Zünglein an der Waage: Italiens Rolle vor der Europawahl
Zünglein an der Waage:Italiens Rolle vor der Europawahl
von J. Degler, A. Postel, Rom
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Kurz vor den EU-Wahlen werden neue Bündnisse vorbereitet. Italiens Parteien könnten eine zentrale Rolle spielen. Die Linkspopulisten nehmen die Wagenknecht-Partei in den Blick.
Italiens Ministerpräsidentin Meloni beendete am Samstag ihren Wahlkampf.01.06.2024 | 1:32 min
Ursula von der Leyen strebt weitere fünf Jahre an der EU-Spitze an. Um sich eine zweite Amtszeit als Kommissionspräsidentin zu sichern, ist sie offen, sich allenfalls mit Stimmen von Rechtsaußen-Parteien ins Amt wählen lassen. Allen voran mit Hilfe der als postfaschistisch klassifizierten Fratelli d’Italia (FdI) und ihrer Chefin Georgia Meloni, um deren Gunst sie derzeit wirbt.
Von der Leyens Begründung: Italiens Regierungschefin sei proeuropäisch, pro Rechtsstaat und stehe auf der Seite der Ukraine. Die beiden Politikerinnen pflegen zudem ein pragmatisch gutes Verhältnis, vor allem bei der Migrationsfrage.
Regierung in Rom ist sich uneins
In der rechten Regierung Italiens, bestehend aus Melonis FdI, Matteo Salvinis Lega und der Forza Italia (FI) von Außenminister Antonio Tajani, ist die Personalie von der Leyen weiterhin umstritten. Denn im EU-Parlament gehören die Koalitionspartner unterschiedlichen Fraktionen mit unterschiedlichen Interessen an. Und das bietet Raum für Meinungsverschiedenheiten.
Wie weit rechts die italienische Regierung von Giorgia Meloni steht, zeigt sich vor allem in der Familienpolitik.19.01.2024 | 2:12 min
Salvini lehnt von der Leyen ab
Lega-Chef Matteo Salvini stellt sich entschlossen gegen die amtierende Kommissionspräsidentin. Seine Position ist klar: Von der Leyen habe eine der bisher schlechtesten Kommissionen geführt. "Ich habe weder für von der Leyen gestimmt, noch werde ich jemals für sie stimmen", sagte der stellvertretende Ministerpräsident Italiens auf einer Pressekonferenz in Rom und fügte hinzu:
Auch Le Pen wirbt um Melonis Gunst
In der Fraktion Identität und Demokratie (ID), der Salvinis Lega im EU-Parlament angehört, sitzt auch das rechtspopulistische Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen. Zuletzt bekundetet auch sie Interesse an einem Bündnis mit Melonis Partei. "Jetzt ist der Moment, um sich zu vereinen", sagte Le Pen bei einem Wahlkampftermin dem "Corriere della Sera". Schließlich seien sich sie und Meloni in den wesentlichen Fragen einig:
Italien-Korrespondent Andreas Postel schätzt dazu ein, dass Meloni und ihre Fratelli d’Italia nach dem 9. Juni das Zünglein an der Waage werden könnten und
Außerdem schließt Meloni eine Zusammenarbeit mit linken Parteien im EU-Parlament aus. Dies gilt auch für eine mögliche Wiederwahl von der Leyens, etwa zusammen mit Stimmen der Sozialdemokraten: "Ich bin nicht bereit, gemeinsam mit der Linken für diese Mehrheit zu sorgen", sagt Meloni.
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Forza Italia wirbt mit verstorbenem Berlusconi
Indes macht Forza Italia Wahlkampf mit ihrer Gallionsfigur Silvio Berlusconi. Man sieht ihn auf Plakaten und Bussen. Der Haken: Parteigründer Berlusconi ist seit fast einem Jahr tot. Davon lässt sich die Partei nicht beirren. Für Unstimmigkeiten sorgt vielmehr die Personalie von der Leyen.
Licia Ronzulli (FI), Vizepräsidentin des Senats, nannte die amtierende Kommissionspräsidentin Mitte Mai ein "hinkendes Pferd". Auch Antonio Tajani meidet die Nähe zu der CDU-Politikerin, wenn auch er bei seinem Wahlkampfauftakt pflichtgemäß versicherte: "Mit von der Leyen läuft es gut".
Mögliche Allianz der Linksnationalen
Neue Bündnisse tun sich auch im links-konservativen Spektrum auf. Eine zentrale Rolle dabei könnte das linkspopulistische Movimento 5 Stelle (M5S) von Giuseppe Conte spielen. In einer Polit-Talkshow kündigte Conte an:
Diese Überraschung könnte Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) heißen, wie aus EU-Parlamentskreisen durchdringt. Darüber berichtet die italienische Tageszeitung "La Repubblica". Beide Parteien teilen eine eher russlandfreundliche Haltung und fordern die Beilegung des Krieges in der Ukraine durch Aufnahme von Friedensverhandlungen mit Präsident Putin.
Als weiterer Partner für Contes Partei, die im europäischen Parlament seit 2019 heimatlos ist, könnte auch die linksnationale Partei Smer des slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico in Frage kommen. Das Ergebnis könnte eine neue Gruppierung linkspopulistisch-nationalistischer Kräfte sein. Eine "alleanza rossobruna", wie man den Zusammenschluss von Parteien dieser politischen Couleur in Italien nennt.
Mit Material von: ANSA, Corriere della Sera, dpa, La Repubblica und Reuters
Andreas Postel ist Leiter des ZDF-Auslandsstudios Rom. Julian Degler arbeitet dort.