Kritik an Präsident Vučić:Massenproteste in Serbien nach Unglück
von Benedikt Karl, Wien
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15 Menschen sterben bei einem Unglück in Serbien, Tausende protestieren seither. Es ist ein Generalstreik geplant. Die Entwicklungen könnten für Präsident Vučić gefährlich werden.
Massenproteste in Serbien bringen den autokratisch regierenden Präsidenten Vucic in Bedrängnis. Seit Ende der Weihnachtsferien streiken auch Lehrkräfte und Studierende gegen ihn.23.01.2025 | 3:53 min
Veränderung, das fordern derzeit tausende Menschen in Serbien. Seit Wochen protestieren sie in den Städten des Landes. Auslöser ist ein Unglück am ersten November des vergangenen Jahres: In Novi Sad, der zweitgrößten Stadt des Landes, stürzte ein Bahnhofsvordach ein. 15 Menschen starben dabei. Erst wenige Monate zuvor war der Bahnhof nach umfangreichen Renovierungsarbeiten wieder in Betrieb genommen worden.
Sie stehen gemeinsam vor den geschlossenen Schulen, Serbiens Lehrer und Schüler. "Liebe Kinder, eure Lehrer stehen an eurer Seite", steht auf einem Banner. Streik statt Unterricht, und das mit einem ganz grundsätzlichen Ansinnen:
In Belgrad haben zehntausende Studierende gegen die serbische Regierung demonstriert. Sie fordern von Präsident Vucic Rechenschaft für den tödlichen Einsturz eines Bahnhofsdachs.23.12.2024 | 0:22 min
Gesellschaftliche Bewegung erwächst aus Mahnwachen
Viele Serben machen Misswirtschaft für das Unglück verantwortlich. Sie fordern ein Ende der Korruption, transparente Ermittlungen und Strafen für die Verantwortlichen. Ihre Wut richtet sich gegen das System des autoritär regierenden Präsidenten Aleksandar Vučić und der Regierung seiner Serbischen Fortschrittspartei (SNS). Zwar folgten Rücktritte, darunter zwei Minister, und Festnahmen, doch der Unmut lässt nicht nach. Im Gegenteil. Denn Misswirtschaft und Korruption sind kein lokales Problem in Serbien.
Anfangs waren es vor allem Studenten, die den Protest initiierten. Mittlerweile solidarisieren sich immer mehr Gruppen mit ihnen, darunter Anwälte, Bauern und Dozenten. Aus lokalen Mahnwachen ist eine gesamtgesellschaftliches Bewegung erwachsen.
Durch ihren jungen Charakter unterscheide sie sich von früheren Protesten.
In der serbischen Hauptstadt Belgrad haben erneut tausende Menschen gegen die Regierung von Präsident Vucic protestiert. Sie werfen ihr schwere Korruption vor.12.11.2024 | 0:21 min
Präsident Vučić droht den Demonstranten
Die Demonstranten blockieren Straßen, besetzen Fakultäten und rufen täglich zu öffentlichen Schweigeminuten auf: 15 Minuten, eine für jedes Opfer von Novi Sad. Vučić reagiert darauf mit Arroganz und seiner Macht. Mal behauptet der Präsident, die Demonstranten seien ihm "eigentlich egal", mal droht er ihnen.
Für den Balkan-Experten Vedran Džihić ist klar, dass Vučić "nicht mehr souverän agiert, dass sich die üblichen Mittel, die er einsetzt, um die Protest-Energien abzuwürgen, erschöpfen". Er könnte daher noch repressiver handeln. So drohte Vučić beispielsweise bereits damit, eine Sondereinheit der Militärpolizei einzusetzen.
In Serbiens Hauptstadt Belgrad haben Zehntausende Menschen gegen den Lithium-Abbau protestiert. Kritiker befürchten massive Umweltschäden durch den Abbau.11.08.2024 | 0:19 min
Als ein Autofahrer Ende November mit einem Demonstranten auf der Motorhaube weiterfuhr, der die Straße blockiert hatte, spottete Vučić über eine mögliche Bestrafung: "Den Fahrer sollen wir jetzt verhaften?", fragte er und stellte Faustrecht über das Gesetz: "Jemanden, der kein Gesetz gebrochen hat, der einfach nur seiner Wege fuhr? Seid ihr bescheuert?"
Vergangene Woche steuerte ein Anhänger der SNS Partei sein Auto in eine Gruppe von Demonstranten in Belgrad und verletzte eine junge Studentin schwer.
Mehrheit der Serben befürwortet Proteste
Von solch gewalttätigen Reaktionen wollen sich die Demonstranten nicht einschüchtern lassen: "Die Ironie ist, dass immer wieder neue Angreifer auf Studierende auftauchen", sagt Vukosav, ein Jurastudent. Ihr Ziel erreichten sie dadurch jedoch nicht:
Einer Umfrage der nicht-staatlichen Organisation CRTA zufolge unterstützen über 60 Prozent der Serben die Proteste. Nur ein gutes Viertel der Befragten vertraue Vučić. Der habe zwar noch "viele Asse in seinem Ärmel", meint Experte Džihić, doch sollte sich die Lage weiter zuspitzen, könnte es auch "um das Schicksal von Alexander Vučić gehen". Noch fordern die Protestierenden nur Veränderung und nicht gezielt Vučićs Rücktritt.
Landesweiter Generalstreik in Serbien geplant
Nun rufen die Anführer der Studentenproteste zu einem landesweiten Generalstreik auf. Wie viele Menschen dem Aufruf folgen und weder arbeiten noch einkaufen oder Essen gehen, ist noch nicht abzusehen, genauso wenig wie eine mögliche Reaktion Vučićs. Der Aufruf zum Generalstreik zeigt jedoch: Seine Versuche, die Lage zu beruhigen, sind bislang gescheitert.
Eine Mitarbeiterin des öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders RTS, die sich den Protesten in Belgrad angeschlossen hat, sagt: "Die Studenten waren diejenigen, die uns die Augen geöffnet und uns den Anstoß gegeben haben, uns daran zu erinnern, wie wir es vor etwa dreißig Jahren gemacht haben." Die Proteste damals richteten sich gegen den damaligen Präsidenten Slobodan Milošević - und führten zu dessen Sturz.
Im nordserbischen Novi Sad ist das Vordach des Hauptbahnhofs eingestürzt. Dabei sind mehrere Menschen getötet und verletzt worden. Die Ursache ist derzeit noch nicht bekannt.
Quelle: dpa
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