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Neuordnung des Justizapparats:Warum Mexikos Justizreform umstritten ist
von Steffanie Riess
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Mexikos Präsident Manuel Lopez Obrador feiert seine Justizreform als Mittel im Kampf gegen Korruption. Kritiker fürchten mehr Einflussnahme durch das Organisierte Verbrechen.
Die Justizreform in Mexiko ist im Land sehr umstritten. Massive Proteste und wochenlange Streiks von Justizbeamten blieben aber ohne Wirkung.
Quelle: dpa
Nur wenige Wochen, bevor er das Amt an seine politische Ziehtochter Claudia Sheinbaum übergibt, hat der mexikanische Präsident Andres Manuel Lopez Obrador, genannt AMLO, weitreichende Justizreformen durch das Parlament gepeitscht.
Zuvor war die Reform an der notwendigen Zweidrittel-Mehrheit im Senat gescheitert, doch Lopez Obrador nutzte eine Besonderheit des mexikanischen Systems: Bei den Wahlen im Juni hatte seine Morena-Partei große Mehrheiten in beiden Kammern des Parlaments erlangt.
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Die Parlamentarier treten aber ihr Amt bereits einen Monat vor dem Wechsel in der Präsidentschaft an - so hatte AMLO 30 Tage lang die notwendige parlamentarische Mehrheit, um ein Reformpaket zu verabschieden, für das er bisher nicht die notwendigen Stimmen hatte. Dazu gehört eine umfassende Neuordnung des Justizapparats.
Die meisten Verbrechen in Mexiko bleiben ungeahndet
Mexikos Rechtssystem ist seit langem von Problemen geplagt. Allem voran steht eine außerordentliche Ineffektivität, die ihren Ausdruck in einer extrem hohen Straflosigkeit findet. Sprich: die meisten Verbrechen in Mexiko bleiben ungeahndet.
Ressourcen und Beziehungen sind nötig, um überhaupt Zugang zur Justiz zu haben - weiten Teilen der Bevölkerung bleibt das aber verwehrt. Bestechlichkeit von Staatsanwälten und Richtern sowie ihre Bedrohung durch das Organisierte Verbrechen sind weitere Probleme.
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Entsprechend niedrig ist das Vertrauen der mexikanischen Bevölkerung in das System. Die Nichtregierungsorganisation "Impunidad Cero" berichtet, dass 77 Prozent der Mexikaner glauben, dass ein Delikt nur dann geahndet wird, wenn Druck durch Politik oder Medien ausgeübt wird.
Allerdings setzten die Reformen am falschen Ort an, sagt Stephanie Brewer vom Washington Office on Latin America. "Der Großteil der Mängel, die regulären Menschen den Zugang zum Rechtssystem praktisch unmöglich machen, (….) finden sich in Instanzen, bevor ein Fall vor Gericht kommt."
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Kritiker befürchten direkte politische Einflussnahme
Die jetzt durchgesetzten Reformen betreffen jedoch nur die Gerichte. Bisher wurden Richter in Mexiko durch einen Justizrat ernannt. Lopez Obradors Reform sieht nun vor, sämtliche Richter auf allen Ebenen des Justizapparates schrittweise zu entlassen und die Stellen dann durch Direktwahlen neu zu besetzen. Das soll zu mehr Verantwortung führen und dafür sorgen, dass Mexikaner wieder Vertrauen fassen in das Justizsystem.
Kritiker befürchten indes, dass der politischen Einflussnahme auf die dritte Gewalt die Tür geöffnet und alle Kontrollmechanismen gegen Machtkonzentration entfernt werden könnten. Die fachliche Eignung von Kandidaten hingegen würde eine geringere Rolle spielen. Urteile könnten davon beeinflusst werden, wie sie vom Volk aufgenommen werden, wenn sich Richter um ihre Beliebtheit kümmern müssen.
Der "Central de Abasto" in der Millionen-Metropole Mexiko-Stadt ist einer der größten Märkte der Welt. Auf seinen 327 Hektar Fläche treffen Handel und Kriminalität aufeinander.
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Maria Calderon von der Denkfabrik Wilson Center warnt:
"Sie hatten schon vorher Einfluss auf Richter, da müssen wir uns nichts vormachen. Aber Direktwahlen werden diese Tatsache noch verschlimmern."
US-Botschafter: "Große Bedrohung" für Mexikos Demokratie
Massive Proteste gegen die geplante Reform in zahlreichen mexikanischen Städten, wochenlange Streiks von Justizbeamten und Richtern sowie eine Blockade des Abgeordnetenhauses blieben ohne Effekt. Beim Versuch, die Abstimmung zu stoppen, drangen Protestierende bis in den Senat ein, doch die Debatte wurde in einem anderen Gebäude weitergeführt und das Gesetz kurz darauf verabschiedet.
Auch auf internationaler Ebene gab es bereits Kritik. Der Botschafter der USA in Mexiko, Ken Salazar, sprach sich gegen die Reform aus. Die Bestimmung von Richtern durch Direktwahl sei "eine große Bedrohung für das Funktionieren der mexikanischen Demokratie". "Eine Reform sollte Schutzmaßnahmen beinhalten, die dafür sorgen, dass die Justiz stärker wird, statt anfälliger für Bestechung durch die Politik."
Salazar stellte eine Bedrohung für die Handelsbeziehungen zwischen Mexiko und den USA, seinem wichtigsten Handelspartner, in den Raum. Die US Bank Morgan Stanley zog ihre Investitionsempfehlung für Mexiko zurück. Deutschland ist Mexikos wichtigster europäischer Handelspartner. Das Auswärtige Amt hat sich bisher nicht zu den Reformen geäußert.
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