Polizeiliche Kriminalstatistik: Mehr Diebstähle, mehr Gewalt

    Polizeiliche Kriminalstatistik:Wieder deutlich mehr Straftaten erfasst

    von J. Schneider, B. Krieger, J. Henrich
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    Die Zahl der bundesweit registrierten Straftaten ist 2023 erneut gestiegen. Die polizeiliche Kriminalstatistik zeigt allerdings auch nur einen Teil der Realität.

    Polizeiliche Kriminalstatistik 2023 vorgestellt
    Die steigende Ausländerkriminalität löste eine Debatte über die Migrationspolitik aus. Innenministerin Faeser kündigt ein härteres Vorgehen und konsequentere Abschiebungen an. 09.04.2024 | 2:52 min
    Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat die polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) für 2023 vorgestellt. Schon vorab wurde bekannt, dass die Anzahl der von der Polizei registrierten Straftaten im Vergleich zum Vorjahr um 5,5 Prozent auf 5,9 Millionen gestiegen ist. So viele Fälle hatte es zuletzt im Jahr 2016 gegeben. Besonders hoch ist der Anstieg bei Raubüberfällen, Messerangriffen und häuslicher Gewalt.
    Bei Gewalttaten beträgt der Anstieg 8,6 Prozent. Die Anzahl der Tatverdächtigen hat um 7,6 Prozent auf knapp 2,25 Millionen zugenommen. Von diesen besaßen 923.269 keinen deutschen Pass. Faeser bezeichnete die Zunahme der Gewaltkriminalität als "überhaupt nicht hinnehmbar". Es gebe niemals "eine Rechtfertigung für Gewalt". Die Ministerin kündigte ein konsequentes Durchgreifen der Polizei an - ohne "Wenn und Aber" an.
    Gewaltkriminalität - Statisitk
    Die Fälle gefährlicher Körperverletzung sowie Gewalttaten insgesamt sind im Vergleich zum Vorjahr deutlich gestiegen.
    Quelle: ZDF

    Welche Ursachen hat der Anstieg der Straftaten?

    "Bei der Ursachenforschung und den Konsequenzen ist man sich uneins," berichtet ZDF-Hauptstadtkorrespondent Karl Hinterleitner aus Berlin. Während manche in der Politik "zu viel unkontrollierte Migration" als Ursache anführen, würden andere die "schlechte Ausstattung der Polizei" sowie den "Personalmangel in Behörden und Justiz" als Gründe nennen, so Hinterleitner.
    Polizisten bei Durchsuchungen, aufgenommen am 05.07.2022 in Osnabrück
    Die Zahl der bundesweit registrierten Straftaten ist 2023 erneut gestiegen. Die polizeiliche Kriminalstatistik zeigt allerdings auch nur einen Teil der Realität.09.04.2024 | 2:52 min
    Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) nannte schon vor der Veröffentlichung des Berichts die Zuwanderung als Hauptgrund für die gestiegene Zahl an Straftaten in seinem Bundesland. Dies sei ein "bundesweiter Trend, für den besonders Ausländer und Zuwanderer verantwortlich sind", gab Herrmann an. Die SPD-Fraktion im bayerischen Landtag kritisierte ihn daraufhin scharf.

    Jedes politische Lager wird das auf seine Weise gemäß der eigenen Agenda interpretieren. Am Ende spricht viel dafür, dass die wahren Ursachen ein Mix der genannten Gründe sind.

    Karl Hinterleitner, ZDF-Hauptstadtkorrespondent

    Was lässt sich aus den Zahlen ablesen?

    Die Ermittler führen den Anstieg der Gesamtkriminalität unter anderem auf den Wegfall der Corona-Beschränkungen zurück. 2023 ist das erste Jahr mit wieder weitgehend normalem öffentlichen Leben. Dadurch ergeben sich mehr Tatgelegenheiten und -anlässe.
    herbert-reul
    Die Zahl registrierter Straftaten ist bundesweit um 5,5 Prozent gestiegen. "Ich bin froh, dass Frau Faeser meine Analyse bestätigt, dass es auch was mit dem Zuzug von Nicht-Deutschen aus anderen Ländern zu tun hat", so NRW-Innenminister Reul (CDU).09.04.2024 | 4:36 min
    Vor allem bei Jugendlichen könne es zu Nachholeffekten der "entwicklungstypischen Straffälligkeit" kommen. Kinder und Jugendliche waren von den Corona-Beschränkungen besonders betroffen. Der Mangel an sozialen Kontakten und Stress innerhalb der Familie habe häufig zu psychischen Belastungen geführt. Diese Belastungen können sich nun auch auf ihre Anfälligkeit für Straftaten auswirken.
    Die Ermittler sehen auch die durch die Inflation verstärkten sozialen und wirtschaftlichen Belastungen als einen Treiber der Kriminalität. Im Bericht heißt es, dass in ökonomisch schwächeren Regionen die Anzahl der Fall- und Tatverdächtigen höher ist.
    Für den Kriminologen Prof. Klaus Boers von der Universität Münster spielt auch das Bevölkerungswachstum in Deutschland in den letzten Jahren eine Rolle:

