Mercosur-Gipfel:Woran das Handelsabkommen scheitert
von Christoph Röckerath
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Das lang ersehnte Handelsabkommen zwischen der EU und Südamerika kommt erstmal nicht. Die Einigung scheiterte wohl kurz vor Abschluss. Ein Überblick über Südamerikas Bedenken.
Zu große Differenzen - das Handelsabkommen zwischen den Mercosur-Staaten und der EU kommt erstmal nicht.
Quelle: epa
Es waren diffuse, aber deutlich vernehmbare Gerüchte - je nach Standpunkt euphorisch bis ängstlich kommentiert: Zum Abschluss des Mercosur-Gipfels in Rio de Janeiro am 7. Dezember werde der Durchbruch verkündet werden, die Einigung auf die größte Freihandelszone der Welt. Südamerika und Europa rückten zusammen. Ein historisches Signal, in Zeiten globaler Instabilität und ein Dämpfer für den wachsenden Einfluss Chinas.
Doch in letzter Minute sind es Argentinien und Frankreich, die auf die Bremse steigen. Der scheidende Präsident Fernández nimmt Rücksicht auf seinen gewählten Nachfolger Milei, Frankreichs Präsident Macron auf seine Bauern.
Brasiliens Präsident Lula ist nach Berlin gekommen, um mit Kanzler Scholz über das Freihandelsabkommen Mercosur zu sprechen.04.12.2023 | 3:10 min
Mercosur-Länder vertreten zwei Drittel der Einwohner Südamerikas
Und so bleiben auch zahlreiche andere Differenzen zwischen Südamerika und Europa weiter ungelöst im Raum. Vor allem der brasilianische Präsident Lula da Silva hatte zuletzt auf einen Abschluss gedrängt. Spannend vor allem die Frage, wie es ihm gelingen würde, die Interessenskonflikte zu beheben.
Die vier Gründungsmitglieder des Mercosur, Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay vertreten rund zwei Drittel der Einwohner Südamerikas. Im gemeinsamen Markt mit den Europäern würden mehr als 700 Millionen Menschen leben.
Nach achtjähriger Pause treffen sich Deutschland und Brasilien zu Verhandlungen über das Freihandelsabkommen Mercosur. ZDF-Reporter Andreas Kynast berichtet. 04.12.2023 | 1:03 min
Streit um strengere Umweltauflagen
In den Grundzügen steht der Vertag zwar seit 2019, doch im Februar hatte es neuen Streit gegeben, um den sogenannten "Side Letter". Darin fordert die EU strengere Umweltauflagen. Gerade für Lula, der versprochen hat, die Umweltsünden seines Vorgängers Bolsonaro ungeschehen zu machen, ein Affront.
Er nannte das Papier umgehend "inakzeptabel". Die Mercosur Staaten befürchten einen Protektionismus durch die Hintertür, unter dem Vorwand des Waldschutzes.
Die Irritationen zeigen, dass auch in Südamerika der Ton die Musik macht. Die Forderungen der EU werden immer wieder als übergriffig empfunden.
Mercosur-Abkommen: Zahlreiche Unklarheiten
Tatsächlich aber sind die drängenden Fragen zahlreicher Organisationen unbeantwortet geblieben. Soziale Verbände befürchten mehr statt weniger Einkommensungleichheit, Umweltschützer eine Zunahme des Raubbaus.
Greenpeace und das katholische Hilfswerk Misereor zitieren Studien, wonach die Fleischimporte in die EU um 50 Prozent steigen würden und infolgedessen auch die jährliche Abholzung, um fünf Prozent. Kleinbauern und indigene Gemeinden befürchten wachsenden Druck durch Großgrundbesitzer.
Die südamerikanischen Regierungen dagegen beklagen zu hohe Einschränkungen beim Export, da auf Druck der Agrarwirtschaft auf beiden Seiten Quoten bestehen bleiben und nur schrittweise aufgehoben werden sollen.
Industrie in Südamerika: Sorge vor Konkurrenz aus Europa
Größer noch ist ihre Sorge um die heimische Industrie. Auch in Südamerika ist die Vergabe öffentlicher Aufträge an kleine und mittlere Unternehmen eine gängige Praxis, um sie gezielt zu fördern. Der Vertrag mit der EU würde die Ausschreibungen für potenziell stärkere europäische Firmen öffnen. Giorgio Romano Schutte, Wirtschaftswissenschaftler an der Uni UFABC, sagt:
Vor allem Brasilien und Argentinien erleben seit Jahren einen Trend der Deindustrialisierung. Zum Teil hängt dies mit bürokratischen Hürden und hohen Importzölle für Technologie zusammen, Faktoren, die durch den Freihandel teilweise wegfallen würden. Doch eine Öffnung des Marktes würde auch mehr Industrie-Importe aus Europa bedeuten.
Wer profitiert vom Scheitern des Mercosur-Abkommens?
Und doch geht es um mehr als ums Geschäft, mahnen andere, wie die Politikwissenschaftlerin Monica Herz von der katholischen Universität Rio:
Dies betreffe zwar nicht unbedingt die Neuordnung des internationalen Systems, wohl aber die Verteidigung der Menschenrechte und der Demokratie.
Vom - mal wieder - vorläufigen Scheitern dürfte vor allem China profitieren und seinen bereits bestehenden Vorsprung im Handel mit dem Mercosur-Staaten gegenüber der EU weiter ausbauen. Und die Gegner des Abkommens müssen sich die Frage stellen, ob dies wirklich ein Gewinn ist, unter dem Gesichtspunkt von Umweltschutz und Menschenrechten.
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