Sind Proteste antisemitisch?:Das unterscheidet Judenhass von Israel-Kritik
von Lara Wiedeking
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Der Israel-Hamas-Krieg befeuert weltweit Antisemitismus und Antizionismus. Und es stellt sich die Frage, was sachliche Israel-Kritik ist - und wo Grenzen überschritten werden.
An einem Freitag Ende Oktober strömten Hunderte Protestierende in den Bahnhof Grand Central in New York City und forderten eine Feuerpause im Gazastreifen. Drei Wochen waren seit den Terroranschlägen der Hamas im Süden Israels vergangenen, bei denen über 1.000 Israelis ermordet worden waren.
Solche Proteste gibt es weltweit in den vergangenen Wochen - organisiert von unterschiedlichsten Gruppierungen. Auch von solchen, die radikale anti-israelische Ideen und Ideologien verbreiten. Was davon aber ist Antizionismus, was Antisemitismus - und was ist einfach sachliche Kritik an Israel?
Viele der Teilnehmer dieser Israel-kritischen Protestaktionen würden zum Beispiel Begriffe und Wendungen nutzen, die eine jüdische Weltverschwörung implizierten. Das erklärt Juliane Wetzel, Historikerin und Antisemitismus-Forscherin an der TU Berlin:
Antizionismus, Antisemitismus und Israel-bezogener Antisemitismus
"Antizionismus ist eine Bewegung, die es gibt, seitdem es den Zionismus gibt", erlärt Wetzel. Anfang des 20. Jahrhundert gab es unter anderem eine innerjüdische Debatte dazu, ob ein jüdischer Staat die Antwort auf Antisemitismus sein sollte - lange bevor Israel 1948 gegründet wurde.
Stimmen, die sich dagegen aussprachen, galten als Antizionisten. Allerdings hatten auch die deutschen Nationalsozialisten schon früh gegen die Idee eines zionistischen Staates agitiert.
Die politische Bewegung des Zionismus entstand im 19. Jahrhundert als Reaktion auf die Pogrome in Osteuropa und die wachsenden Anfeindungen gegen Juden in Europa. Die Zionisten suchten einen Ort, um vor Verfolgung sicher zu sein. Palästina sollte die neue Heimat werden. Durch die Gründung des Zionistischen Weltkongress 1897, dessen Präsident Theodor Herzl war, wurde der Zionismus zu einer wichtigen geistigen Strömung in Europa. Herzl lieferte mit seinem Werk "Der Judenstaat" die Grundlage für diese Ideologie.
Wenn Antizionismus in Antisemitismus übergeht
Mit der Staatsgründung, so Professor Lars Rensmann, Politikwissenschaftler an der Universität Passau, habe der Antizionismus aber seine letzte Unschuld verloren. Denn wenn die Existenzberechtigung des Staates Israel und sein Recht auf Selbstverteidigung in Frage gestellt werden, wie es im Antizionismus geschieht, und dies auch noch exklusiv gegenüber dem jüdischen Staat, gehe die Feindschaft gegen Israel häufig in Antisemitismus über, so Rensmann:
Die Nähe vom Antizionismus zum Antisemitismus lasse sich bis in die 1930er Jahre zurückverfolgen und wurde schon in frühen Reden von Adolf Hitler gefunden.
Heute sieht Rensmann eine hohe Korrelation zwischen Antisemitismus und Antizionismus, das lasse sich auch empirisch belegen: "Je stärker die Ablehnung der Idee eines Zionismus, also einer jüdischen, politischen Selbstbestimmung, eines jüdischen Staates, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass jemand antisemitische Ressentiments hegt."
Antisemitismus getarnt als Israel-Kritik
Statt des historischen Begriffs des Antizionismus werde in der Wissenschaft häufig von Israel-bezogenem Antisemitismus geredet, so Rensmann. Dabei werde Israel als Projektionsfläche genutzt, um antisemitische Vorurteile zu verbreiten.
Judenfeindlichkeit, getarnt als vermeintlich legitime Kritik am Staat Israel, so erklärt es auch die Bundeszentrale für politische Bildung. So lassen sich judenfeindliche Ressentiments verbreiten, ohne von "den Juden" reden zu müssen.
Was ist sachliche Kritik am Staat Israel?
Die Diskussion in Bezug auf Israel und Palästina sei häufig binär, beobachtet Rensmann: "Insbesondere im Zeitalter der sozialen Medien wollen die Menschen einfache, klare, pauschale Schuldzuweisungen.
In Deutschland verläuft die öffentliche Debatte derzeit relativ sachlich - in vielen Ländern herrscht aber ein hoch emotional aufgeladener Diskurs, in dem die Welt in gut und böse eingeteilt wird, und in der öffentlichen Meinung erscheint dabei Israel, dessen Zivilbevölkerung von der Hamas brutal angegriffen worden ist, als böser kolonialer Unterdrücker. Solche Wahrnehmung sperrt sich aber gegen die Realitäten im Nahen Osten und der Komplexitäten des Nahen Ostens."
Kritik am Staat Israel oder seiner Politik sei nicht automatisch antizionistisch oder antisemitisch, das sagt auch Juliane Wetzel. Vor den Massakern der Hamas an der israelischen Bevölkerung hätten auch Jüdinnen und Juden zu hunderttausenden gegen die Justizreform demonstriert:
Auch historische Vergleiche zur NS-Zeit seien kritisch, zum Beispiel wenn das Handeln der Israelis gegenüber den Palästinensern mit dem der Deutschen gegenüber den Juden gleichgesetzt wird.
Natürlich stehe es jedem frei, Israels Regierung zu kritisieren und auch den Einsatz im Gazastreifen - es kommt aber darauf an, ob antisemitische Stereotype bedient werden oder nicht. Leider sei aber genau dies bei solchen Demonstrationen, wie in New York, Berlin und weltweit, häufig zu beobachten.
Mit dem Angriff der radikalislamischen Hamas auf Israel ist der Nahost-Konflikt eskaliert. Israel greift infolge der Terrorattacke Ziele im Gazastreifen an. Ein Rückblick.