Papier gesprochen.

    1. EU-Außengrenzen schützen

    Der Kanzler will bei der EU auf einen "zügigen Abschluss" bei der Reform des Gemeinsamen Europäische Asylsystems und ein "solidarisches Verteilsystem" dringen. Victoria Rietig bewertet das als "Business as usual". Hans Vorländer fügt hinzu: "Mehr kann man da auch nicht erwarten, weil Deutschland da in EU-Prozesse eingebunden ist".

    Auch die im letzten Satz festgehaltene Prüfung, ob die Feststellung des Schutzstatus von Geflüchteten auch in Transit- oder Drittstaaten erfolgen kann - Stichwort Ruanda - ist keine Riesenüberraschung und so sogar im Koalitionsvertrag festgehalten.

    Victoria Rietig, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik

    Interessant hier: Genau wegen dieses Punkts sollen sich die Bundesländer aber fast überworfen haben.

    2. Deutsche Grenzen kontrollieren

    Die Kontrollen an den Landesgrenzen zu Österreich, Schweiz, Tschechien und Polen sollen laut Papier weitergeführt werden. Damit würde laut Hans Vorländer fortgesetzt, was ohnehin schon praktiziert wird. Interessant sei dabei laut Rietig die angesprochene "Nutzung dortiger Zurückweisungsmöglichkeiten". Denn diese "Zurückweisungsmöglichkeiten" habe Deutschland nur in begrenztem Maße.

    Die Zurückweisungsmöglichkeiten haben wir nur bei denen, die nicht ihre Absicht formulieren, Asyl beantragen zu wollen.

    Victoria Rietig, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik

    3. Verfahren beschleunigen

    Das Kernanliegen hier: Asylverfahren für Angehörige von Staaten, für die die Anerkennungsquote weniger als fünf Prozent beträgt, sollen schneller abgeschlossen werden.

    Ziel ist, das Asyl- und das anschließende Gerichtsverfahren bei ihnen jeweils in drei Monaten abzuschließen.

    Fluchtmigration-Papier von Bund und Ländern

    Doch auch wenn hier nun mehr Geld fließen soll, kann das Personalproblem in den zuständigen Behörden nicht so schnell gelöst werden. "Das Problem der personellen Ressourcen bleibt natürlich", sagt Vorländer. Und Rietig weist darauf hin, dass vor allem Gerichtsverfahren den Prozess in die Länge ziehen würden.

    Dort sind die personellen Engpässe enorm - daher würde ich sagen: Die Forderungen, dass in drei Monaten abzuschließen ist schon sportlich.

    Victoria Rietig, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik

    Asylanträge pro Jahr

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    4. Verfahren digitalisieren

    "In den zuständigen Behörden werden Online-Zugangswege geschaffen, Arbeitsprozesse automatisiert und Daten ausgetauscht", heißt es im Papier. Dieses klare Bekenntnis, die Asyl-Prozesse zu digitalisieren, sei positiv zu bewerten, sagt Hans Vorländer. Trotzdem sei dieser Punkt vor allem eine "Defizitanzeige".

    Es hakt im Augenblick unter anderem schon daran, eine einheitliche IT-Plattform zu schaffen, wo die Asyl-Daten zusammengeführt werden. Hier muss nachgearbeitet werden.

    Hans Vorländer, Sachverständigenrat für Integration und Migration

    In den Kommunen würde immer noch viel mit Papier gearbeitet werden, zudem arbeiten nicht alle Behörden effizient und synergetisch zusammen, sagt er. "Das nehmen die Kommunen als großes Problem wahr und das verlangsamt die Verfahren - da wären wir wieder bei Punkt drei."

    5. Rückführungen verbessern und beschleunigen

    Abgelehnte Asylsuchende sollen laut Beschluss konsequent in ihre Herkunftsländer zurückgeführt werden. "Beim Thema Rückführung steht in dem Papier nichts Neues drin", erläutert Victoria Rietig. Hier würde nur beschrieben, was im Gesetzentwurf der Innenministerin Nancy Faeser (SPD) zur Verbesserung der Rückführung schon Ende Oktober beschlossen wurde.
    Mehr zu den Inhalten des Gesetzes lesen Sie hier:

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    von Birgit Franke
    Nancy Faeser (SPD), aufgenommen am 25.10.2023 in Berlin
    Interessant sei hier laut Rietig aber folgende Passage:

    Bund und Länder prüfen gemeinsam, ob Abschiebungen unmittelbar aus dafür zu schaffenden Einrichtungen an den großen deutschen Flughäfen erfolgen können.

    Fluchtmigration-Papier von Bund und Ländern

    Dieser Vorschlag scheine aus Bayern zu stammen, wo eine solche Abschiebe-Einrichtung am Münchner Flughafen vor einigen Jahren eingerichtet wurde. Ihr Nutzen sei aber umstritten, so Rietig.

    Eine massive Zunahme der Abschiebungen konnte dadurch bislang nicht beobachtet werden. Gleichzeitig sind die Kosten dafür enorm hoch.

