Korruption in Nordmazedonien: Proteste für Systemwechsel
Wut nach Disco-Brand:Nordmazedonien: Wenn Korruption Leben kostet
von Benedikt Karl und Christian von Rechenberg
|
Nordmazedoniens Regierung muss befürchten, dass die Wut nach dem tödlichen Discotheken-Brand auf das ganze Land übergreift. Ihr Kampf gegen Korruption könnte zu spät kommen.
17.03.2025, Nordmazedonien, Kocani: Demonstranten halten Plakate, während sie nach einem massiven Brand in einem Nachtclub in der nordmazedonischen Stadt Kocani protestieren. Foto: Boris Grdanoski/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Quelle: dpa
Im Zentrum von Kočani liegt ein Kondolenzbuch, verteilt auf Tischen, geschützt von grünen Zeltplanen. Daneben weiße Lilien und die Fotos ihrer getöteten Kinder. "Dies ist eine kleine Stadt", sagt Dance Petrov, "wir kennen uns alle. Es sind alle unsere Kinder." Ihre Tochter hat den Brand in der Disco Pulse überlebt. Weil sie nicht hingegangen war. Nun tröstet Dance Petrov diejenigen Eltern, deren Kinder unter den 59 Opfern sind. Für die Menschen hier steht fest: Es war nicht nur das Feuer, nicht nur das Versagen der Verantwortlichen, das so viele junge Menschen tötete. Es war Korruption.
Stimmung in Nordmazedonien kippt
Wer in Kočani mit den Menschen ins Gespräch kommen will, bemerkt rasch, dass die Stimmung zu kippen beginnt. Journalisten werden bedrängt, Eier und Flaschen flogen auf das Rathaus, eine wütende Menge zerstörte ein Café, das auch dem Betreiber des Clubs gehören soll. Dieser soll doppelt so viel Menschen eingelassen haben wie erlaubt, es gab zu wenig Notausgänge, zu wenig Feuerlöscher. Die Lizenz war gefälscht. Mehr als 30 Verdächtige hat die Staatsanwaltschaft im Visier, auch den ehemaligen Wirtschaftsminister.
Durch einen Brand in einer Diskothek in Nordmazedonien sind mindestens 59 Menschen ums Leben gekommen. Die meisten Besucher waren zwischen 14 und 28 Jahre alt. 16.03.2025 | 1:51 min
Über einen Zeitraum von knapp 15 Jahren brachen diese Leute das Gesetz, missachteten Regeln und Sicherheitsvorschriften.
„
Ljupco Kocevski, Staatsanwalt
Kočani ist kein Einzelfall, sagt Investigativjournalistin Sashka Cvetkovska. In den letzten Jahren habe es mehrere tödliche Vorfälle dieser Art gegeben. Und kaum Aufklärung. "Die meisten Gesetze stehen nur auf dem Papier", sagt sie, "aber es gibt niemanden, der sie umsetzt." Korruption sei das Hauptproblem in Nordmazedonien. "Oligarchen finanzieren die größten Medien, sie finanzieren politische Parteien." Und wer wie sie darüber berichtet, auf den üben die Machthaber Druck aus.
Die Menschen glauben nicht, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wird.
In Nordmazedonien herrscht nach dem verheerenden Brand mit Dutzenden Toten Staatstrauer. Zahlreiche Verletzte wurden zur Behandlung ins Ausland geflogen.
Gegen Korruption: Funke aus Serbien könnte überspringen
Die Ereignisse von Kočani erinnern an den Einsturz eines Bahnhofsvordaches in Serbien. 15 Menschen kamen dabei im November in Novi Sad ums Leben. Seitdem wehren sich Hunderttausende im ganzen Land gegen das korrupte System, das sie für das Unglück verantwortlich machen. Kann dieser Funke nun auf Nordmazedonien überspringen? "Ein Systemwechsel kann tatsächlich stattfinden", sagt Politik-Analyst Petar Arsovski aus Skopje, „wenn sich diese von Wut angetriebenen Proteste in eine echte politische Bewegung verwandeln.“
Nordmazedoniens Regierung weiß das, bemühe sich daher wohl bewusst um schnelle Ergebnisse und transparente Ermittlungen. Man nenne das Korruptionsproblem sogar beim Namen. Ob das ausreicht, die Wut zu kanalisieren, werden aber erst die nächsten Tage und Wochen zeigen, so Arsovski. Er sieht in der Korruption auf dem Balkan "eine Art endemische Krankheit", die nur ein starker und dauerhafter Aufschrei der Bevölkerung heilen könne. Aber: "wenn die politischen Eliten keinen Druck spüren, wird sich nichts ändern."
