Abschiebungen: Warum die Ampel-Pläne verpuffen werden

    Kabinett will mehr Abschiebungen:Warum die Ampel-Pläne verpuffen werden

    Kristina Hofmann
    von Kristina Hofmann
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    Die Ampel will Tatkraft zeigen: Per Gesetz sollen Abschiebungen leichter werden. Mehr als 600 Menschen sollen es aber vorerst nicht werden. Dabei wären viel mehr ausreisepflichtig.

    Verbal wird eher geklotzt als gekleckert: "Wer in Deutschland kein Bleiberecht hat, muss unser Land wieder verlassen", sagt Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Und ja, das heute vom Bundeskabinett verabschiedete Gesetz für mehr Abschiebungen sei "die Grundlage", so Faeser, für die Ansage von Kanzler Olaf Scholz (SPD): "Wir müssen endlich im großen Stil abschieben."
    Doch ob ihnen das gelingt, ist fraglich.

    Wie viele Abschiebungen durchgeführt werden sollen

    Die Bundesregierung selbst hängt in ihren Erläuterungen zum Gesetzentwurf die Erwartungen nicht allzu hoch. Wie viele "Abschiebungen aufgrund der Rechtsveränderungen zusätzlich vollzogen werden, ist schwer abschätzbar", heißt es dort. 2021 und 2022 seien es jeweils 12.000 gewesen. Jetzt, mit dem neuen Gesetz, könnten es 600 mehr werden. Faeser ist zuversichtlich:

    Wir werden sicherlich mehr hinbekommen.

    Nancy Faeser (SPD), Bundesinnenministerin

    233.744 Menschen haben bis Ende September, das sind die aktuellen Zahlen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, einen Antrag auf Asyl in Deutschland gestellt. Nimmt man diejenigen, die einen Folgeantrag eingereicht haben mit dazu, sind es 251.214.

    Über zahlreiche Asylanträge noch nicht entschieden

    Über 22 Prozent der Anträge haben die Behörden und - bei Widerspruch - die Gerichte noch nicht entschieden. Über 195.772 Anträge aber schon. Demnach sind mehr als die Hälfte, 52 Prozent, entweder als Flüchtling anerkannt. Oder sie müssten ausreisen, können es aber nicht: Sie sind geduldet. Sie genießen subsidiären Schutz, das heißt in ihrem Heimatland ist Krieg oder ihnen droht die Todesstrafe, Folter. Oder es gilt ein Abschiebeverbot. Oder ihre Herkunftsländer nehmen die Menschen nicht mehr auf.
    Das Asylgesuch von 43.354 Menschen wurde abgelehnt. Diese gelten als ausreisepflichtig, allerdings haben einige dagegen geklagt. Nach Erfahrungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge etwa die Hälfte. Dafür sorgen, dass die Menschen dann tatsächlich ausreisen, müssen die Länder mit deren Polizei und Ausländerbehörden.
    Bis Ende Juni lagen ihre Zahlen noch etwas höher: In einer Anfrage an die Linke geben sie etwas mehr als 279.000 Ausreisepflichtige an. Davon 224.768 mit Duldung, 54.330 ohne Duldung.

    Was die Ampel konkret plant

    Das Kabinett hat heute beschlossen, dass mehrere Gesetze geändert werden sollen. Sie müssen nun vom Bundestag beschlossen werden. Geplant ist zum Beispiel:
    • Damit Behörden mehr Zeit haben, um Abschiebungen vorzubereiten und das "Untertauchen" zu verhindern, soll die Höchstdauer des Ausreisegewahrsams von zehn auf 28 Tage steigen. Derzeit sitzen, so steht es im Gesetzentwurf, etwa 3.000 Menschen in Abschiebehaft. Wie viele dazu kommen, sei "schwer abschätzbar". Man geht "vereinfachend" von 150 bis 180 aus.
    • Die Polizei darf Wohnungen durchsuchen, um die Identität Betroffener zu klären. Wer also falsche Angaben zur Person macht oder einen falschen Pass vorlegt, muss damit rechnen.
    • Die Polizei darf nachts kommen. Sie darf auch in Gemeinschaftsunterkünften andere Räume durchsuchen, wenn jemand nicht in seinem Zimmer angetroffen wird.
    • Verstöße gegen das Einreise- und Aufenthaltsverbot gelten als Grund für Abschiebehaft.
    • Abschiebungen sollen nicht mehr vorher angekündigt werden, außer bei Familien mit Kindern unter zwölf Jahren.
    • Für Schleuser, die zu mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt worden sind, gilt eine erleichterte Ausweisung.
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    Hindernis Rückführung: Faeser plant Abkommen

