Proteste in Georgien: Beobachter beklagen Polizeigewalt

    Gewalt bei Protesten in Georgien:"Sie waren wie Haie, die Blut gerochen haben"

    ZDF-Korrespondent Felix Klauser
    von Felix Klauser, Tiflis
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    Tausende protestieren in Georgien gegen die Regierung. Die reagiert im Konflikt mit der pro-europäischen Opposition mit Razzien und Festnahmen. Beobachter beklagen Polizeigewalt.

    Georgien, Tiflis, Polizei nimmt Demonstranten fest
    In Georgien gibt es seit mehr als einer Woche pro-europäische Proteste, während die Regierung immer härter gegen Demonstrierende vorgeht.
    Quelle: AP

    Als Zviad Maisashvili von dem Abend berichtet, der ihn ins Krankenhaus brachte, merkt man ihm an, wie schwer ihm das fällt - emotional, vor allem aber physisch: das Gesicht noch immer geschwollen, Verbände über Nase und Stirn. Mehrere Knochenbrüche hat er sich zugezogen, als er gegen die georgische Regierung protestierte und Polizisten ihm ins Gesicht traten - obwohl er schon wehrlos am Boden lag.

    Sie waren wie Haie, die Blut gerochen haben. Sie wollten die Leute schnappen und so heftig wie möglich schlagen. Das ist nicht sehr menschlich.

    Zviad Maisashvili

    Vor drei Tagen durfte Zviad das Krankenhaus verlassen, bald will er wieder protestieren. Seit gut einer Woche ist die pro-europäische Opposition in Georgien auf der Straße, Tausende sammeln sich Nacht für Nacht vor dem Parlament in Tiflis. Sie protestieren gegen den Kurs der Regierung - und für ihren Traum von Europa.
    Georgien Proteste
    Bei den Protesten in Georgien ist es zu schwerer Gewalt gekommen. In Tiflis griffen maskierte Männer friedliche Demonstranten an, die Polizei soll nicht eingegriffen haben.08.12.2024 | 0:18 min

    Scharfe Kritik an Polizeigewalt

    Die Berichte und Videos über unverhältnismäßige Polizeigewalt gegen Demonstranten - die ihrerseits Feuerwerkskörper gegen die Polizisten einsetzen - machen seit Tagen die Runde. Die Regierung aber will den Vorwurf übermäßiger Gewalt nicht so stehen lassen. Im ZDF-Interview kritisiert Eka Shepashvili, die für die Regierungspartei "Georgischer Traum" im Parlament sitzt, die Demonstranten: "Was wir während dieser Proteste beobachten konnten, war systematische, gut koordinierte, gut geplante Gewalt gegen unsere Polizei."

    Die Polizeibeamten waren sehr geduldig - und, wie soll ich sagen - haben ihre Pflichten professionell erfüllt.

    Eka Shepashvili, Abgeordnete "Georgischer Traum"

    Seit der vergangenen Nacht zeigt sich die Polizei zurückhaltender, größere Zusammenstöße sind ausgeblieben. Am grundsätzlichen Kurs der Regierung ändert sich bislang aber nichts.
    Georgien: Proteste halten an
    In Georgien haben erneut Tausende Menschen gegen eine Abkehr des Landes vom EU-Kurs protestiert. Dabei kam es wieder zu schweren Auseinandersetzungen mit der Polizei.07.12.2024 | 0:17 min

