Tote in Gaza: Was wir über das Drama am Hilfskonvoi wissen

    Analyse

    Tote bei Hilfslieferung in Gaza:Drama am Hilfskonvoi: Was bekannt ist

    von Jan Schneider und Oliver Klein
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    Wie kam es zur Tragödie am Hilfskonvoi im Gazastreifen mit vielen Toten? ZDFheute hat Augenzeugenberichte und Bildmaterial ausgewertet.

    This image grab from a handout video released by the Israeli army on February 29, 2024, shows what the army says are Gazans around aid trucks in Gaza City. Israeli forces shot dead 104 people when a crowd rushed towards aid trucks on February 29, the health ministry in Hamas-run Gaza said. Israeli sources confirmed that troops opened fire at Palestinians rushing toward aid trucks in Gaza, with one saying soldiers thought they "posed a threat" to troops
    Menschen stürmen auf einen Konvoi mit Hilfsgütern im Gazastreifen. Es fallen Schüsse, Dutzende sterben. Vorwürfe werden laut. Doch was genau passiert ist, bleibt unklar.01.03.2024 | 2:16 min
    Die Empörung über das Chaos bei der Ankunft eines Hilfsgüterkonvois in Gaza mit vielen Toten ist groß, die israelische Armee massiv unter Druck: Zivilisten seien von "israelischen Soldaten ins Visier genommen" worden, beklagt der französische Präsident Emmanuel Macron. Der palästinensische UN-Botschafter Riad Mansur warf Israel die vorsätzliche Tötung von Palästinensern vor, die UN und auch die US-Regierung fordern Aufklärung.
    Was ist in den frühen Morgenstunden am Donnerstag geschehen? Haben wirklich israelische Soldaten auf Zivilisten geschossen? ZDFheute hat Berichte von Augenzeugen, Fotos und Drohnenvideos ausgewertet und klärt die wichtigsten Fragen.
    In der Nähe des Al-Nabulsi-Kreisverkehrs kam es zu dem Chaos um die Hilfskonvois:
    karte Gaza - Hilfslieferungen

    ZDFheute Infografik

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    Was ist geschehen?

    Frühmorgens gegen 4:40 Uhr Ortszeit sollen die ersten von insgesamt 30 Lastern mit Hilfsgütern für die hungernden Menschen an der nord-westlichen Grenze von Gaza-Stadt angekommen sein. Nach Darstellung des israelischen Militärs kam es zu einem chaotischen Gedränge. Zahlreiche Menschen seien auf die Lastwagen gestürmt, erklärte der israelische Armeesprecher Daniel Hagari.

    Einige fingen an, andere gewaltsam zu schubsen und zu Tode zu trampeln und plünderten die humanitären Hilfsgüter.

    Daniel Hagari, israelische Armeesprecher

    Die israelische Armee veröffentlichte ein Drohnenvideo, das Teile der Geschehnisse aus der Vogelperspektive zeigen soll. Zu sehen sind demnach die Laster des Hilfskonvois und hunderte Menschen, die sich darum scharen.
    Drohnenaufnahme des Hilfskonvois in Gaza-Stadt
    Drohnenaufnahme (hier ein Zusammenschnitt des ZDF) des israelischen Militärs vom Hilfskonvoi in Gaza-Stadt - zu sehen sein soll, wie sich die Menschen an mehreren Stellen um die Laster scharen.
    Quelle: ZDF/Screenshots Drohnenvideo der IDF

    Haben israelische Soldaten auf Zivilisten geschossen?