    Mehr Leute heißt mehr Kriminalität.

    Prof. Klaus Boer, Kriminologe

    Die Bevölkerung in Deutschland ist von 2022 auf 2023 um 0,4 Prozent gewachsen, von 84,36 auf 84,7 Millionen Menschen. Als einzige Erklärung für den Anstieg der Straftaten greift diese Erklärung also etwas zu kurz.
    Ein Polizewagen fährt mit Blaulicht auf einer Straße.
    Die Kriminalstatistik für 2023 wird offiziell kommende Woche vorgestellt werden, erste Zahlen kursieren bereits: besonders die Jugend- und die Gewaltkriminalität nehmen weiter zu.06.04.2024 | 2:06 min

    Wie ist der Anstieg der Straftaten von Ausländern einzuschätzen?

    41 Prozent der Tatverdächtigen besitzen nicht die deutsche Staatsangehörigkeit. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung ist allerdings wesentlich kleiner: Er liegt bei nur 16,5 Prozent (knapp 14 Millionen Menschen).
    Die Einteilung in deutsche und nicht deutsche Tatverdächtige führe leicht zu Fehlinterpretationen der Zahlen, meint Kriminologe Tobias Singelnstein. Er ist Professor für Strafrecht an der Goethe-Universität Frankfurt.

    Diese Kategorie "nichtdeutsch" sagt sehr wenig aus, da sie ganz unterschiedliche Menschen vereint, die praktisch nichts miteinander zu tun haben: Touristen, Geflüchtete, aber auch Menschen die seit Jahrzehnten in Deutschland leben.

    Tobias Singelnstein, Kriminologe

    Die möglichen Gründe für die Überrepräsentation in der Statistik seien vielfältig, so Singelnstein. So würden Ausländer bzw. fremd gelesene Menschen häufiger von der Polizei kontrolliert. Auch spiele die unterschiedliche Alters- und Geschlechtsstruktur in dieser Gruppe eine Rolle für die Anzahl der Straftaten. Ganz entscheidend sei aber auch die soziale Lage und die Lebensbedingungen der Menschen - etwa bei Straftaten und Gewalt in Sammelunterkünften für Geflüchtete.
    Auch die Autoren der Kriminalstatistik sehen den Grund für die stark gestiegenen Zahlen ausländischer Tatverdächtiger in der Zuwanderung und verweisen dabei auf die Lebensbedingungen in Erstaufnahmeeinrichtungen, die wirtschaftliche Unsicherheit sowie Gewalterfahrungen.
    Der FDP-Abgeordnete Konstantin Kuhle forderte im ZDF bezogen auf die Kriminalstatistik, dass die Bundesländer Intensivtäter ohne deutschen Pass schneller und konsequenter abschieben.
    Pressekonferenz zum Bericht von Europol
    Aus einem Bericht von Europol geht hervor, dass die EU durch 821 schwerkriminelle Netzwerke bedroht wird. Das Hauptgeschäft der Organisationen sei dabei der Drogenhandel.05.04.2024 | 0:26 min

    Was erfasst die Kriminalstatistik überhaupt?

    Die von den Landeskriminalämtern und dem BKA zusammengestellte Polizeiliche Kriminalitätsstatistik (PKS) erfasst das sogenannte Hellfeld. Also alle bekannt gewordenen Straftaten, die die Polizei in einem Jahr bearbeitet. Keine Rolle spielt, wie die Verdachtsfälle vor Gericht eingestuft und am Ende entschieden werden - also ob ein Tatverdächtiger verurteilt oder freigesprochen wird.
    Auch das sogenannte Dunkelfeld der Kriminalität fließt nicht in die Statistik ein. Gerade die Frage, wie intensiv Straftaten verfolgt werden oder wie viele Kontrollen in bestimmten Bereichen stattfinden, kann die Grenze dabei verschieben. Und zwar ohne, dass sich an dem Umfang der tatsächlichen Kriminalität etwas ändert.