    EU-Beitritt in der Verfassung verankert

    Georgien befindet sich seit Wochen in Aufruhr: Einerseits bedingt durch die von Manipulationsvorwürfen überschatteten Parlamentswahlen im Oktober, bei denen die russlandfreundliche Partei "Georgischer Traum" gewann, insbesondere aber seit Premierminister Irakli Kobachidse verkündete, die Gespräche mit der EU über einen Beitritt Georgiens in den kommenden vier Jahren nicht wieder aufzunehmen.
    Die Opposition wirft der Regierung eine zunehmend russlandfreundliche Politik vor - und, sich von Europa abzuwenden. Dabei wünschen sich 80 Prozent der Georgier nach wie vor, dass ihr Land Teil der EU wird. Der Beitritt ist als Ziel in der Verfassung verankert.
    Polizisten mit Schutzhelmen halten Demonstranten fest
    Allabendlich demonstrieren in Georgien Tausende gegen die Russland-freundliche Regierung und ihre Entscheidung, die EU-Beitrittsgespräche auszusetzen. Die Polizei reagiert gewaltsam.06.12.2024 | 6:22 min

    Premierminister: "Liberalen Faschismus auslöschen"

    Dessen ungeachtet verschärft Premierminister Irakli Kobachidse die Rhetorik am Donnerstag erneut - und verwendet dabei eine Rhetorik, die sonst eher an die russische erinnert.

    Wir werden alles Notwendige tun, um den liberalen Faschismus in Georgien vollständig auszulöschen.

    Irakli Kobachidse, Premierminister Georgien

    Die Aussage dürfte als klare Drohung an die pro-europäischen Oppositionsparteien zu verstehen sein, deren Situation zunehmend prekär ist. Unter der Woche gab es mehrere Festnahmen und Razzien gegen gewählte Oppositionspolitiker. Einer von ihnen wurde auf offener Straße von Polizeibeamten bewusstlos geschlagen, während er gerade ein Interview gab.
    SGS klauser
    In Georgien eskalieren Proteste der pro-europäischen Opposition gegen die Russland-freundliche Regierung, die mit harter Gewalt darauf reagiert. Felix Klauser berichtet.05.12.2024 | 1:11 min

    Opposition will weiter auf die Straße gehen

    Trotz der zunehmenden Repression kündigt die Opposition weitere Proteste an, will sich nicht einschüchtern lassen. "Wir sehen, wie Taktiken im russischen und belarussischen Stil hier in Tiflis angewandt werden, nur, weil wir unsere europäischen Bestrebungen nicht aufgeben", beklagt Tina Bokutschawa, von der Partei "United National Movement".
    Die Opposition dürfte es immerhin als kleinen Erfolg für sich werten, dass es in den vergangenen Tagen zu Rücktritten hochrangiger Mitarbeiter der georgischen Sicherheitsbehörden kam. Wohl aus Protest gegen das rabiate Vorgehen der Polizei.
    Regierungsgegner demonstrieren am frühen Morgen des 5. Dezember 2024 im Zentrum von Tiflis den siebten Tag in Folge gegen die Verschiebung der EU-Beitrittsgespräche auf 2028 durch die Regierung.
    In Georgien spitzt sich der Konflikt zwischen der pro-russischen Regierung und der pro-europäischen Opposition weiter zu. Der Regierungschef droht mit „Auslöschung“. 05.12.2024 | 1:29 min
    In mehreren Ministerien kursieren außerdem offene Protestbriefe, teils von Hunderten Mitarbeitern unterzeichnet. Beobachter wie der Politikwissenschaftler Tengiz Pkhaladze sehen darin eine neue Entwicklung im Land:

    Noch nie zuvor kam es zu derartigen Protesten seitens der Staatsbediensteten, und das zeigt deutlich, wie sehr diese mit den Entscheidungen der politischen Führung nicht einverstanden sind.

    Tengiz Pkhaladze, Politikwissenschaftler

    Echte Zugeständnisse aber macht die Regierung bislang nicht. Und so führt auch die Opposition ihre Proteste fort - die Angst vor neuen Repressionen und einer weiteren Eskalation schwingt dabei immer mit.
    Felix Klauser berichtet als Korrespondent über Russland, den Kaukasus und Zentralasien.

    Eine Person hält ein Smartphone in der Hand. Darauf ist der WhatsApp-Channel der ZDFheute zu sehen.
    Quelle: ZDF

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