Holocaust-Vergleich: Was Präsident Lula damit bezweckt

    G20-Gipfel in Brasilien:Holocaust-Vergleich: Was Lula damit bezweckt

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    von Christoph Röckerath
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    Mit seinem historisch unsinnigen Holocaust-Vergleich hat Luiz Inácio Lula da Silva weltweit für Empörung gesorgt. Was steckt hinter dem Verhalten des brasilianischen Präsidenten?

    Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva.
    Mit seinem Holocaust Vergleich hat Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva weltweit für Empörung gesorgt.
    Quelle: AFP

    Überall in Rio de Janeiro hängen dieser Tage Plakate, auf denen sich Brasilien stolz als Gastgeber des G20 Gipfel-Jahres präsentiert. Es soll der große Auftritt der Regierung von Präsident Luiz Inácio Lula da Silva werden.
    Doch kurz bevor die Außenminister an diesem Mittwoch den Auftakt starten, hat der Präsident für einen diplomatischen Skandal gesorgt.

    Lulas Holocaust-Vergleich

    Auf einer Pressekonferenz in Adis Abeba bezeichnet er das Vorgehen Israels im Gazastreifen nicht nur als "Völkermord" - eine, trotz der hohen Opferzahlen, höchst umstrittene Etikettierung - sondern er setzt es mit dem Holocaust auf eine Stufe, indem er sagt:
    "Was im Gazastreifen mit dem palästinensischen Volk geschieht, hat es zu keinem anderen Zeitpunkt in der Geschichte gegeben. Beziehungsweise hat es das schon gegeben: Als Hitler beschloss, die Juden zu töten."
    Dies ist nicht nur historisch unsinnig. Es ist auch die größtmögliche verbale Provokation Israels.

    Große Empörung im In- und Ausland

    Am Tag danach ist das Echo im In- und Ausland überwiegend verheerend. Israel zitiert Brasiliens Botschafter nicht etwa ins Außenministerium, sondern in die Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem, um ihm vor versammelter Presse eine Geschichtslektion zu erteilen. Anschließend erklärt Israel Präsident Lula zur "persona non grata".
    Von "bestenfalls ignorant", über "unverzeihlich" bis zu "präsidialer Sündenfall" lautet das Urteil der brasilianischen Presse.
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    Die Frage ist: Warum agiert Lula so?

    In brasilianischen Regierungskreisen geben sie sich unbeirrt. Lulas Außenbeauftragter Celso Amorim betont, Lula werde sich auf keinen Fall entschuldigen, er habe "nur historische Fakten angeführt". Amorim muss wissen, dass das nicht stimmt.
    Während die Nazis versucht haben, systematisch alle Juden zu ermorden, bloß, weil sie Juden waren, findet etwas Vergleichbares im Gazastreifen, bei aller Brutalität und Rücksichtslosigkeit der israelischen Kriegsführung, nicht statt. Daher dürfte Kalkül hinter dieser Falschbehauptung stecken.
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    Einschätzung eines Experten

    "Es könnte eine Strategie sein, um die Loyalität eines Teils der linken Basis [seiner Arbeiterpartei PT] zu stärken, mit der Lula seine Schwierigkeiten hat", sagt Guilherme Casarões, Experte für Internationale Beziehungen an der Privatuniversität Fundação Getulio Vargas in São Paulo gegenüber dem ZDF.
    Lula sei es wichtig, das linke Lager zu befrieden, das traditionell enge Verbindungen zu palästinensischen Organisationen pflegt und wo es, so Casarões, "Elemente gibt, die man nach unseren Maßstäben als antisemitisch bezeichnen könnte".

    Suche nach neuer Rolle für sein Land

    Was seine Selbstdarstellung als charismatischer Brückenbauer und Vermittler angeht, dürfte Lula sich damit allerdings in der zweiten weltpolitischen Krise ins Aus geschossen haben, nach seinen Relativierungen zu Russlands Feldzug in der Ukraine.
    Auch dies ist möglicherweise kein Versehen. Nachdem in Brasilien für Jahrzehnte die Doktrin der Äquidistanz gegolten hat - dem gleichen Abstand zu allen Großen, um möglichst manövrierfähig zu bleiben - sucht Lula eine neue Rolle für sein Land:
    "Lula setzt auf einen außenpolitischen Weg, der nicht notwendigerweise antagonistisch zu dem des Westens ist, der aber auch nicht auf einer Linie liegt. Brasilien will diesen Weg als Führer des globalen Südens [an der Seite von Ländern wie Südafrika und Indien] gehen, jenseits von Russland und China", sagt Casarões.

    Botschaft Lulas an den Westen

    Deren Politik ist zwar ebenfalls anti-westlich, aber kaum mit einem selbstbewussten Postkolonialismus des Südens vereinbar, was allein schon das imperialistische Auftreten beider Länder gegenüber der Ukraine und Taiwan zeigt.
    Am Vorabend des G20-Auftaktes ist die Strategie Lulas gegenüber dem Westen also möglicherweise nicht so problematisch, wie seine Äußerungen befürchten lassen.
    Wenn es Lula gelingt, als Vertreter eines unabhängigen globalen Südens eine Art Dritten Weg auf der Weltbühne zu gehen, könnte er weiterhin ein Partner für den Westen sein. Wenn auch nicht mehr ein so berechenbarer, wie noch zu seiner ersten Amtszeit zwischen 2003 und 2010.

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