    Die PKS ist eine sogenannte Ausgangsstatistik. Das bedeutet, dass in ihr die der Polizei bekannt gewordenen und durch sie endbearbeiteten Straftaten, einschließlich der mit Strafe bedrohten Versuche und der vom Zoll bearbeiteten Rauschgiftdelikte, abgebildet werden und eine statistische Erfassung erst bei Abgabe an die Staatsanwaltschaft erfolgt. Dabei ist zu beachten, dass die Zahlen auch durch das Anzeigeverhalten in der Bevölkerung beeinflusst werden und neben dem "Hellfeld" ein "Dunkelfeld" nicht erfasster Straftaten bleibt.

    Nicht enthalten sind Staatsschutzdelikte, Verkehrsdelikte (mit Ausnahme der Verstöße gegen §§ 315, 315b StGB und § 22a StVG), Straftaten, die außerhalb der Bundesrepublik Deutschland begangen wurden, Ordnungswidrigkeiten und Verstöße gegen strafrechtliche Landesgesetze, mit Ausnahme der einschlägigen Vorschriften in den Landesdatenschutzgesetzen.

    Delikte, die nicht zum Aufgabenbereich der Polizei gehören (z.B. Finanz- und Steuerdelikte) bzw. unmittelbar bei der Staatsanwaltschaft angezeigt und ausschließlich von ihr bearbeitet werden (z.B. Aussagedelikte), sind ebenfalls nicht in der PKS enthalten.

    Die PKS trifft auch keine Aussage darüber, welchen Verlauf das bei den Justizbehörden in Gang gesetzte Verfahren nimmt, ob also eine Verurteilung erfolgt. Es sind daher auch Fälle beinhaltet, in denen das Verfahren durch die Staatsanwaltschaft eingestellt wurde oder es zu einem Freispruch durch das Gericht gekommen ist.

    Quelle: Polizeiliche Kriminalstatistik 2023

    Die Anzeigenbereitschaft spielt eine große Rolle

    Vor allem die Bereitschaft, bei Straftaten Anzeige zu erstatten, spielt laut Singelnstein dabei eine große Rolle:

    Wir gehen davon aus, dass 90 Prozent der Fälle durch private Anzeigeerstattung zur Polizei kommen und nur ein relativ geringer Anteil von der Polizei proaktiv eingeleitet wird.

    Tobias Singelnstein, Kriminologe

    Als Beispiel gelte der Bereich Gewaltdelikte. Hier verzeichnet die Kriminalstatistik in den letzten Jahrzehnten tendenziell einen Anstieg. Die Wissenschaft gehe aber davon aus, dass es sich dabei um eine Aufhellung des Dunkelfeldes handelt, so der Kriminologe gegenüber dem ZDF: "Das hat eher damit zu tun, dass wir als Gesellschaft sensibler werden gegenüber Gewalt und dass solche Taten stärker geächtet werden als früher."
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    Gewalt in der Partnerschaft ist in Deutschland keine Seltenheit. Für 2022 wurden mehr als 240.000 Fälle von häuslicher Gewalt dokumentiert.08.03.2024 | 1:46 min

    Kieler Kriminologe will PKS abschaffen

    Der Kieler Kriminologe Martin Thüne will die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) in ihrer jetzigen Form gar ganz abschaffen und durch eine bessere Datengrundlage ersetzen. Generell sei die Polizeiliche Kriminalstatistik "eine problematische Datengrundlage", sagte Thüne der "Frankfurter Rundschau".

    Auf dieser Basis zu sagen, Deutschland sei unsicher geworden, halte ich für Unsinn.

    Martin Thüne, Kriminologe

    Er plädiere stark dafür, "dieses PKS-System radikal in Frage zu stellen, sich zusammenzusetzen und etwas Neues zu entwickeln".

    Update am Morgen
    :Was AfD und Kriminalstatistik verbindet

    Die AfD befasst sich mit dem Abgeordneten Petr Bystron, er soll Geld aus Moskau bekommen haben. Am Dienstag erscheint die Kriminalstatistik: was beides verbindet.
    von Lars Bohnsack
    ZDFheute Update am Morgen
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