    Schüsse fielen, so viel scheint sicher. Doch es gibt widersprüchliche Angaben. Mehrere Augenzeugen berichteten, dass die israelische Armee auf die Hilfesuchenden geschossen haben soll und dadurch die Panik ausgelöst worden sei. Peter Lerner, ebenfalls ein Sprecher des israelischen Militärs, sagte dem Fernsehsender CNN, dass Soldaten Warnschüsse in die Luft abgegeben hätten, da sie sich bedroht gefühlt hätten. Auch Panzer sollen "vorsichtig" versucht haben, die Menge mit Warnschüssen zu vertreiben, wie es hieß. In einem Video, das der TV-Sender Al Jazeera Arabic bei X veröffentlicht hat, sind zudem mehrere Gewehrschüsse zu hören.
    USA, New York: Der Sicherheitsrat trifft sich vor der Abstimmung über eine Resolution zum Waffenstillstand im Gazastreifen.
    Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat sich mit dem Tod vieler Zivilisten bei der Übergabe von Hilfsgütern im Gazastreifen befasst. Israels Militär gerät unter Druck.01.03.2024 | 0:22 min
    Laut israelischen Medienberichten sollen die Soldaten auch auf die Beine der Menschen gezielt haben. Etliche Fotos zeigen Menschen mit Schusswunden an den Beinen. Hagari betonte hingegen: "Wir haben weder auf Hilfesuchende noch auf den humanitären Konvoi geschossen, weder am Boden noch aus der Luft."
    Palästinenser werden am 29.02.2024 im Kamal-Edwan-Krankenhaus in Beit Lahia im nördlichen Gazastreifen medizinisch versorgt
    Im Kamal-Edwan-Krankenhaus in Beit Lahia werden Palästinenser medizinisch versorgt (29.02.2024)
    Quelle: AFP

    Der palästinensische Botschafter der Vereinten Nationen, Riad Mansur, stellt die Ereignisse anders dar: Vor der Ankunft des Konvois von Hilfstransportern hätten sich Tausende im Norden Gazas versammelt. "Und dann begann die israelische Armee plötzlich, auf sie zu schießen, und den uns vorliegenden Informationen zufolge haben Dutzende von ihnen Kugeln im Kopf. Es wurde nicht in den Himmel geschossen, um Menschen zurückzuhalten, weil Chaos herrschte. Es wurde absichtlich gezielt und getötet", sagte Mansur am Donnerstag in New York.

    Wie viele Menschen sind ums Leben gekommen?

    Das von der Hamas kontrollierte Gesundheitsministerium im Gazastreifen gibt an, dass 112 Menschen getötet und 760 weitere verletzt worden seien. Von der israelischen Armee gab es bislang keine Zahlen zu Toten. Sie spricht von "Dutzenden Getöteten und Verletzten" und dass die meisten Menschen beim Andrang auf den Konvoi gestorben sind, weil sie totgetrampelt oder von den Lastern überfahren wurden.
    Auch die "BBC" zitiert einen Augenzeugen, der berichtet, dass die meisten Getöteten von den Lastern überfahren wurden. Im Drohnenvideo sind am Ort des Geschehens mindestens ein Dutzend leblose Körper am Boden zu sehen, als die Laster abfahren. Unklar ist, ob die Menschen verletzt oder tot sind.
    Drohnenaufnahme des Hilfskonvois in Gaza-Stadt
    Nahe der Lkw sind mehrere leblose Körper zu sehen (einige von ihnen mit Kreisen markiert). Die israelischen Militärfahrzeuge (Vierecke) wurden in den Aufnahmen von der Armee unkenntlich gemacht.
    Quelle: ZDF/Screenshot Drohnenvideo der IDF

    Welche Bedeutung haben die Hilfslieferungen?

    Die Hilfskonvois mit Nahrungsmitteln sind für die Bevölkerung in Gaza die einzige Chance zu überleben: Jeder Vierte im Gazastreifen - mindestens 576.000 Menschen - sei "in einem katastrophalen Ausmaß von Entbehrungen und Hunger bedroht", warnte das Welternährungsprogramm WFP kürzlich im Weltsicherheitsrat. Schon vor dem Krieg mussten Nahrung, Wasser, Treibstoff und vieles andere aus Israel gebracht werden.
    Mit Material von dpa

    Am 7. Oktober waren Hunderte Kämpfer der Terrororganisation Hamas nach Israel eingedrungen und hatten Gräueltaten überwiegend an Zivilisten verübt, darunter an vielen Frauen und Kindern. Um die 1.200 Menschen in Israel wurden nach israelischen Angaben getötet, zudem wurden etwa 240 Menschen als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Wieviele von ihnen noch leben, ist bis heute unklar.

    Dies war der Auslöser für den Gaza-Krieg, in dem nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde bisher rund 42.000 Palästinenser getötet wurden, etwa ein Drittel davon Kinder und Jugendliche. Nach Angaben der Hamas, seien seit Beginn der Angriffe Zehntausende Menschen in dem Palästinensergebiet getötet worden.

    Die Angaben zu Toten und Verletzten beider Seiten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

    (Stand: 5. Oktober 2024)

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