Jüdische Studierendenunion: "Aiwanger kein Einzelfall"
Interview
Antisemitismus-Affäre:Aktivistin: "Aiwanger ist kein Einzelfall"
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Aiwangers Partei legt in Umfragen zu - trotz des Skandals um ein antisemitisches Flugblatt. Hanna Veiler von der Jüdischen Studierendenunion über Verantwortung und Aufarbeitung.
Bewachte Synagoge in Berlin: "Vergessen ist vor allem für diejenigen einfach, die nicht täglich in ihrer Existenz bedroht werden", sagte Hanna Veiler über Antisemitismus in Deutschland.
Quelle: dpa
Wenige Wochen vor der Landtagswahl in Bayern wurden gegen Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger schwere Vorwürfe erhoben: Er soll als Schüler ein antisemitisches Flugblatt bei sich geführt zu haben. Autor der Schrift gewesen zu sein, wies Aiwanger zurück, doch sein Umgang mit dem Sachverhalt brachte ihm nicht nur Kritik von der bayerischen Opposition, sondern auch von verschiedenen Verbänden ein - allen voran jüdischen.
ZDFheute: Frau Veiler, Hubert Aiwanger macht in Festzelten weiter Wahlkampf. Sie hatten seinen Rücktritt gefordert. Überrascht Sie der Verlauf der Debatte?
Hanna Veiler: Eigentlich bin ich eher schockiert, wie wenig es uns Jüd*innen überrascht hat.
ZDFheute: Wieso?
Veiler: Aiwanger ist kein Einzelfall. Das Traurige ist eigentlich, dass wir das alles erwartet haben - kein Diskurs über Antisemitismus endet in Deutschland mit Eigenverantwortung. Der Fall Aiwanger bedeutet für uns, dass wir uns bei Antisemitismus nicht auf Politiker*innen verlassen können.
Quelle: ZDF
... ist Vorsitzende der jüdischen Studierendenunion Deutschland. Veiler wurde 1998 in Belarus geboren und wuchs ab 2005 in Süddeutschland auf. Neben ihrem Amt ist sie als politische Bildnerin und Publizistin tätig.
ZDFheute: Viele halten zu Aiwanger und sprechen von einer Jugendsünde. Spielt sein Alter für Sie keine Rolle?
Veiler: Es geht nicht darum, was er als 17-jähriger Junge gemacht hat. Sondern wie er als 52-jähriger Erwachsener damit heute umgeht.
ZDFheute: Wie hätte er mit den Vorwürfen umgehen sollen?
Veiler: In einer perfekten Welt hätte er direkt beim Aufkommen der Vorwürfe sofort zugegeben, dass er diese Vergangenheit hat und er hätte anerkannt, dass er eine Verantwortung dafür trägt. Das wäre für uns ein erster Schritt gewesen.
Stattdessen hat er von einer Schmutzkampagne gesprochen. Seine Entschuldigung war nur halbherzig und seine Antworten auf den Fragenkatalog sind nicht ernst zu nehmen.
"Das ist eine klare Positionierung und kein Streich": Jörg Skriebeleit über die Antisemitismusvorwürfe gegen Hubert Aiwanger und Bayern in den 1980ern. 31.08.2023 | 9:28 min
ZDFheute: Inzwischen ebbt die Diskussion ab - auch die Medien berichten immer weniger über den Fall.
Veiler: Ja, das ist so eine Schlussstrich-Mentalität. Das ist etwas, was junge Jüdinnen und Juden nicht so machen können. Politiker*innen sprechen immer von "Nie Wieder", aber ziehen keine Konsequenzen daraus. Erinnern ohne einen Bezug zur Gegenwart macht keinen Sinn.
ZDFheute: Dabei diskutiert Deutschland doch immer wieder über Antisemitismus?
Veiler: Niemand beschäftigt sich gerne mit Antisemitismus in den eigenen Reihen - stattdessen wird das Problem immer auf andere Gruppen geschoben.
Und das ist auch das, was Hubert Aiwanger macht: Er versteht nicht, dass wir alle mit antisemitischen Codes sozialisiert werden. Dabei haben viele Deutsche ihre eigene Biografie nicht einmal aufgearbeitet. Familie Aiwanger ist nicht die einzige, bei der sowas hätte passieren können.
ZDFheute: Was bedeutet das für junge Jüdinnen und Juden?
Veiler: Die junge jüdische Gemeinschaft wehrt sich. Wir werden weiterarbeiten müssen, wir werden weiter laut sein. Und wir werden weiter darauf aufmerksam machen müssen, dass es rechte und antisemitische Tendenzen in diesem Land gibt. Vergessen ist vor allem für diejenigen einfach, die nicht täglich in ihrer Existenz bedroht werden.