Zehn Jahre Völkermord an Jesiden: Warten auf Gerechtigkeit

    Zehn Jahre Völkermord:Jesiden: Warten auf Gerechtigkeit

    Golineh Atai
    von Golineh Atai, Kairo
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    Tausende wurden getötet, Kinder zu Kämpfern gemacht, Frauen als Sexsklavinnen gehalten. Zehn Jahre nach den IS-Verbrechen hoffen die Jesiden im Irak immer noch auf Sicherheit.

    In Shingal im Irak gibt es schwere Zerstörung - bis heute.
    Ab dem 3. August 2014 wurden etwa 5.000 Jesiden von der Terrorgruppe IS brutal hingerichtet.02.08.2024 | 4:38 min
    "Ich warte seit zehn Jahren auf ein Begräbnis. Wenn die Regierung uns informiert hätte über ihre Leichen, wären wir in Frieden. Wir hätten eine Beerdigung gehabt, und an ihren Gräbern geweint. Aber wir warten immer noch", schluchzt die Jesidin Laila Shamo. Sie sucht immer noch ihre Kinder, ihren Mann, ihre Familie. Liegen sie vielleicht hier?
    Die Szenerie wirkt wie aus einem Kinostreifen. Ein riesiges Erdloch, fast hundert Meter tief, mitten in der Steppe. Auf dem Grund: Überreste von Menschen. Knochen und Kleidung. Der sogenannte Islamische Staat, der Teile des Nordwesten Iraks einige Jahre beherrschte, kippte hier die Leichen seiner Opfer hinein.




    demonstration
    Seit 2014 die Terrorgruppe Islamischer Staat tausende Jesiden im Irak ermordet, entführt und versklavt. Nun geraten sie in der Sinjar-Region erneut zwischen die Fronten.31.07.2024 | 7:00 min

    Dutzende Leichen sind noch nicht einmal identifiziert

    Zehn Jahre nach der Ankunft der IS-Terrormiliz gräbt ein Expertenteam der Vereinten Nationen und des irakischen Staates die Leichen aus, um sie zu identifizieren. Einige Angehörige sind gekommen. Sie sind frustriert. Denn es ist einer der letzten Einsätze von UNITAD - der UN-Untersuchungskommission zur Aufklärung von IS-Verbrechen im Irak. Die Regierung in Bagdad hat das Mandat von UNITAD jäh beendet. Obwohl wohl noch Dutzende solcher Massengräber geöffnet und Leichen identifiziert werden müssten.

    Wir sind zutiefst frustriert über diese Entscheidung.

    Mahmud Barghashi

    "Wir werden die bisherige Arbeit verlieren. Und Tausende IS-Mitglieder sind bislang nicht identifiziert, geschweige denn verurteilt worden. Wer die Beendigung der UN-Kommission entschieden hat, der ist auch verantwortlich für alles, was uns Jesiden angetan wurde", sagt Mahmud Barghashi, der für eine jesidische Entwicklungsorganisation arbeitet und die Ausgrabungen verfolgt.
    In Shingal im Irak gibt es schwere Zerstörung - bis heute.
    Nach zehn Jahren hat der Irak die Regionen, wo der IS plünderte und mordete kaum wieder aufgebaut.
    Quelle: AFP

    "Die Internationale Gemeinschaft ist hier gescheitert"

    Der UN vertrauten die Jesiden mehr als Iraks Regierung. Der Irak hat immer noch keine Gesetze, die eine Ahndung internationaler Verbrechen möglich machen. Verschwinden die gesammelten Beweise jetzt in einem Archiv? Die Hoffnung der Angehörigen auf Rechenschaft der Täter schwindet. "Wir wollten damals ein internationales Gericht. Es war klar, dass am Ende von UNITAD ein Vakuum entstehen würde. Auch die Internationale Gemeinschaft ist hier gescheitert", kritisiert Mirza Dinnayi

    Es ist, als ob sie den IS einfach vergessen möchte.

