Tunesien-Wahl: Erste Umfragen sehen Präsident Saied vorn

    Wahlen in Tunesien:"Alles eine Farce": Umfragen sehen Saied vorn

    von Lukas Nickel
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    Tunesien hat gewählt: Dass der amtierende Präsident Kais Saied vorne liegt, ist keine Überraschung, sind doch seine Konkurrenten entweder in Haft oder sie durften nicht antreten.

    Proteste gegen die restriktive Politik von Tunesiens Präsident Kais Saied vor der Wahl
    In Tunesien finden Präsidentschaftswahlen statt, aber wichtige Oppositionelle wurden inhaftiert oder nicht zur Wahl zugelassen. Hunderte protestieren gegen den Präsidenten.06.10.2024 | 0:24 min
    Der tunesische Präsident Kais Saied ist bei der Wahl am Sonntag laut Nachwahlbefragungen mit haushoher Mehrheit im Amt bestätigt worden. Die Befragungen von Wählerinnen und Wählern beim Verlassen der Wahllokale ergaben eine Mehrheit von 89,2 Prozent für den seit fünf Jahren amtierenden Staatschef. Das meldete das nationale Fernsehen am Abend. 

    Keine gewichtige Konkurrenz für Saied

    Der seit Jahren zunehmend autoritär herrschende Saied hatte bei dem Urnengang keinen gewichtigen Konkurrenten, deswegen galt die Wiederwahl des 66-Jährigen von vornherein als ausgemacht.  Laut den Nachwahlbefragungen des Instituts Sigma Conseil erreichten Saieds einzige beide Konkurrenten bei der Wahl nur einstimmige Ergebnisse: Der liberale Industrielle Ayachi Zemmal kam demnach auf 6,9 Prozent der Stimmen, der frühere Abgeordnete Zouhair Maghzaoui holte 3,9 Prozent.
    Die wichtigsten tunesischen Oppositionellen sind entweder in Haft oder die Wahlbehörde untersagte ihnen die Kandidatur bei der Präsidentschaftswahl.
    Preparations ahead of the Tunisian presidential elections
    Tunesien wählt einen neuen Präsidenten. Bei der letzten Wahl 2019 gewann Kais Saied. Er steht dieses Jahr auch zur Wiederwahl.05.10.2024 | 1:43 min

    Offizielles Wahlergebnis erst am Mittwoch

    Das vorläufige offizielle Ergebnis der Wahl soll nach Angaben der Wahlbehörde "spätestens" am Mittwoch veröffentlicht werden.
    Die Beteiligung an dem Urnengang war schwach. Nach Angaben der Wahlbehörde gaben nur 27,7 Prozent der 9,7 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimmen ab.  Dies ist die niedrigste Beteiligung bei einer Präsidentschaftswahl in dem nordafrikanischen Land seit der dortigen Revolution im Jahr 2011. Damals war der Langzeitherrscher Zine El Abidine Ben Ali nach Massenprotesten gestürzt worden. Tunesien gilt deswegen als Geburtsland des "Arabischen Frühlings".

    "Saied, deine Zeit ist gekommen"

    Freitagnachmittag, an einem der großen Plätze von Tunesiens Hauptstadt Tunis hatten sich mehrere Hundert Menschen versammelt. "Freiheit, nieder mit dem Polizeistaat" rufen die Demonstrierenden, und "Saied, deine Zeit ist gekommen". Begleitet werden die Demonstrierenden von zahlreichen Sicherheitskräften. Mal in Zivilkleidung, mal in Vollmontur.
    Es gebe keinen Rechtsstaat mehr, sagen sie hier. "Wir zögern, ob wir den Kandidaten, der zurzeit im Gefängnis sitzt, wählen, oder die Wahl ganz boykottieren. Das alles ist eine Farce, wir glauben nicht daran", sagt die Demonstrantin Salama Ben Achour. So deutliche Aussagen sind selten in Tunesien. Viele trauen sich nicht, ihre Meinung zu sagen, aus Angst vor Problemen mit dem Staat.
    Menschen demonstrieren auf der Straße und halte Schilder hoch
    Seit Wochen gibt es in Tunesien immer wieder Demonstrationen.

