Zünglein an der Waage: Italiens Rolle vor der Europawahl

    Zünglein an der Waage:Italiens Rolle vor der Europawahl

    von J. Degler, A. Postel, Rom
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    Kurz vor den EU-Wahlen werden neue Bündnisse vorbereitet. Italiens Parteien könnten eine zentrale Rolle spielen. Die Linkspopulisten nehmen die Wagenknecht-Partei in den Blick.

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    Ursula von der Leyen strebt weitere fünf Jahre an der EU-Spitze an. Um sich eine zweite Amtszeit als Kommissionspräsidentin zu sichern, ist sie offen, sich allenfalls mit Stimmen von Rechtsaußen-Parteien ins Amt wählen lassen. Allen voran mit Hilfe der als postfaschistisch klassifizierten Fratelli d’Italia (FdI) und ihrer Chefin Georgia Meloni, um deren Gunst sie derzeit wirbt.
    Von der Leyens Begründung: Italiens Regierungschefin sei proeuropäisch, pro Rechtsstaat und stehe auf der Seite der Ukraine. Die beiden Politikerinnen pflegen zudem ein pragmatisch gutes Verhältnis, vor allem bei der Migrationsfrage.

    Ich habe mit Giorgia Meloni sehr gut im Europäischen Rat zusammengearbeitet, wie ich es mit allen Staats- und Regierungschefs tue.

    Ursula von der Leyen, EU-Kommissionspräsidentin

    Regierung in Rom ist sich uneins

    In der rechten Regierung Italiens, bestehend aus Melonis FdI, Matteo Salvinis Lega und der Forza Italia (FI) von Außenminister Antonio Tajani, ist die Personalie von der Leyen weiterhin umstritten. Denn im EU-Parlament gehören die Koalitionspartner unterschiedlichen Fraktionen mit unterschiedlichen Interessen an. Und das bietet Raum für Meinungsverschiedenheiten.
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    Salvini lehnt von der Leyen ab

    Lega-Chef Matteo Salvini stellt sich entschlossen gegen die amtierende Kommissionspräsidentin. Seine Position ist klar: Von der Leyen habe eine der bisher schlechtesten Kommissionen geführt. "Ich habe weder für von der Leyen gestimmt, noch werde ich jemals für sie stimmen", sagte der stellvertretende Ministerpräsident Italiens auf einer Pressekonferenz in Rom und fügte hinzu:

    Wenn von der Leyen also nichts mit mir und Le Pen zu tun haben will, dann denke ich, dass das auf Gegenseitigkeit beruht.

    Matteo Salvini, Lega-Chef

    Auch Le Pen wirbt um Melonis Gunst

    In der Fraktion Identität und Demokratie (ID), der Salvinis Lega im EU-Parlament angehört, sitzt auch das rechtspopulistische Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen. Zuletzt bekundetet auch sie Interesse an einem Bündnis mit Melonis Partei. "Jetzt ist der Moment, um sich zu vereinen", sagte Le Pen bei einem Wahlkampftermin dem "Corriere della Sera". Schließlich seien sich sie und Meloni in den wesentlichen Fragen einig:

    Wenn wir Erfolg haben, können wir die zweitgrößte Fraktion im Europäischen Parlament werden. Ich denke, eine solche Gelegenheit sollte man sich nicht entgehen lassen.

    Marine Le Pen, Rassemblement National dem "Corriere della Sera"

    Italien-Korrespondent Andreas Postel schätzt dazu ein, dass Meloni und ihre Fratelli d’Italia nach dem 9. Juni das Zünglein an der Waage werden könnten und

    ...eine zentrale Rolle dabei spielen, Mehrheiten im europäischen Parlament herbeizuführen.

    Andreas Postel, ZDF-Korrespondent in Rom

    Außerdem schließt Meloni eine Zusammenarbeit mit linken Parteien im EU-Parlament aus. Dies gilt auch für eine mögliche Wiederwahl von der Leyens, etwa zusammen mit Stimmen der Sozialdemokraten: "Ich bin nicht bereit, gemeinsam mit der Linken für diese Mehrheit zu sorgen", sagt Meloni.
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    Forza Italia wirbt mit verstorbenem Berlusconi

    Indes macht Forza Italia Wahlkampf mit ihrer Gallionsfigur Silvio Berlusconi. Man sieht ihn auf Plakaten und Bussen. Der Haken: Parteigründer Berlusconi ist seit fast einem Jahr tot. Davon lässt sich die Partei nicht beirren. Für Unstimmigkeiten sorgt vielmehr die Personalie von der Leyen.
    Licia Ronzulli (FI), Vizepräsidentin des Senats, nannte die amtierende Kommissionspräsidentin Mitte Mai ein "hinkendes Pferd". Auch Antonio Tajani meidet die Nähe zu der CDU-Politikerin, wenn auch er bei seinem Wahlkampfauftakt pflichtgemäß versicherte: "Mit von der Leyen läuft es gut".

    Mögliche Allianz der Linksnationalen

    Neue Bündnisse tun sich auch im links-konservativen Spektrum auf. Eine zentrale Rolle dabei könnte das linkspopulistische Movimento 5 Stelle (M5S) von Giuseppe Conte spielen. In einer Polit-Talkshow kündigte Conte an:

    Wir werden in den progressiven Bereich und nicht zu den Sozialisten gehen. Es wird eine Überraschung geben.

    Giuseppe Conte, M5S bei "Quarta Repubblica"

    Diese Überraschung könnte Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) heißen, wie aus EU-Parlamentskreisen durchdringt. Darüber berichtet die italienische Tageszeitung "La Repubblica". Beide Parteien teilen eine eher russlandfreundliche Haltung und fordern die Beilegung des Krieges in der Ukraine durch Aufnahme von Friedensverhandlungen mit Präsident Putin.
    Als weiterer Partner für Contes Partei, die im europäischen Parlament seit 2019 heimatlos ist, könnte auch die linksnationale Partei Smer des slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico in Frage kommen. Das Ergebnis könnte eine neue Gruppierung linkspopulistisch-nationalistischer Kräfte sein. Eine "alleanza rossobruna", wie man den Zusammenschluss von Parteien dieser politischen Couleur in Italien nennt.
    Mit Material von: ANSA, Corriere della Sera, dpa, La Repubblica und Reuters
    Andreas Postel ist Leiter des ZDF-Auslandsstudios Rom. Julian Degler arbeitet dort.

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