Zwangsbehandlungen auch außerhalb von Kliniken?

    Bundesverfassungsgericht urteilt:Zwangsbehandlung auch außerhalb von Kliniken?

    von Samuel Kirsch
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    Ärztliche Zwangsmaßnahmen gegenüber betreuten Menschen dürfen nur im Krankenhaus stattfinden. Braucht es Ausnahmen? Dazu entscheidet das Bundesverfassungsgericht.

    Streit um ärztliche Zwangsmaßnahmen
    Psychisch kranke Menschen dürfen im Krankenhaus zwangsweise behandelt werden. Jetzt entscheidet das Bundesverfassungsgericht, ob das in Ausnahmen auch ambulant, etwa im Pflegeheim, möglich sein soll.26.11.2024 | 2:32 min
    Es ist das letzte Mittel, wenn nichts anderes mehr geht: Menschen, die wegen einer Krankheit oder einer Behinderung betreut werden, dürfen auch gegen ihren Willen ärztlich behandelt werden. Das ist ein schwerwiegender Eingriff in ihre Willensfreiheit, der aber unter strengen Voraussetzungen rechtlich zulässig ist, um erhebliche Gesundheitsschäden abzuwenden.
    Es geht beispielsweise um Menschen mit einer geistigen Behinderung oder psychischen Erkrankung, die die Einnahme von dringend benötigten Medikamenten verweigern, oder um Demenzkranke, die eine Dialyse brauchen, aber ablehnen.
    Eine mit einem Textilband festgebundene Hand eines Patienten, Archivbild
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    Gericht beschließt Behandlung aufgrund von Gutachten

    Für sie kann ein Betreuer solche Zwangsmaßnahmen beantragen. Ein Gericht entscheidet auf Grundlage von Gutachten, ob trotz des entgegenstehenden Willens des Patienten die Behandlung durchgeführt wird - notfalls unter Zwang, das heißt beispielsweise, indem Patienten fixiert werden.
    Für solche Maßnahmen gilt strikt: Sie dürfen ausschließlich im Krankenhaus im Rahmen eines stationären Aufenthalts stattfinden, nicht zu Hause und auch nicht in Pflegeheimen oder anderen Einrichtungen. Wenn schon Zwang ausgeübt werden muss, dann soll die Behandlung in einer professionellen, kontrollierten Umgebung durchgeführt werden, so die Überlegung des Gesetzgebers.
    Einige Betroffene empfinden es allerdings umgekehrt gerade als zusätzliche Belastung, immer wieder ins Krankenhaus zu müssen, etwa weil sie über längere Zeit Medikamente einnehmen müssen. Sie möchten, wenn schon gegen ihren Willen, dann zumindest lieber ambulant behandelt werden.
    Dialyse zu Hause
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    Umstritten: Ambulante Zwangsbehandlung

    Die ausnahmslose Klinik-Pflicht ist deswegen umstritten - sowohl unter Betreuern als auch unter Ärzten und Betroffenen. Auch der Bundesgerichtshof (BGH), das oberste deutsche Gericht in Betreuungsfragen, hält die Gesetzesvorschrift für zu eng.
    Weil es um Grundrechte geht, haben die Richterinnen und Richter des BGH die Frage, ob die Klinikpflicht in ihrer jetzigen Form gegen die Verfassung verstößt, ihren Kolleginnen und Kollegen des Bundesverfassungsgerichts vorgelegt. Diese werden heute ihr Urteil verkünden.
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    Klaus Lieb ist Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz. Er kann sich im Ausnahmefall Behandlungen auch außerhalb von Kliniken vorstellen.

    Wenn es dem Patientenwohl dient - also wenn zum Beispiel eine Patientin damit nicht immer wieder monatlich in die Klinik gebracht werden muss und die Zwangsbehandlung immer gut funktioniert - dann kann ich mir vorstellen, dass die Maßnahme auch außerhalb von Kliniken durchgeführt werden kann.

    Klaus Lieb, Uniklinik Mainz

    Vor allem, wenn Zwangsmaßnahmen in der Klinik begonnen würden und man gute Erfahrungen mache, könne die Behandlung im Einzelfall aus Klaus Liebs Sicht auch ambulant fortgesetzt werden - sofern alle medizinischen Standards eingehalten werden.
    Karl Lauterbach (SPD), Bundesminister für Gesundheit,spricht in der Plenarsitzung im Deutschen Bundestag. Die Hauptthemen der 194. Sitzung der 20. Legislaturperiode sind eine Debatte über ein Jahr Nationale Sicherheitsstrategie, die Krankenhausreform, der Gleichwertigkeitsbericht 2024 und ein Gesetzentwurf zur Neuordnung des Wehrdisziplinarrechts.
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    Der Psychiater Wassili Hinüber von der Deutschen Gesellschaft für soziale Psychiatrie hingegen fürchtet eine Ausweitung von Zwangsbehandlungen, wenn Ausnahmen von der Krankenhaus-Pflicht zugelassen werden. Am Rande der mündlichen Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts im Juli sagte er:

    Wir wollen keinesfalls ein neues Feld mit der Behandlung zu Hause aufmachen, weil wir dann fürchten, dass die Dunkelziffer der Behandlungen sehr hoch werden wird.

    Wassili Hinüber, Deutsche Gesellschaft für soziale Psychiatrie

    Ein weiteres Argument, das Gegner ambulanter Zwangsbehandlungen anführen: Wird Zwang dort angewendet, wo Patienten wohnen und ihren Lebensmittelpunkt haben, könne dies zu einer Traumatisierung führen.

    Bundesregierung hält an Klinikpflicht fest

    Die Bundesregierung will bislang an der strikten Klinikpflicht festhalten. Der juristische Vertreter der Regierung, der Medizinrechtler Volker Lipp, begründete dies vor Gericht unter anderem damit, dass das Krankenhaus nochmals sorgfältig prüfe, ob die Zwangsbehandlung alternativlos sei. Außerdem biete eine Klinik den besten Rahmen für die Nachsorge, um die Folgen einer Zwangsbehandlung abzufedern.
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    Das Bundesverfassungsgericht wird voraussichtlich an diesem Montag verkünden, ob der Gesetzgeber tätig werden und Ausnahmen von der strikten Klinikpflicht zulassen muss, um einzelnen Betroffenen besser gerecht zu werden. Eines ist aber schon jetzt klar: Dass Zwangsbehandlungen auch weiterhin nur im absoluten Ausnahmefall und nur unter strengsten Voraussetzungen in Betracht kommen, wird sich nicht ändern.
    Samuel Kirsch ist Redakteur in der ZDF-Redaktion Recht und Justiz

    Umstrittene Krankenhausreform in Deutschland