    Mirza Dinnayi, Aktivist

    Dinnayi, half 2014 mit seinem Verein "Deutsch-Irakische Luftbrücke e.V" tausende Jesiden zu retten und viele Frauen nach Deutschland zu evakuieren.
    Eine Gruppe IS-Soldaten, darunter ein Kind, posieren mit Waffen vor ihrer Flagge.
    2014 ziehen islamische Extremisten mit schwarzer Flagge durch Nordsyrien und den Irak. Es dauert Jahre, den IS zu vertreiben.08.09.2023 | 41:54 min

    In Heimat der Jesiden fehlt es an fast allem

    Während in Mossul der Wiederaufbau vorangeht, bleibt die Region Sindschar, im Nordwesten Iraks, deutlich zurück. In der historischen Heimat der Jesiden sind die meisten Häuser noch immer zerstört. Eine grundlegende Infrastruktur ist vielerorts noch mangelhaft, es fehlt Strom, Wasser, es fehlen Schulen und Krankenhäuser, es fehlen Arbeitsplätze. Fast 200.000 Jesiden leben immer noch in Zelt-Camps, in der benachbarten Autonomen Region Kurdistan.
    Die Regierung in Bagdad möchte diese Zeltlager so bald wie möglich schließen. Die Einwohner sollen zurückkehren. Und tatsächlich bauen einige nun ihr Zelt neben der Ruine ihres Hauses wieder auf. "Dabei wäre es so wichtig gewesen, traumatisierte Menschen nicht in einem Zelt leben zu lassen, sondern in Häusern", sagt Nagham Nawzat Hasan, eine Frauenrechtlerin und Menschenrechtsaktivistin, die zahllose Jesidinnen psychologisch betreut hat.
    Displaced people from the minority yazidi sect, fleeing violence from forces loyal to the islamic state in sinjar town, walk towards the syrian border, on the outskirts of sinjar mountain, near the syrian border town of elierbeh of al-hasakah governorate august 11, 2014.
    Vor zehn Jahren begann der Völkermord des sogenannten Islamischen Staates an den Jesiden. Bis heute leben Hunderttausende von ihnen in Flüchtlingslagern oder im Exil.03.08.2024 | 1:31 min

    Ruf nach Schutz für Jesidinnen und Jesiden

    Zuweilen waren es die eigenen muslimischen Nachbarn, die sich dem IS anschlossen, Jesiden als Teufelsanbeter brandmarkten, Jesidinnen entführten und missbrauchten. Dass der Irak die Ehefrau von IS-Anführer Abu Bakr Al-Baghdadi zum Tode verurteilt habe, empfinden viele als Genugtuung - auch weil die Frauen des IS den Jesidinnen gegenüber äußerst brutal gewesen seien.
    Doch die IS-Ideologie sei nicht verschwunden, berichten Opfer. "Wir hofften, dass religiöse Würdenträger im Irak die Menschen zu Toleranz, friedlichem Zusammenleben und Liebe auffordern", sagt Menschenrechtlerin Hasan.

    Aber leider spielen viele von ihnen eine negative Rolle und säen Hass in der Gesellschaft.

    Nagham Nawzat Hasan, Menschenrechtlerin

    "Wir sehen, dass IS-Angehörige frei herumlaufen im Irak. Wir wollen Garantien, dass der Völkermord von 2014 sich nicht wiederholt. Wir brauchen internationalen Schutz, internationale Unterstützung!"
    Thumbnail Die Spur: Terrorgefahr in Deutschland
    Wie groß ist die Terrorgefahr durch Islamisten in Deutschland?24.04.2024 | 28:24 min

    Von Stabilität keine Spur in der Region

    In Sinjar fühlen sich die Jesiden bis heute nicht sicher. Nicht nur die irakische Armee patrouilliert dort. Die Jesiden sind zwischen den Fronten - ein Spielball zwischen konkurrierenden Paramilitärs. Pro-iranische Milizen und die kurdische Terrorgruppe PKK kämpfen In Sindschar um Boden und Einfluss.
    Zugleich erstarkt jenseits der Grenze, im Nordosten Syriens, der IS - und verübt immer mehr Anschläge. Nichts vermittelt den Eindruck einer stabilen Region, in der eine Minderheit - die nie eine politische Vertretung hatte - sicher leben könnte.
    Golineh Atai ist Leiterin des ZDF-Studios in Kairo.

    Eine Person hält ein Smartphone in der Hand. Darauf ist der WhatsApp-Channel der ZDFheute zu sehen.
    Quelle: ZDF

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