Interview
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Kritik an Trumps Tech-Allianz:"Sie können bestimmen, was Menschen denken"
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Schon vor Jahren warnte Ex-Harvard-Professorin Shoshana Zuboff vor den Risiken des Überwachungskapitalismus. Mit der neuen Trump-Regierung sieht sie Demokratie weltweit in Gefahr.
US-Wirtschaftswissenschaftlerin Shoshana Zuboff ist eine scharfe Kritikerin des "Überwachungskapitalismus", bei dem Nutzerdaten dazu dienten, das künftige Verhalten der Menschen vorherzusagen und zu beeinflussen. Tech-Konzerne wie Google hätten den digitalen Raum gefüllt und nicht die Politik, um Demokratie oder Institutionen zu stärken, sagte die ehemalige Harvard-Professorin dem ZDF. Lesen Sie hier das ausführliche Interview:
ZDFheute: Gab es so etwas wie eine Ursünde, die unsere Gesellschaft in die Abhängigkeit der großen Tech-Konzerne gebracht hat?
Shoshana Zuboff: Traurigerweise haben uns demokratische Politiker das eingebrockt. 1997 gaben Präsident Bill Clinton und sein Vize Al Gore Richtlinien für die Digitalwirtschaft heraus. Im digitalen Zeitalter hätten liberale Regierungen das Internet nutzen können, um Demokratie, ihre Werte, Prinzipien und Institutionen zu stärken. Stattdessen aber nutzten sie es als Motor für Kommerz und Wirtschaftswachstum.
Google und Co. füllten den digitalen Raum, denn Clinton und Gore setzten auf radikale Marktöffnung und die neoliberale Ideologie eines Milton Friedman. Scheinbar hatten sie wenig Vertrauen in die Demokratie und ließen der Privatwirtschaft den Vortritt. Sie fanden "die Regierung ist zu langsam und muss den Unternehmen den Weg frei machen".
Quelle: Privat
... ist Wirtschaftswissenschaftlerin, Schriftstellerin und Aktivistin und hat unter anderem das Buch "Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus" veröffentlicht. Sie ist emeritierte Professorin an der Harvard Business School.
Und so rissen sich die Konzerne das Internet unter den Nagel. Und bekamen sogar die Hoheit über Bereiche wie Datenschutz und Cyber-Sicherheit. Was für eine Tragödie!
Als klar wurde, dass die Selbstregulierung nicht funktionierte, da veränderten die Terroranschläge vom 11. September alles.
Shoshana Zuboff, Wirtschaftswissenschaftlerin
Jetzt sollte "total information awareness" herrschen - Massenüberwachung. Und da waren die Internetfirmen gefragt. Damit entstand, was ich "Überwachungskapitalismus" genannt habe.
ZDFheute: Was konnten die Tech-Firmen mit unseren Nutzerdaten anfangen?
Zuboff: Wir alle hinterlassen Spuren im Internet. Google hat als Erster erkannt, wie man sie sammeln und nutzen kann. Aus den Signalen kann man Voraussagen über unser Verhalten treffen. Die "Klickrate" hat die Werbeindustrie revolutioniert und gezielte Werbung ermöglicht. So wurde Google reich und mächtig.
Sie wussten, dass das Diebstahl war und dass die User rebellieren würden, sollte es bekannt werden. Also taten sie es heimlich und belogen die Öffentlichkeit, während sie Daten ernteten - über unsere persönlichen Vorlieben, sexuelle Orientierung, politische Zugehörigkeit und so weiter. Privatsphäre war für sie eine Lachnummer. Der Überwachungskapitalismus wurde möglich, weil die Nachrichtendienste der westlichen Welt ihre Datenernte nutzen konnten.
ZDFheute: Und wie spielt das Ganze Donald Trump und seinen Freunden der Big Tech, allen voran Elon Musk, in die Hände?
Zuboff: Es ist nicht nur Musk, sondern auch Apple, Google, Meta, Alphabet, Amazon, denen Donald Trump Deregulierung versprochen hat. Im Gegenzug sorgen die Überwachungskapitalisten bei Bedarf für Desinformation, die sie entsprechend ihrer fast unbegrenzten Möglichkeiten von Datensammlungen und Verhaltensvorhersagen streuen können.
Sie können bestimmen, wie sich Menschen benehmen. Was sie denken, wen sie treffen, was sie lesen, wohin sie gehen und was sie tun.
Shoshana Zuboff, Wirtschaftswissenschaftlerin
Sie besitzen und kontrollieren die Herstellung und die Verbreitung des gesamten Menschheitswissens und aller Informationen in unserer Zeit. Diese Werkzeuge und die Daten über alle Menschen sind in den Händen einer kleinen Gruppe von Leuten, die nichts als Verachtung für uns übrig haben und denen Demokratie nichts bedeutet.
Von ein solchen Machtfülle konnten die Kaiser und Paschas und Räuberbarone der Weltgeschichte nur träumen. Und es gibt nichts, das sie fürchten müssen - außer gesetzliche Kontrollen.
ZDFheute: Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für unsere Gesellschaft?
Zuboff: Die Konzerne sind zu Trump gekommen, weil er sie vor dem Gesetz beschützen will. Und dafür stellen sie ihm ihre Manipulationswerkzeuge zur Verfügung. Wenn es ihm passt, kann er die nutzen, um die Öffentlichkeit aufzustacheln gegen missliebige Institutionen, die Umweltbehörde EPA oder die Entwicklungshilfe USAID.
Er kann Misstrauen säen, demokratische Einrichtungen schwächen, er kann Menschen einander entfremden, sie "de-sozialisieren". Die Gesellschaft wirkt nicht mehr zusammen, sondern jeder für sich versinkt in einem Sumpf der Lügen. Und niemand kann mehr sagen, was stimmt und was nicht. Das zerreißt unsere Gesellschaft.
ZDFheute: Kann man die Entwicklung noch aufhalten?
Zuboff: Als den Überwachungskapitalisten das Feld überlassen wurde, begann die große Zersetzung, die mittlerweile alles erfasst. Das kann keine Demokratie überleben.
Wir taumeln in eine Dystopie und fragen uns: Wird Selbstbestimmung dieses Jahrhundert überleben oder werden wir unter das Joch von Maschinen und ihren Herrschern kommen?
Shoshana Zuboff, Wirtschaftswissenschaftlerin
Dabei fürchten die Überwachungskapitalisten nichts mehr als die Demokratie, die sie durch die Algorithmen-Herrschaft ersetzen wollen. Wir hätten denen sagen müssen: Nein, ihr habt kein Recht, unser Leben in eure Daten zu verwandeln und sie als Verfügungsmasse zu nutzen, um damit reich und mächtig zu werden. Ihr habt uns bestohlen und das sollte bestraft werden.
Deutschland und die Europäische Union müssen jetzt die Demokratie stärken. Das Geschäftsmodell der Tech-Giganten muss aufgebrochen werden, denn ihr Gewinn wird generiert aus Schnüffelei, Aneignung und Diebstahl. Das Internet könnte ein ebenes Spielfeld für alle sein und nicht die Domäne einiger weniger Großkonzerne.
Die USA werden zurzeit von ihnen verschlungen, aber ich hoffe, dass Deutschland und die EU sich auf ihre Macht besinnen. Wenn sie Grundrechte und Prinzipien hochhalten, dann können sie das Ruder herumreißen für alle liberalen Gesellschaften weltweit. Dafür werden sie gebraucht.
Das Interview führte Gert Anhalt.
Quelle: dpa
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Quelle: ZDF
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