Wechsel von Grünen-Politikerin:Union freut sich auf Sekmen - Grüne wütend
von Daniel Pontzen und Dominik Rzepka
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Paukenschlag im Parlament: Die Mannheimer Abgeordnete Melis Sekmen düpiert mit ihrem Wechsel zur Union ihre bisherige Fraktion. Aufhorchen lässt vor allem ihre Begründung.
Melis Sekmen wechselt von den Grünen zur Unionsfraktion.
Quelle: dpa
Er war in sehr aufgeräumter Stimmung und für ihn war die Nachricht auch nicht ganz so überraschend gekommen. Thorsten Frei, der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, wirkte am Dienstag ein wenig so wie der Manager eines Fußball-Bundesligisten, der einen Transfer-Coup gelandet hat und nun der Presse darüber berichtet.
Man freue sich sehr über die Verstärkung, der Zugang habe eine sehr interessante Vita und den Wechsel auch von sich aus "nachvollziehbar und sehr gut begründet".
In Wahrheit war es natürlich Melis Sekmen selbst, von der die Initiative zu diesem in der Tat spektakulären Wechsel ausging. Spektakulär in zweierlei Hinsicht: Zum einen, weil er mitten hinein platzt in die neuerliche Ampel-Haushalts-Hängepartie und das sie umwabernde Geraune über mögliche vorgezogene Neuwahlen. Ausgerechnet da ein Wechsel weg von der Ampel hin zur Fraktion jenes potenziellen Kanzlerkandidaten, den man in großen Teilen der Ampel mit heißer Leidenschaft ablehnt: touché.
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So begründet Sekmen ihren Wechsel
Zum anderen aber – und das dürfte Friedrich Merz und seine Fraktionsmitglieder noch mehr frohlocken lassen – fügte sich die Begründung der Mannheimer Abgeordneten geschmeidig ins seit längerem eingeübte Argumentationsmuster der Union.
Es sind also nicht bloß inhaltliche Positionen, mit denen sie ihre Entscheidung als "Ergebnis eines langen Prozesses" begründet – sondern: Es rührt ans Prinzipielle, an die Art und Weise, wie man in ihrer bisherigen Partei Politik macht, sagt die 30-Jährige.
Heftige Kritik an Sekmen aus Grünen-Fraktion
Besonders bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang der Hinweis, man brauche eine "Debattenkultur, in der Menschen ihre Meinung und ihre Sorgen sagen können, ohne in Schubladen gesteckt zu werden."
Dem darin mitschwingenden Vorwurf, die Meinungsfreiheit werde derzeit mindestens indirekt eingeschränkt, haben Grüne stets mit großem Nachdruck widersprochen. Dass ihn nun jemand erhebt, der jahrelang in ihrer Mitte war, kann in der Fraktion niemandem gefallen.
Tut es auch nicht. Sekmen sei in eben dieser Fraktion umstritten gewesen, heißt es aus deren Mitte, sie solle "als schwierig" gelten. Auch wird kolportiert, sie habe einen hohen Verschleiß an Mitarbeitern. Nach ZDFheute-Informationen gibt es sogar einen Stammtisch ehemaliger Mitarbeiter, die es in ihrem Büro nicht mehr ausgehalten haben.
Union und Grüne liefern sich harte politische Auseinandersetzungen. Eine Grünen-Abgeordnete entscheidet sich nun dafür, bei der CDU mitzuarbeiten. Das hat es lange nicht gegeben.
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Grüne fordern Verzicht auf Mandat
Auch von Kritik an ihrer Arbeit wird – nun – berichtet, insbesondere an ausbleibenden Ergebnissen. Es heißt, nicht zuletzt deswegen hätte Sekmen wohl keinen guten Listenplatz mehr für die nächste Bundestagswahl bekommen. Ihr Wiedereinzug ins Parlament habe daher parteiintern als unwahrscheinlich gegolten.
Die Co-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann sagte bei ihrem öffentlichen Statement, sie sei gestern Abend informiert worden. "Das bedaure ich sehr, aber das ist jetzt die Situation." Einen Dank oder eine Würdigung für Sekmens Arbeit erwähnt Haßelmann nicht, sie äußerte vielsagend:
Wut klingt im Statement des Grünen-Kreisverbandes Mannheim mit. Sekmen sei über die grüne Landesliste in den Bundestag eingezogen und müsse deshalb ihr Mandat abgeben, damit eine andere Person der gewählten Liste nachrücken könne, heißt es. CDU-Chef Friedrich Merz weist diese Forderung zurück: Sekmen sei "eine frei gewählte Abgeordnete und nur ihrem Gewissen verpflichtet - und dem folgt sie".
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CDU gibt Sekmen keine Garantie
In der CDU scheinen die Arme weit geöffnet. Wenngleich man ihr aktuell – jedenfalls öffentlich – keine Garantie dafür gibt, sie bei der nächsten Wahl in ihrem bisherigen Wahlkreis aufzustellen. Man freue sich sehr über den frischen Impuls, heißt es.
Sekmen, Obfrau im Wirtschaftsausschuss, sei ihm seit ihrem Parlamentseinzug 2021 als profilierte Fachpolitikerin aufgefallen, betont Thorsten Frei - mit ihrer Expertise bei Startups beackere sie ein zukunftsträchtiges Feld. "Wir freuen uns, dass sie unser politisches Angebot so überzeugend findet", sagt der CDU-Mann. Und weiter:
"Schritt nach vorne"
Ob Sekmen irgendwann womöglich als Moderatorin einer schwarz-grün(enthaltend)en Koalition im Bund fungieren könnte? Dazu müsste wohl neben einem entsprechenden Wahlergebnis noch etwas Zeit ins Land gehen – und etwas Wut verrauchen.
An kleinen semantischen Spitzen gegenüber ihrer ehemaligen politischen Heimat hat sie es tatsächlich nicht mangeln lassen. Der Abschied von den Grünen – und somit aus der selbst ernannten "Fortschrittskoalition" – sei für sie, so Sekmen, "ein Schritt nach vorne".