    Drastisch verringern würde sich die Zahl der eigentlich ausreisepflichtigen Menschen, wenn sie ihre Heimatländer wieder aufnehmen würden. Bei Ländern wie Syrien, Afghanistan, Irak, die zu den meisten Hauptherkunftsländern gehören, wird das schwierig: Mit wem will die Bundesregierung dort ernsthaft verhandeln?
    Ausreisepflichtige mit und ohne Duldung kommen nach einer Auflistung der Ausländerbehörden auch aus Nigeria, Kenia, Kamerun, Pakistan.

    Bundesregierung will mehr Abkommen mit Herkunftsstaaten

    Die Bundesregierung will mehr Abkommen mit den Herkunftsstaaten schließen. Derzeit sei man, so kündigte es Faeser am Mittwoch an, in Verhandlungen mit Marokko, Usbekistan, Kirgistan, Kenia und Kolumbien. Außerdem sollen Georgien und Moldau sichere Herkunftsstaaten werden. Das bedeutet: Ein Asylantrag aus diesen Ländern gilt als unbegründet und wird abgelehnt. Eine individuelle Verfolgung kann in einem zweiten Schritt erst geltend gemacht werden.
    Der Effekt dürfte höchst unterschiedlich sein: In Berlin etwa stammen die meisten Ausreisepflichtigen, Stand Ende Juni, aus Moldau, die drittgrößte Gruppe aus Georgien. Bei der zweitgrößten, 1.674 Personen, ist die Identität ungeklärt.
    In Nordrhein-Westfalen haben die Bemühungen der Bundesregierung erst einmal keinen Effekt: Die meisten Ausreisepflichtigen kommen aus dem Irak, Serbien, Nigeria, Guinea, Afghanistan.
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    Afghanische Familien dürfen nach Deutschland einreisen, ihre volljährigen Kinder jedoch müssen in der Heimat bleiben und um ihr Leben fürchten.17.10.2023 | 2:36 min

    Polizei befürwortet Ampel-Maßnahmenpaket

    Die direkten Folgen des Maßnahmenpakets werden unterschiedlich beurteilt. Die Gewerkschaft der Polizei schätzt, es werde zu mehr Abschiebungen führen, sagt Bundesvorsitzender Jochen Kopelke im Interview mit ZDFheute. Allerdings brauche es weitere Schritte: Dass der Bundestag das Gesetz nicht verwässert, wäre der erste.
    Der zweite und dritte: ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für Technik und Ausrüstung sowie 300 zusätzliche Stellen für die Polizei, so Kopelke. Die Bundeswehr habe für die Sicherheit der Außengrenzen äußere Sicherheit ein Sondervermögen bekommen, das brauche nun auch die Polizei, da sie bei der Fülle der Aufgaben so gefordert sei, "dass wir das in Bund und Ländern nicht einzeln schaffen", sagt Kopelke.

    Deutscher Anwaltsverein kritisiert Maßnahmen

    Kritik kommt dagegen vom Deutschen Anwaltsverein. Bei fast allen Maßnahmen gebe es erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken. Zum Beispiel, dass eine Wohnung ohne richterliche Anordnung durchsucht werden dürfe. Das widerspreche dem Grundrecht auf die Unverletzbarkeit der Wohnung, heißt es in einer Stellungnahme.
    Es sei mit Klagen gegen die neuen Maßnahmen zu rechnen - die Verfahren würden am Ende länger statt, wie erhofft, kürzer.

    100 Millarden Euro, 300 Stellen
    :Abschiebungen: Polizei will Geld und Stellen

    Die Ampel will mehr Abschiebungen. Die Gewerkschaft der Polizei findet das Gesetz gut - wenn mehr folgt: Ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro und 300 neue Stellen.
    Hand und Fussfesseln trägt ein junger Mann aus Afghanistan, den Polizisten zur Abschiebung zum Flughafen bringen, aufgenommen am 04.12.2018 in Frankfurt am Main
    Interview

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