    Nur drei Kandidaten zur Wahl zugelassen

    Im Vorfeld der Wahl wurden nur drei Kandidaten zugelassen - inklusive Saied. Ayachi Zammel, einer der beiden, wurde jüngst zu zwölf Jahren Gefängnis wegen Dokumentenfälschung verurteilt.
    Mit ausländischen Medien dürfen die Kandidaten und ihre Teams nicht sprechen. Der Sprecher von Ayachi Zammel tut es trotzdem. Er hat wenig zu verlieren, sitzt sein eigener Kandidat doch schon im Gefängnis. "Das derzeitige Regime nutzt alle staatlichen Institutionen, um seine politischen Gegner zu liquidieren. So schafft es ein Klima, das nur dem aktuellen Präsidenten nützt", so Ayachi-Sprecher Ramzi Jebabli.
    Das Interview findet vor dem Kampagnenbüro von Ayachi statt. Kurz danach fragt ein Mitarbeiter der tunesischen Wahlbehörde nach der Arbeitserlaubnis des ZDF-Teams. Ein schnelles Foto des Papiers, und eine klare Botschaft: Wir haben euch im Auge.
    Bei der Wahl in Tunesien wird der Namen eines Mannes auf Stimmberechtigungs-Listen überprüft
    Bis 18 Uhr konnten die Menschen in Tunesien ihre Stimme abgeben.

    Inflation und Kaufkraft für viele wichtigste Themen

    Tunesien seit Jahren vor allem große wirtschaftliche Probleme. Für viele Menschen vor Ort ist die wirtschaftliche Situation das wichtigste Thema in Tunesien. Derzeit liegt die Inflation bei gut sieben Prozent, die Arbeitslosigkeit bei 16 Prozent. Der Staat ist hoch verschuldet.
    Die Märkte von Tunis sind weiterhin gut besucht. Es gibt Gewürze aus großen Säcken, Gemüse, Fisch und Fleisch. Bechir verkauft Kürbisse auf dem Markt. Auch er leidet unter den immer höheren Kosten: "Ich habe Hunger, warum sollte ich wählen gehen?", fragt der Händler, angesprochen auf sein Interesse an den Wahlen.
    Preparations ahead of the Tunisian presidential elections
    Bei der letzten Wahl 2019 gewann Kais Saied. Seine Wiederwahl ist wahrscheinlich.05.10.2024 | 1:43 min

    Europa kooperiert mit Tunesien

    Präsident Saied braucht Geld, um seine Macht am Leben zu erhalten. Dafür verspricht er Ordnung, und das nutzt ihm auch außenpolitisch. Die Europäische Union hat im vergangenen Jahr einen Deal vereinbart. Ein wichtiger Bestandteil: Millionen aus Europa für den Grenzschutz, damit Tunesien keine Geflüchteten mehr nach Europa durchlässt.
    Ein Pakt, der von Menschenrechtlern wie Kamel Jendoubi kritisiert wird. Der Exil-Tunesier und ehemalige tunesische Minister lebt in Frankreich. Nach Tunesien will er derzeit nicht zurückkehren. Zu groß die Angst, im Gefängnis zu landen
    Migranten in Tunesien in einem Lager
    Seit einem EU-Deal mit Tunesien harren dort zehntausende Flüchtlinge in Camps aus. Die Lebensumstände sind erbärmlich, der Traum von Europa in weiter Ferne.15.05.2024 | 6:28 min
    "Europa darf seine Verpflichtungen nicht vergessen", sagt er. Und die seien nicht nur Grenzschutz, sondern auch der Respekt von Demokratie und Menschenrechten. Der Deal selbst scheint zu wirken: Dieses Jahr sind Ankünfte von Geflüchteten aus Tunesien nach Europa deutlich zurückgegangen.
    Saied steht für diesen harten Kurs gegenüber Geflüchteten. Die vorläufigen Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen werden bis Mittwoch erwartet.
    Lukas Nickel ist Redakteur im ZDF-Auslandsstudio Paris. Er berichtet aktuell aus Tunesien von den Wahlen.

    Eine Person hält ein Smartphone in der Hand. Darauf ist der WhatsApp-Channel der ZDFheute zu sehen.
    Quelle: ZDF

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    Quelle: mit Material von AFP

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