Wehrhafte Demokratie: Wie robust ist unsere Verfassung?

    Debatte um wehrhafte Demokratie:Wie robust ist unsere Verfassung?

    Jan Henrich
    von Jan Henrich
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    Sorge vor Wahlerfolgen autoritärer Populisten haben eine Debatte entfacht, wie sich unsere Demokratie absichern lässt. Doch wasserdicht lässt sich keine Verfassung gestalten.

    Gundgesetzbuch der Bundesrepublik Deutschland
    Lässt sich das Gundgesetzes wasserdicht schützen?
    Quelle: imago/penofoto

    Als der Parlamentarische Rat am 1. September 1948 zusammentrat, um das Grundgesetz auszuarbeiten, war man bestrebt, aus den Fehlern der Weimarer Republik zu lernen. Mit zahlreichen Sicherungsmechanismen wollte man die Demokratie stabilisieren und weniger krisenanfällig gestalten.
    Parlamentsauflösungen wurden beispielsweise erschwert, die Rolle des Bundespräsidenten begrenzt und Macht auf verschiedene Schultern verteilt. Doch die Sorge vor Wahlerfolgen autoritärer Populisten in Deutschland hat erneut eine Debatte um die Stabilität unseres Grundgesetzes entfacht. Auch mit Vorschlägen, um Kontrollinstanzen wie das Bundesverfassungsgericht abzusichern.

    Justiz und Medien im Visier autoritärer Machthaber

    Wie anfällig die Demokratie ist, daran forschen Juristen des Portals Verfassungsblog. Im "Thüringen Projekt" entwerfen sie verschiedene Szenarien rund um den fiktiven Wahlerfolg einer autoritären Partei bei einer Landtagswahl.
    Sie orientieren sich dabei an Vorgehensweisen beispielsweise in Polen, der Türkei oder Ungarn. Autoritäre Machthaber hätten vor allem Justiz, Medienlandschaft und das Wahlrecht im Blick, um einen Staat zu den eigenen Gunsten umzubauen. "Als allererstes würden sie wahrscheinlich die Gerichte angreifen und als Akteur neutralisieren", erklärt Marie Müller-Elmau von Verfassungsblog.de und ergänzt:

    Das bedeutet vor allem, dass versucht würde, die Gerichte mit eigenen Leuten zu besetzen.

    Marie Müller-Elmau, Verfassungsblog.de

    Das Perfide dabei sei, dass der Abbau demokratischer Sicherungen meist schrittweise erfolge, ohne eindeutige Gesetze - oder Verfassungsbrüche.
    Auf dem Bild sieht man Plakate auf denen Politiker abgebildet sind.
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    Schwachstelle: Wahl der Bundesverfassungsrichter

    Und auch das deutsche Grundgesetz hat Schwachstellen. Eine davon ausgerechnet bei den obersten Verfassungshütern selbst. Die Rolle des Bundesverfassungsgerichts ist zwar im Grundgesetz festgeschrieben und kann nur mit verfassungsändernden Mehrheiten geändert werden. Der Aufbau und das Prozedere zur Richterwahl sind allerdings in einem einfachen Gesetz geregelt.
    Das heißt, sie könnten auch mit einer einfachen Bundestagsmehrheit angepasst werden. Würde man beispielsweise das Gericht durch ein solches Gesetz vergrößern, könnte man auf einen Schlag zahlreiche neue Richterposten mit parteinahem Personal besetzen. Das Bundesverfassungsgericht würde als Kontrollinstanz faktisch lahmgelegt.

    Forderungen nach Absicherung im Grundgesetz

    Auch deshalb werden aktuell Forderungen laut, das Verfassungsgericht besser abzusichern. Die parlamentarischen Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Johannes Fechner, und der FDP-Bundestagsfraktion, Stephan Thomae, hatten jüngst vorgeschlagen, wichtige Aspekte zu Richterwahl und Aufbau des Gerichts im Grundgesetz selbst zu verankern. Dann ließen sich diese nur mit einer Zweidrittel-Mehrheit ändern.
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    Allerdings könnte eine Partei, die über ein Drittel der Stimmen verfügt, danach auch notwendige Anpassungen blockieren, sie hätte dann eine sogenannte Sperrminorität. Gerade mit Blick auf die Wahlumfragen der AfD wäre das kein vollkommen unrealistisches Szenario.

    Ex-Verfassungsrichter hält Pläne für nicht praktikabel

    Aus diesem Grund ist der ehemalige Verfassungsrichter Peter M. Huber skeptisch, was solche Pläne angeht. Die Diskussion um die Sicherung des Verfassungsgerichts gebe es schon länger, sagt er gegenüber dem ZDF. Solche Vorschläge hätten allerdings Schattenseiten.
    Das Grundgesetz halte genügend andere Instrumente gegen verfassungsfeindliche Parteien bereit.

    Ich bin im Prinzip optimistisch, dass die wehrhafte Demokratie, die das Grundgesetz etabliert, auch vor neuen Herausforderungen gefeit ist.

    Peter M. Huber, Ex-Verfassungsrichter

    Dass eine Verfassung wasserdicht sein könnte, hält Huber ohnehin für nicht möglich. Es komme darauf an, ob die Bürger die Verfassung tragen und mit Leben füllen würden.
    Jan Henrich ist Redakteur in der ZDF-Redaktion Recht und Justiz.

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