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Kanada fährt die Ellenbogen aus:Boykott als Antwort auf Drohungen aus den USA
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Trumps Zoll- und Annexionsdrohungen lösen Existenzängste in Kanada aus und machen gleichzeitig mobil. Mit "Canada first" und Massenboykott von US-Produkten antworten die Kanadier.
Unterwegs am äußersten Zipfel Neuschottlands. 75 Prozent der kanadischen Provinz ist bewaldet, die Menschen leben vom Holzexport. Hier seien die Bewohner eigentlich so ruhig und widerstandsfähig, wie ihre Bäume, erklärt uns Holzfäller Ryan Scott. Doch Trumps tosende Androhungen von Strafzöllen und Annexion haben sie hier in einen Schock versetzt. Es fehlen ihm fast die Worte, als Ryan Scott erklärt, dass sie gar nicht wüssten, wie sie das alles verkraften und einordnen sollen.
Existenzangst in kanadischen Unternehmen
Hilflos und ausgeliefert fühlen sich viele Menschen in Neuschottland, denn ihre Existenz hängt an den Holzexporten in die USA. Beim größten Arbeitgeber der Region, eine Papierfabrik in Port Hawkesbury, ist das Stimmungsbild ähnlich. Ihr Papier geht zu 98 Prozent in die USA. Doch die Handelspartner haben schon signalisiert, dass sie die Verträge kündigen werden, sollten die Zölle kommen. CEO Mike Hartery versucht die Moral in der Firma durch mutmachende Mails aufrecht zu erhalten, doch das sei schwierig, erklärt er uns.
Es gibt nichts an der Situation zu beschönigen. Und wenn Deine Kinder dich danach fragen, dann ist klar: das Problem ist bei jedem Zuhause angekommen.
Mike Hartery, Geschäftsführer Port Hawkesbury
Nicht nur hier, sondern in ganz Kanada sind viele Branchen existenzgefährdet. 77 Prozent aller kanadischen Exporte gehen in die USA. Das macht ein Fünftel des Bruttoinlandsproduktes aus. Für die meisten ist es schwer, schnell neue Handelspartner zu finden, dafür ist die Wirtschaft der beiden Länder zu eng verbunden.
Auch in der Provinz Quebec ist der Schock zu spüren. Doch in Schockstarre verfallen wollen sie nicht, erklärt Claire St Germain. Die Rentnerin ist wütend. Kanada stünde doch nicht zum Verkauf, meint sie und schimpft auf Donald Trump: "Der will alles besitzen, sein Ego ist größer als das der gesamten Vereinigten Staaten."
"Wir müssen die Ellenbogen ausfahren"
Sie und andere Kanadier sind in einer Zuckerhütte zusammen gekommen, wo traditionell der Beginn der Ahornsirupsaison gefeiert wird. Doch die Feierstimmung ist getrübt. In die liebgewonnene Tradition mischt sich trotziger Patriotismus. "Wir müssen uns auf uns besinnen und die Ellenbogen ausfahren", das hört man jetzt überall. Und aus dem Gedanken ist eine ganze Boykottbewegung entstanden. Und viele machen mit - selbst bei der Urlaubsplanung.
Martin Chaput beispielsweise verzichtet auf seinen jährlichen Skiurlaub in Vermont und die angebrochene Flasche amerikanischer Bourbon will er auch zu lassen, bis Trump wieder weg ist. "Für die nächsten vier Jahre sind die USA für mich gestorben," sagt er, obwohl er eigentlich nichts gegen die Amerikaner habe, nur gegen deren Regierung.
Aus Americano wird Canadiano
Er ist nicht der einzige. Die Reisebuchungen in die USA sind aktuell um 75 Prozent gesunken. Und der amerikanische Whiskey fliegt sowieso gerade aus den Supermärkten. Beim Bäcker in Montreal gibt es den Bagel in den Nationalfarben und dazu im Café nebenan einen Canadiano - nicht Americano. Und die beiden Informatiker Chris und Alex haben eine App entwickelt, die den Boykottwilligen beim Einkaufen hilft.
Man muss nur das Produkt im Supermarkt scannen und die App zeigt, wo es hergestellt wurde. Die Bewegung zeigt Wirkung: Allein im Februar sind die Käufe kanadischer Produkte um zehn Prozent gestiegen.
Es ist wohl die Ruchlosigkeit des befreundeten Nachbarn, die die Kanadier bis ins Mark getroffen hat. Und selbst wenn die Zölle eine Drohung bleiben, der Vertrauensverlust wiegt schwer von Montreal bis in die Wälder von Neuschottland, wo sie nie geglaubt haben, dass ihre Existenz einmal durch den amerikanischen Präsidenten bedroht sein könnte.
Nicola Albrecht ist Leiterin der ZDF-Korrespondentenstelle New York.
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