Zehntausende protestieren in Belgrad: Die Protestwelle gegen Regierung und Korruption in Serbien findet ihren bisherigen Höhepunkt in einer Großdemonstration in der Hauptstadt.15.03.2025 | 2:40 min
Apathie durch Armut
Journalistin Sashka Cvetkovska glaubt noch nicht an ein dauerhaftes Aufbegehren der Bevölkerung. Diese sei seit drei Jahrzehnten heftiger Propaganda ausgesetzt. Armut und Arbeitslosigkeit kämen hinzu. "Die Menschen kämpfen nur darum," sagt sie, "den Tag zu überleben. Und wenn man dafür kämpft, seinen Kindern einfaches Brot kaufen zu können, dann hat man nicht den Luxus, über Demokratie nachzudenken." Nordmazedonien mag noch kein zweites Serbien sein. Doch langsam, sagt Cvetkovska, tue sich etwas. Nach Mahnwachen in der Hauptstadt und in Kočani formieren sich erste Studentenproteste im ganzen Land.
Zwar sei es schwer, die Ketten jahrzehntelanger Apathie zu sprengen. Doch "die Menschen auf dem Balkan haben die Nase voll von dem korrupten System, das niemandem von uns dient, sondern nur den wenigen."
In Kočani will schließlich doch jemand mit dem ZDF reden. "Alles muss sich ändern," sagt ein Mann im Trainingsanzug, der sich Marijon nennt. "Alles, was geändert werden kann, muss geändert werden. Zuerst das System, dann alles andere." Solange das Problem Korruption nicht gelöst werde, würde man immer wieder Probleme haben. "So wird es nicht enden."
Quelle: dpa
Sie wollen auf dem Laufenden bleiben? Dann sind Sie beim ZDFheute-WhatsApp-Channel richtig. Hier erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten auf Ihr Smartphone. Nehmen Sie teil an Umfragen oder lassen Sie sich durch unseren Podcast "Kurze Auszeit" inspirieren. Zur Anmeldung: ZDFheute-WhatsApp-Channel.
Um dir eine optimale Website der ZDFmediathek, ZDFheute und ZDFtivi präsentieren zu können, setzen wir Cookies und vergleichbare Techniken ein. Einige der eingesetzten Techniken sind unbedingt erforderlich für unser Angebot. Mit deiner Zustimmung dürfen wir und unsere Dienstleister darüber hinaus Informationen auf deinem Gerät speichern und/oder abrufen. Dabei geben wir deine Daten ohne deine Einwilligung nicht an Dritte weiter, die nicht unsere direkten Dienstleister sind. Wir verwenden deine Daten auch nicht zu kommerziellen Zwecken.
Zustimmungspflichtige Datenverarbeitung • Personalisierung: Die Speicherung von bestimmten Interaktionen ermöglicht uns, dein Erlebnis im Angebot des ZDF an dich anzupassen und Personalisierungsfunktionen anzubieten. Dabei personalisieren wir ausschließlich auf Basis deiner Nutzung der ZDFmediathek, der ZDFheute und ZDFtivi. Daten von Dritten werden von uns nicht verwendet. • Social Media und externe Drittsysteme: Wir nutzen Social-Media-Tools und Dienste von anderen Anbietern. Unter anderem um das Teilen von Inhalten zu ermöglichen.
Du kannst entscheiden, für welche Zwecke wir deine Daten speichern und verarbeiten dürfen. Dies betrifft nur dein aktuell genutztes Gerät. Mit "Zustimmen" erklärst du deine Zustimmung zu unserer Datenverarbeitung, für die wir deine Einwilligung benötigen. Oder du legst unter "Einstellungen/Ablehnen" fest, welchen Zwecken du deine Zustimmung gibst und welchen nicht. Deine Datenschutzeinstellungen kannst du jederzeit mit Wirkung für die Zukunft in deinen Einstellungen widerrufen oder ändern.