Frankreich: Frust und Protest nach Rechtsruck

    Stichwahl am Sonntag:Frankreich: Frust und Protest nach Rechtsruck

    Anna Feist
    von Anna Feist
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    Nach dem Sieg der Rechtsextremen fürchten viele Franzosen den Rechtsruck. Selbst die Vorstadt-Jugend will am Sonntag wählen gehen. Die Politik hat Angst vor brennenden Banlieues.

    Wähler warten an einem Wahllokal, um ihre Stimme in der ersten Runde der französischen Parlamentswahlen abzugeben, in Lyon, 30.06.2024.
    In Frankreich findet an diesem Sonntag die entscheidende Runde der Parlamentswahl statt. Beim ersten Durchgang war die extreme Rechte so stark wie nie. 05.07.2024 | 1:35 min
    Frankreich steht vor einer Zäsur - wie tief die wird, das ist noch offen. 76 Abgeordneten konnten sich bereits im ersten Wahlgang vergangenen Sonntag direkt durchsetzen. Mit 39 Direktmandaten kamen die meisten von ihnen aus dem Lager der Rechtspopulisten. Eine von ihnen war Marine Le Pen.
    In 501 Wahlkreisen in Frankreich findet an diesem Sonntag ein zweiter Wahlgang statt. Insgesamt stehen noch 1.094 Kandidaten zur Wahl. Eigentlich hätte auch Laurent Bonnaterre, der Kandidat vom Macron-Lager "Ensemble" einer von ihnen sein sollen. Aber er hat freiwillig aufgeben.

    Es geht um so viel. Die Gefahr, dass das Rassemblement National gewinnt, ist so gross, dass ich zurückziehen musste.

    Laurent Bonnaterre, Kandidat des Macron-Lager "Ensemble"

    Macrons Mann tritt ab, damit die Kandidatin der Linken eine bessere Chance gegen die extreme Rechte hat. Ein Schulterschluss, der weh tut, aber Wirkung zeigen könnte: Denn es gilt das Mehrheitswahlrecht. Aus jedem Wahlkreis kommt am Ende nur einer ins französische Parlament.
    Wahlergebnis in Frankreich
    ZDFheute Infografik
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    Das einfache Kalkül: Gibt es nur einen Gegenkandidaten zu dem rechten Lager, dann bekommt der auch die Stimmen von den anderen Gegenkandidaten. Eine Strategie, die die Rechtspopulisten sichtlich nervt: Jordan Bardella, Vorsitzender des Rassemblement National beklagt das.

    Das ist unehrlich. Das einzige, was meine Gegner verbindet, ist der Wille, zu verhindern, dass wir an die Macht kommen.

    Jordan Bardella, Vorsitzender des Rassemblement National

    Bardella will Frankreichs neuer Premier werden, aber nur, wenn seine Partei die absolute Mehrheit erzielt. Das könnte aber knapp werden. Die Rechtspopulisten müssten dafür mehr als die Hälfte der Duelle in den 410 Wahlkreisen mit zwei Kandidaten gewinnen - und in den 89 Wahlkreisen, wo sich drei Kandidaten gegenüberstehen und in den zwei Wahlkreisen mit vier Kandidaten.
    Auf dem Bild sind Jugendliche beim Plaktieren rechtsextremer Wahlplakate zu sehen.
    Präsident Macron hat sich mit den Neuwahlen in Frankreich verzockt. Profitiert haben vor allem radikale Parteien. Besonders die jungen Franzosen haben jenseits der Mitte gewählt.03.07.2024 | 7:13 min

