Europawahl: Den Grünen laufen vor allem die Jungen davon

    Analyse

    Nach Traumergebnis vor 5 Jahren:Den Grünen laufen vor allem die Jungen davon

    Patricia Wiedemeyer
    von Patricia Wiedemeyer
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    Das Resultat der Europawahl ist für die Grünen ein Debakel. Vor allem bei den unter 30-Jährigen fällt das Wahlergebnis für die Partei enttäuschend aus. Wie konnte es dazu kommen?

    Omid Nouripou, Terry Reintke und Ricarda Lang nehmen an einer Pressekonferenz teil am 10.06.2024.
    Die Grünen haben bei der Europawahl massiv an Wählerstimmen verloren.
    Quelle: dpa

    Wie konnte das passieren? Das fragten sich wohl alle, nicht nur die, die gestern Abend zum Wahlabend in die Columbiahalle nach Berlin kamen. Eine grüne Wahlparty sollte es werden. Dass das Traumergebnis von 20,5 Prozent von vor fünf Jahren nicht erreicht werden konnte, war klar. Aber 14 bis 15 Prozent, wie in Umfragen vorhergesagt, das wäre schon schön gewesen, damit hatten sie gerechnet.
    Doch dann der Absturz, nur noch 11,9 Prozent, das Entsetzen war groß. Schweigen und Fassungslosigkeit in der ganzen Halle. Die Grünen können sich anscheinend noch nicht einmal mehr auf ihr Stammklientel verlassen. Auch nicht auf die jungen Wähler, für die die Ampel-Koalition doch das Wahlalter auf 16 Jahre herabgesetzt hat. Vor allem die Grünen hatten dafür gekämpft.
    Blitzanalyse: Wen wählten die 16- bis 24-Jährigen
    Blitzanalyse der Forschungsgruppe Wahlen: Wen wählten die 16- bis 24-Jährigen?
    Quelle: ZDF/Forschungsgruppe Wahlen

    Grüne wollen Vertrauen zurückgewinnen

    Nicht nur am Sonntagabend, auch am Montag noch sind sie fassungslos, suchen nach den Gründen, wagen noch nicht über wirkliche Konsequenzen nachzudenken. Man werde viele Steine umdrehen müssen, kein weiter so, das ist die Botschaft der Parteivorsitzenden Omid Nouripour und Ricarda Lang. Man will sich Zeit lassen.
    Und natürlich sei es ja kein Problem nur der Grünen. Nein, die gesamte Ampel wurde abgewatscht. Daher müsse man nun Vertrauen in die Ampel zurückgewinnen. Fragt sich nur, wie? Schon einen Tag nach der Wahl streiten sie wieder über den Haushalt. Alle Appelle, den Streit darüber nicht öffentlich auszutragen, verhallen.
    Anton Hofreiter Grüne
    Die Folgen der Klimakrise hätten nicht mehr das Potenzial, die Menschen für die Grünen zu mobilisieren, meint der Grünen-Bundestagsabgeordnete Anton Hofreiter.09.06.2024 | 1:09 min

    Erste Rücktrittsforderungen innerhalb der Grünen

    Zu der Frage, ob es an der Kandidatin lag, ob das Führungs-Sextett aus Habeck, Baerbock, Nouripour, Lang, Hasselmann und Dröge noch das Richtige ist, keine Äußerung. Ein oder höchstens zwei Personen, die vorne stehen, es wäre übersichtlicher für die Wähler.
    Ob der Wahlkampf auf die richtigen Themen gesetzt hat, ob er gut organisiert war, auch dazu keine Antwort. Am Wahlabend gab es bereits erste Forderungen nach einem Rücktritt von der Geschäftsführerin Büning, die für den Wahlkampf verantwortlich war. Doch das wäre nur ein Bauernopfer.
    09.06.2024, Berlin: Eine Frau wirft in einem Wahllokal im Bezirk Lichtenberg ihren Wahlzettel für die Europawahl ein.
    Die Union klar stärkste Kraft, SPD und Grüne verlieren, AfD und BSW gewinnen. Was sind die Reaktionen im politischen Berlin nach der Europawahl? 10.06.2024 | 2:34 min

    Klimaschutz nicht mehr das dringendste Thema

    Die Grünen haben das Problem, dass der Klimaschutz, für den sie stehen, nicht mehr wie 2019 im Fokus der Menschen steht. Hinzu kommt das schlecht gemachte Heizungsgesetz, das viele Bürger überfordert. Für die anderen, die mehr Klimaschutz wollen, haben die Grünen auch nicht geliefert, weil im neuen Klimaschutzprogramm die Sektorziele aufgegeben wurden. Es fehlt die klare Linie beim urgrünen Thema.
    Omid Nouripour Grüne
    Nach den ersten Hochrechnungen zeigt sich Omid Nouripour, Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, unzufrieden. Gerade bei den jungen Wählern hat die Partei verloren.09.06.2024 | 3:54 min
    Für die Wähler stand diesmal eher das Thema Asyl und Migration im Vordergrund. Doch auch hier ist unklar, was die Grünen eigentlich wollen, im EU-Parlament stimmten sie gegen den EU-Asylkompromiss, in Berlin stimmten sie zu, was denn nun? Vor der Europawahl wusste keiner, was bekommt man, wenn man grün wählt.
    Und beim Thema Ukraine-Krieg werden so manche linke, pazifistische, urgrüne Wähler, die Waffenlieferungen an die Ukraine ablehnen, den Kurs von Baerbock, Habeck und Hofreiter nicht gutheißen.
    EU-Wahl: "Grüne überfordern Gesellschaft"
    "Sie sind zerrissen, zwischen dem einerseits Pragmatisch-Sein in der Koalition, also Mitregieren, und andererseits natürlich doktrinär", wie mit dem Heizungsgesetz, dies sei vielen Leuten zu viel, so moma-Politikexperte Theo Koll.10.06.2024 | 4:45 min
    Der Traum von der grünen Volkspartei, er ist erst einmal ausgeträumt. Auch wenn das Ziel nicht aufgegeben wird. Auf die grüne Kernklientel ist aber anscheinend auch kein Verlass mehr, zu unklar ist der grüne Kurs.

    Özdemir fordert klaren Kurs beim Thema Migration

    Cem Özdemir fordert von den Grünen mehr Klarheit bei innerer Sicherheit, mehr Klarheit beim Umgang mit dem Islamismus.

    Wir müssen den Leuten deutlich machen, wir können Sicherheit, wir können Zuwanderung steuern. Entweder können wir's, dann werden wir wieder gestärkt, oder wir können's nicht, dann verlieren wir halt zu Recht.

    Cem Özdemir (Grüne), Bundeslandwirtschaftsminister

    Es fehlt ein klarer Kurs, es fehlen Personen, wenige, die für die Partei stehen, das ist die Bilanz. Die Frage, ob die Grünen einen Kanzlerkandidaten oder eine Kanzlerkandidatin aufstellen ist da fast schon eine absurde Diskussion. Vielleicht müssen die Grünen erst einmal die Schockstarre nach diesem katastrophalen Ergebnis überwinden.
    Özdemir: "Problembewältigung beweisen"
    "Schaffen es Demokraten zu zeigen, dass wir Probleme lösen können? Entweder können wir es, dann werden wir wieder gestärkt, oder wir können es nicht, dann verlieren wir halt zu Recht", sagt Bundesminister Cem Özdemir, B‘90/Die Grünen.10.06.2024 | 6:12 min

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