mit Video
Finanzminister bei Bürgerdialog:Landwirte und Lindner: Zwei Welten in Lübeck
von Winnie Heescher
|
Christian Lindner schließt einen Ausstieg aus der Ampel aus. Bei einem Bürgerdialog in Lübeck wird ihm höflich, aber deutlich gesagt, wie es um die Stimmung im Land bestellt ist.
Bundesfinanzminister Christian Lindner trifft Bürger in Lübeck.
Quelle: Imago
"Wir haben die Schnauze voll", dröhnt es durch die Holzlatten des ehemaligen Hafenschuppens. Mehrere Hundert Traktoren haben die Halle im Lübecker Museumshafen umstellt. Drinnen sagt der, dem diese Demonstration der Bauern gilt: "Ich bin gerne nach Lübeck gekommen." Christian Lindner ist für einen sogenannten Bürgerdialog hier.
Lindner will mit Persönlichem punkten
Nicht alle Stühle sind besetzt, 150 Plätze waren verlost worden, knapp 100 Menschen sind gekommen. Es gebe persönliche Wurzeln, sagt Lindner. Schließlich hätte die Familie seiner Frau in Lübeck mal eine Gaststätte betrieben. "1791 war das", sagt er. Lindner erntet einen kleinen Lacher für diese klassische Eröffnung, sich das Publikum mit Persönlichem erobern zu wollen. Aber dafür sind die Leute nicht gekommen.
Steuergelder allein könnten nicht die Probleme der Bauern lösen - es werde für Anderes gebraucht, so Lindner. Steuererhöhungen seien keine Option: "Wir brauchen wirtschaftlichen Aufschwung."15.01.2024 | 7:28 min
Erste Frage eines Rentners nach der Kindergrundsicherung: Warum die nicht höher ausgefallen sei? Der Finanzminister spult routiniert jedes Argument ab, erstmal Minuten schinden, um voranzukommen. Nur haben die Traktoren draußen auf Diskomusik umgestellt und beschallen den Holzschuppen, sodass Lindner gegen das Wummern ansprechen muss.
Lindner zeigt sich gesprächsbereit mit Bauern
Und schon der zweite Fragesteller ist dann auch ein Landwirt. "Sie haben uns stehenlassen", klagt er über mangelnde Unterstützung Lindners für die demonstrierenden Landwirte in Sachen Agrardiesel. Lindner kontert: "Machen sie eine Liste, ich bin bereit zu sprechen." Der Landwirt kontert: "Die Liste liegt bei ihnen im Schreibtisch, sie reden sich raus."
So geht es hin und her. "Sie können weiter demonstrieren, aber ich sage ihnen, nutzen sie das Angebot", sagt Lindner weiter, "was haben sie davon, wenn der Agrardiesel zurückgedreht wird, aber die Bürokratie bleibt?" Und um die Diskussion zu beenden:
Der Landwirt macht eine abwehrende Handbewegung.
Lindner und die Sorgen der Mittelschicht
Bürokratie, zu wenig Hilfen für den Mittelstand, aufgeblasene Verwaltung, veraltete Software in Finanzämtern. So geht es weiter. Lindner inszeniert sich jedes Mal als personifizierte Schuldenbremse: Er verwalte das Geld der Bürgerinnen und Bürger: "Der Haushalt - ihr Geld, nicht meins." Es sind Sorgen der deutschen Mittelschicht, die dem Finanzminister hier begegnen.
Ein einziges Mal fällt das Wort Ukraine. Israel, Klimawandel oder USA-Wahlen beschäftigen hier im Holzschuppen niemanden. Ein anderer Krisenherd aber interessiert das Publikum. Ein Landwirt fragt: "Sie haben doch mal den Satz geprägt, es sei besser nicht zu regieren, als schlecht zu regieren. Die derzeitige Regierungspolitik, sind sie der Meinung, dass das die richtige Politik für uns, für den Mittelstand, für ihr Wahlklientel ist?"
Lindner zählt seine Erfolge auf
Antwort Lindners: "Ich bin unverändert der Meinung, es ist besser nicht zu regieren als falsch zu regieren. Aber es gilt auch der Umkehrschluss, wenn man Gutes bewirken kann, sollte man nicht ohne Not den Anderen das Land oder dem Chaos überlassen." Und dann zählt der Mann aus der Ampel in grauem Nadelstreifen-Anzug noch all seine Erfolge auf, die er als Finanzminister schon erreicht hat.
Die Ampel-Parteien wollen die Landwirtschaft strukturell entlasten. Die Abschaffung der Steuervergünstigung für Agrardiesel aber komme, so Finanzminister Lindner bei den Protesten.15.01.2024 | 3:33 min
Christian Lindners Antwort ist unterlegt vom Sound der Traktorhörner draußen. Noch einige Selfies, dann entschwindet er weiter - zum nächsten sogenannten Bürgerdialog nach Hamburg.
"Der Bundesfinanzminister fragt nach, erklärt Zusammenhänge und skizziert Lösungsansätze. Fragen und Erfahrungen der Menschen vor Ort prägen das Format", heißt es auf der Seite des Bundesfinanzministeriums über das Format. In Lübeck hat vor allem eines das Format dominiert: Die Selbstgewissheit, die aus Christian Lindner sprach: Dass es nicht an ihm liegt, wenn es im Land nicht läuft.
Mehr zu Lindner
Steueranreize für Investitionen:Habeck kontert Lindner bei Unternehmenssteuer
mit Video
Haushaltsdebatte im Bundestag:Ampel zufrieden: Haushalt passt, plötzlich
von Kristina Hofmann
Exklusiv
Verteidigungsausgaben:Lindner: Werden Zwei-Prozent-Ziel erfüllen
von Daniel Pontzen