Interview
Lula da Silva in Berlin:Der Star, der in die Kälte kommt
von Frank Buchwald
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Brasiliens Präsident Lula, einst ein Star der Linken, irritierte zuletzt mit seiner Haltung zu Israel. Jetzt kommt er nach Berlin - in ein Klima, das sich verändert hat.
Er kommt aus dem südlichen Sommer und landet im vereisten Berlin: ein scharfer Kontrast. Der Temperaturunterschied dürfte jedoch nicht der einzige Gegensatz sein, wenn Brasiliens Präsident Luiz Inácio "Lula" da Silva am Montag vor dem Kanzleramt fröstelnd das Ehrenbataillon der Bundeswehr abschreitet.
Längst hat sich der Hoffnungsträger Lula, von vielen europäischen Linken lange als Star verehrt, zu einem problematischen Partner entwickelt. Seine unklare Haltung im Ukraine-Krieg, sein zweideutiges Zögern nach dem Terrorangriff der islamistischen Hamas: all das verwirrt die Europäer - und besonders die Deutschen.
Beziehung seit Jahrzehnten geprägt von Unverständnis
Hätten sie ein besseres Gedächtnis, wäre die Überraschung auf dieser Seite des Atlantiks vielleicht nicht ganz so groß, denn das Verhältnis zwischen der EU und dem südamerikanischen Wirtschaftsraum Mercosur, zwischen Brasilien und Deutschland, ist seit Jahrzehnten bestimmt von Unverständnis und Enttäuschung im Süden sowie von Fehleinschätzungen, Überheblichkeit und Paternalismus im Norden.
Über lange Zeit galten die Europäer in den Außenministerien Südamerikas als Wunschpartner: die jungen Demokratien in Chile, Argentinien, Uruguay und vor allem Brasilien bewunderten offene Gesellschaften, Marktwirtschaft und politische Stabilität.
Auch wirtschaftlich lief alles hervorragend zwischen Deutschland und Industriezentren wie São Paulo. Die Metropole im Südosten Brasiliens gilt nach wie vor als größter deutscher Wirtschaftsstandort: in keiner anderen Stadt der Welt ist so viel deutsche Wirtschaftskraft versammelt. Dennoch klagten Vorstände diverser DAX-Konzerne, in Brasilien könne man kaum investieren: die Korruption, die fehlende Rechtssicherheit. Russland und China galten da als sicherere Alternative.
Strenge europäische Importquoten für Brasilien
Das einträgliche Verhältnis blieb einseitig: Während deutsche Autohersteller in Brasilien - auch dank politischer Protektion - eine Quasi-Monopolposition besetzten, durften die Brasilianer nur kleine, zudem streng limitierte Mengen ausgewählter Agrarprodukte nach Europa exportieren: Eine unheilige Allianz aus Bauernlobby und einer Reihe mehr oder weniger undurchsichtiger NGOs verhinderte von Brüssel aus wirksam jede Lockerung der strengen europäischen Importquoten.
Die Angst der Bauern vor einer hoch wettbewerbsfähigen, mächtigen Konkurrenz aus dem Süden verband sich mit dem Argwohn vieler, zumeist linker Gruppen, denen die marktorientierte Öffnungspolitik liberaler Regierungen nicht passte. Daraus erwuchs ein knallhartes Lobbying für Sozial- und Umweltstandards; sie verzögerten die Verhandlungen über ein Kooperationsabkommen zwischen EU und Mercosur jahrzehntelang.
Europa wähnt sich am längeren Hebel
Mit Blick auf ihren riesigen Binnenmarkt wähnten sich die Europäer stets am längeren Hebel; die Südamerikaner klagten - nicht ganz zu Unrecht - über "nicht-tarifäre Handelshemmnisse". Die stets hochgehaltenen Standards seien in Wirklichkeit doch nicht viel mehr als unfairer, versteckter Protektionismus oder gar überheblicher, politischer Paternalismus.
Tatsächlich regte sich bei vielen europäischen NGOs kein Protest, als der linksgerichtete bolivianische Präsident Eva Morales schließlich selbst Kinderarbeit de facto legalisierte - unter Hinweis auf indigene Traditionen.
China öffnete Markt für Produkte aus Südamerika
Währenddessen begannen die Länder im Süden, sich Richtung Osten zu wenden. In China öffnete sich ein riesiger Exportmarkt für Rindfleisch, Getreide und vor allem Soja aus Südamerika. Und während die Europäer, allen voran die Deutschen, die die den Regenwald am Amazonas traditionell als Schutzgebiet für die ökologischen Interessen des Nordens betrachten, sich über Abholzungen sorgten, befriedigten Brasiliens Fazendas - riesige Landgüter - die stetig wachsende Nachfrage in Asien.
Selbst das krisengeschüttelte Argentinien, nach dem Staatsbankrott von 2001 auf allen internationalen Finanzmärkten geächtet, rettete sich mit seiner hochmodernen und exportorientierten Agrarindustrie über die Runden.
Schwierige Gespräche zwischen Scholz und Lula
Die Europäer waren in diesen Jahren so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass sie von all dem fast nichts mitbekamen. Sie kämpften mit einer Finanzkrise, der Eurokrise, einer Staatsschuldenkrise und obendrein einer handfesten Krise des politischen Systems. So verpassten sie alle Chancen in einem immer selbstbewussteren Brasilien, das sich nun stolz zum neuen Brics-Block bekennt und für das Europa längst kein Sehnsuchtsort mehr ist.
Schwierige Gespräche stehen also an zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz und Lula da Silva, wenn sie in Berlin nun über Fachkräftemangel und die weltpolitische Lage reden werden. Denn das Klima hat sich verändert - auch politisch.
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