    Victoria Rietig, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik

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    6. Migrationsabkommen mit den Herkunftsländern

    Ein formuliertes Ziel ist es auch, Migrationsabkommen mit Herkunftsländern abzuschließen und sie etwa im Gegenzug für Visa-Erleichterungen oder Arbeitsmarkt-Abkommen davon zu überzeugen, die eigenen Staatsbürger zurückzunehmen. "Das ist nicht neu", sagt Rietig. Das Problem sei, dass solche Abkommen mit einzelnen Staaten etwa in Afrika zwar zielführend sein können, aber bei Ländern wie Afghanistan, Irak oder Syrien - aus denen viele Menschen nach Deutschland kommen - nicht viel bringen würden.

    Das ist nichts Neues, sondern eigentlich die Bekräftigung dessen, was seit einiger Zeit vorgeschlagen und schon ansatzweise versucht wird.

    Hans Vorländer, Sachverständigenrat für Integration und Migration

    7. Leistungen für Asylsuchende

    Schutzsuchende im Asylverfahren sollen laut Beschluss nach anderthalb Jahren nicht - wie bisher üblich - mit mehr Geld rechnen können. Auch für anerkannte Schutzberechtigte, aus der Ukraine Geflüchtete, sowie Geduldete, sind - falls sie in Sammelunterkünften leben - Leistungskürzungen vorgesehen. In diesem Punkt sei den Migrationsexpert*innen zufolge die größte Neuerung zu erkennen.



    Ziel sei, sogenannte Anreize zu "sekundärer Migration" zu verringern, erklärt Vorländer. "Der Effekt wird aber wohl nicht so stark sein, wie sich das einzelne wünschen", sagt er. "Hier geht man von der These aus, dass Sozialleistungen einen Pull-Faktor für Migration darstellen könnten."

    Dabei wissen wir, dass Sozialleistungen nur ein Gesichtspunkt unter vielen sind. Menschen gewichten beispielsweise die schon vorhandenen sozialen Netzwerke, die Diaspora, die Sicherheit, die Arbeitsaussichten stärker, wenn sie sich Deutschland als Zielland suchen.

    Hans Vorländer, Sachverständigenrat für Integration und Migration

    Auch Victoria Rietig hat Zweifel, ob weniger Leistungen auch zu weniger Migration führen werden - sagt aber, dass der Änderungen rechtlich nichts im Weg stehen würde und Deutschland so Geld einsparen könnte.
    Polizisten kontrollieren Schleuserfahrzeug mit illegalen Einwanderern
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    Und wie ist die im Papier ebenfalls formulierte Idee zu bewerten, der zufolge Leistungsempfänger*innen künftig weniger Bargeld bekommen sollen - dafür perspektivisch aber eine Bezahlkarte eingeführt werden soll?

    Bis zum 31. Januar 2024 soll dafür ein Modell erarbeitet werden.

    Fluchtmigration-Papier von Bund und Ländern

    "Klar ist, dass das dauern wird und nicht über Nacht passiert", erklärt Victoria Rietig. Es sei also eine Maßnahme, die Kommunen nicht auf Anhieb entlasten würde.

    Und auch hier ist höchst unklar, ob die Bezahlkarte in Kombination mit den Leistungskürzungen nach 18 Monaten wirklich zu weniger Migration führen werden.

    Victoria Rietig, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik

    So viele Flüchtlinge leben in Deutschland

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    8. Schnellere Arbeitsaufnahme, bessere Integration

    Bund und Länder untermauern ihre Forderung, Menschen schneller in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Neu ist auch das nicht. "Eine Veränderung wird aber bei den Sprachkenntnissen erkennbar", sagt Vorländer.

    Man will, dass die Menschen nicht erst einige Jahre einen Sprachkurs durchlaufen müssen, um dann in den Arbeitsmarkt zu kommen, sondern dass auch geringere Sprachkenntnisse möglich sind.

    Hans Vorländer, Sachverständigenrat für Integration und Migration

    Das ziele zunächst aber nicht auf reglementierte Berufe wie etwa in der Pflege ab, könnte aber für gering qualifizierte Jobs gelten, so Vorländer.
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    9. Unterstützung der Kommunen bei der Unterbringung

    Der Bund will Kommunen besser bei der Unterbringung Geflüchteter unterstützen. "Hier erklärt sich der Bund bereit, kostenlos Bundesliegenschaften bereitzustellen und gewisse Herrichtungskosten zu übernehmen", fasst Hans Vorländer die vorletzte Forderung zusammen. Das helfe den Kommunen auf die Schnelle aber nicht.

    Da ist die Frage: 1. Reicht das aus? 2. Wie schnell geht das? 3. Wo liegen diese Unterkünfte? Dort, wo wirklich Bedarf besteht oder vielleicht dort, wo man keine Geflüchteten unterbringen kann oder möchte?

    Hans Vorländer, Sachverständigenrat für Integration und Migration

    10. Solidarische Kostentragung von Bund, Ländern und Kommunen

    Die bestehende Flüchtlingspauschale des Bundes soll ab 2024 zu einer von der Zahl der Schutzsuchenden abhängigen Pro-Kopf-Pauschale weiterentwickelt werden. Der Bund will für jeden Asylerstantragsstellenden eine jährliche Pauschale von 7.500 Euro zahlen. Kommunen hatten 10.500 pro Person gefordert.
    "Hier wurde ein klassischer Kompromiss zwischen beiden Positionen geschlossen", sagt Rietig. Und Hans Vorländer bilanziert: "Für die Kommunen gibt es etwas mehr Klarheit und Erwartungssicherheit, was die finanziellen Zuwendungen angeht."
    ZDFHeute Fallback Bild
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