Neues Dorf soll Jesiden zur Rückkehr bewegen

    Zehn Jahre nach IS-Überfall:Neues Dorf soll Jesiden zur Rückkehr bewegen

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    Vor zehn Jahren überfiel die Terrormiliz IS das jesidische Dorf Kocho - massakrierte Männer und verschleppte die Frauen. Der Bau eines neuen Dorfes soll die Minderheit schützen.

    Archiv: Gräber auf dem Friedhof in Kocho, Irak
    In Kocho ermordeten IS-Extremisten am 15. August 2014 Hunderte Menschen.
    Quelle: imago

    Zehn Jahre ist es her, dass ihr Dorf in der irakischen Region Sindschar von Terroristen des Islamischen Staats heimgesucht wurde. Jesidische Männer und Jungen wurden von ihren Familien getrennt und massakriert, Frauen und Kinder verschleppt, viele von ihnen vergewaltigt und versklavt.
    Nun kommen die Überlebenden zurück nach Kocho, wo Anführer der jesidischen Gemeinschaft am Donnerstag Pläne für ein neues Dorf vorstellten. Es soll international finanziert werden und die Verschleppten und Vertriebenen aufnehmen, die nach einem der blutigsten Massaker des IS an der religiösen Minderheit übrig blieben.

    Extremisten ermordeten in Kocho Hunderte Menschen

    Allein in Kocho ermordeten die Extremisten am 15. August 2014 Hunderte Menschen. Während ihres blutigen Treibens in der weiteren Region Sindschar, dem Stammland der Jesiden, tötete und versklavte der IS Tausende von ihnen. Die sunnitischen Kämpfer betrachten Jesiden als Ungläubige.
    Displaced people from the minority yazidi sect, fleeing violence from forces loyal to the islamic state in sinjar town, walk towards the syrian border, on the outskirts of sinjar mountain, near the syrian border town of elierbeh of al-hasakah governorate august 11, 2014.
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    Von damals 1.470 Einwohnern Kochos wurden 1.027 vom Islamischen Staat verschleppt und 368 getötet. Nur 75 gelang die Flucht, wie aus einem Bericht des Nahost-Zentrums der London School of Economics hervorgeht.
    Alle Genehmigungen seien nun durch, sagte Naif Jasso, ein bekannter Jesiden-Anführer. Der Bau des neuen Dorfes werde am 5. September beginnen. Das neue Kocho soll in der Nähe des Dorfes Tel Kassab geschaffen werden, zehn Kilometer nördlich des ursprünglichen Dorfes, von dem fast nur Ruinen übrig blieben.
    Junge Jesidin hockt in Zimmer von zerstörtem Haus, auf dem Boden Trümmer
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    Warum die Rückkehr ein heikles Thema ist

    Die Internationale Organisation für Migration (IOM), das UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) und Nadia’s Initiative, eine Nonprofit-Organisation, die von der jesidischen Überlebenden Nadia Murad finanziert wird, hoffen, dass das Dorf entwurzelte Jesiden dazu bewegen wird, in ihre historische Heimat zurückzukehren.
    Die Rückkehr ist ein heikles Thema. Nur wenige Jesiden haben diesen Schritt bislang gewagt. In Sindschar ist die Situation besonders düster. Die Infrastruktur ist zerstört, es gibt kaum Gelder für den Wiederaufbau und mehrere bewaffnete Gruppen wetteifern um die Vorherrschaft in dem Gebiet. Obwohl der IS im Jahr 2017 im Irak geschlagen wurde, sind nach IOM-Angaben bis April dieses Jahres nur 43 Prozent der mehr als 300.000 aus Sindschar vertriebenen Jesiden zurückgekehrt.
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    133 vertriebene Familien wollen zurückkehren

    Jasso sagte, 133 vertriebene Familien hätten erklärt, sie seien bereit, zurückzukommen und sich in dem neuen Dorf Kocho niederzulassen. Neben Häusern für die Rückkehrer soll es unter anderem eine Gesundheitseinrichtung und ein psychiatrisches Zentrum geben. Die Häuser würden genau auf die Größe und Bedürfnisse der Familien ausgerichtet, sagte ein Sprecher von Nadia’s Initiative.
    Fatima Ismael, eine weitere Überlebende des Kocho-Massakers, die seit neun Jahren im selben Lager wie Kassim lebt, hofft ebenfalls darauf, sich in dem neuen Dorf niederzulassen. Das alte Kocho sei mit zu vielen schmerzhaften Erinnerungen behaftet. Die Überreste ihres Ehemanns und zweier ihrer Söhne wurden in Massengräbern gefunden. Drei weitere Söhne gelten immer noch als vermisst. Auf einem lokalen Friedhof sind drei leere Gräber für sie reserviert.

    Ich kann niemals nach Hause zurückkehren, weil ich die leeren Zimmer nicht anschauen kann.

    Fatima Ismael, Überlebende des Kocho-Massakers




    Quelle: Oliver Beckhoff, AP

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