    Emmanuel Macron warnte schon vor einem Bürgerkrieg

    Eine weitere Unbekannte: Die Wahlbeteiligung. Auch an diesem Sonntag könnte wieder mit einer besonders hohen Wahlbeteiligung zu rechnen sein. Denn mobilisiert wird mit allen Mitteln: Mit mehr als zwei Millionen Klicks etwa auch über den jüngst veröffentlichten Rapsong: "No pasarán", zu deutsch: "Sie werden nicht durchkommen".
    SGS Walde
    Es zeichnet sich eine hohe Wahlbeteiligung bei den Parlamentswahlen in Frankreich ab. Wem die hohe Wahlbeteiligung nützen könnte, erklärt ZDF-Korrespondent Thomas Walde in Paris. 30.06.2024 | 1:10 min
    20 bekannte französische Rapper fordern die Hörerschaft auf, die Linken zu wählen, gegen die "Bastarde" des Rassemblement Nationale zu stimmen, die sich ihren Rassismus doch "in den Arsch stecken sollen".
    Die Aufforderung "Bardella" zu töten, sorgt allerdings für kontroverse Diskussionen in Frankreich. Und spielt mit einer Angst, die auch schon der französische Präsident Emmanuel Macron bediente, als er vor einem drohenden "Bürgerkrieg" warnte, je nach Ausgang der Wahl.
    Jordan Bardella am 24.06.2024 in Boulogne-Billancourt (Frankreich)
    Das Rassemblement National hat Macrons Bündnis bei der Europawahl übertrumpft. Jetzt will ihr Chef Jordan Bardella die Parlamentswahlen gewinnen. Wofür steht er?25.06.2024 | 0:23 min
    Innenminister Darmanin kündigte für Sonntagabend jedenfalls verschärfte Sicherheitsvorkehrungen an. 5.000 Polizisten sollen in Paris und Umgebung stationiert werden, um "sicherstellen, dass die radikale Rechte und die radikale Linke die Situation nicht ausnutzen, um Chaos zu verursachen".

    Selbst in den Banlieues gehen die jungen Bewohner wählen

    Jenseits der schicken Pariser Innenstadt, dominieren migrantisch geprägte Vorstädte mit oft hohen Kriminalitätsraten. Die Wahlbeteiligung in solchen Vierteln gehört zu den geringsten im ganzen Land. Doch die Angst vor den extrem Rechten, führe auch hier zu einem Umdenken, erzählen uns Mara, Bamba und Johann. Drei junge Männer mit Migrationshintergrund, Anfang 20, aufgewachsen in einem dieser Viertel im Pariser Osten.

    Die Atmosphäre hier ist super angespannt. Der Rassismus wird immer offener ausgelebt, man begegnet ihm sehr viel mehr in den letzten Monaten. Und wenn der Rassemblement Nationale gewinnt, wird das sicher nicht besser.

    Johann, aufgewachsen in einer Banlieue

    Sollten es die Rechtspopulisten wirklich an die Macht schaffen, dann könnten die doppelte Staatsbürgerschaft und das Geburtsrecht ausgehebelt werden, die Asylgesetze könnten drastisch verschärft werden. Davon sei dann fast jeder hier betroffen.

    Frankreich befürchtet brennende Banlieus

    Sie werden gegen Bardella stimmen und unterstützen den linken Kandidaten des Wahlkreises. Doch was, wenn der Rassemblement Nationale von Marine Le Pen auch in der zweiten Wahlrunde so erfolgreich abschneidet: Brennen dann, wie es so viele befürchten, wieder die Banlieus?

    Wir zerstören doch nichts um des Zerstören willens, sondern, weil wir so unsere Wut ausdrücken können. Wir haben keine Geduld. Auch wenn das nicht helfen wird und sich am Ende gegen uns wendet.

    Mara, aufgewachsen in einer Banlieue

    Mara, Johann und die anderen wissen, dass Gewalt zu nichts führen wird - und trotzdem, so richtig distanzieren davon wollen sie sich auch nicht. Doch ob und wie aufgeheizt die Stimmung nach der Stichwahl am Sonntag überhaupt sein wird, das werden die kommenden Tage zeigen.
    Anna Feist ist Redakteurin in der ZDF-Hauptredaktion Aktuelles.
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