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Interview
Wirtschaft an Paris und Berlin:"Wir brauchen klare politische Ansagen"
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Die Ansprache von Frankreichs Präsident Macron habe die Wirtschaft verunsichert, sagt der Chef der französischen Handelskammer in Deutschland. Es brauche jetzt einen klaren Kurs.
Die deutsch-französische Wirtschaft ist verunsichert - und fordert Klarheit von den Regierungen in Frankreich und in Deutschland.
Quelle: AFP
Es ist ein eindringlicher Appell, den Frédéric Berner, Geschäftsführer der französischen Handelskammer in Deutschland (CCFA), an die französische und deutsche Regierung richtet. Die politische Unsicherheit habe die Unternehmen verunsichert. Er drängt auf klare Ansagen an die Wirtschaft.
ZDFheute: Präsident Emmanuel Macron hat gesprochen. Was hat das für Konsequenzen?
Frédéric Berner: Der Präsident hat gesprochen, aber leider hat er nicht viel gesagt. Wir warten jetzt auf einen Premierminister, um endlich handlungsfähig zu sein. Zusätzlich haben wir in Frankreich das Problem, dass das Parlament in drei Gruppen aufgesplittert ist, die gegeneinander arbeiten.
Die französische Handelskammer in Deutschland (CCFA) vertritt 300 kleinere und mittelgroße Unternehmen, die in Deutschland Niederlassungen oder Firmensitze haben. Die CCFA hat ihren Sitz in Saarbrücken.
ZDFheute: Welche ökonomischen Konsequenzen hat das?
Berner: Die Konsequenzen sind dramatisch. Viele Unternehmen sind in Wartestellung, weil sie klare Ansagen brauchen. Sie brauchen einen klaren Steuerkontext, um zu entscheiden, ob sie vorgesehene Investitionen machen oder eben nicht. Zwei Drittel der mittelständischen Unternehmen haben Investitionen erst mal auf Halt gestellt. Sie wollen wissen, welche Regierung wir haben, welche politische Strategie verfolgt wird.
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ZDFheute: Welche Folgen hat das im deutsch-französischen Kontext?
Berner: Das heißt, dass die beiden wichtigsten Länder der EU sich gerade im Pausenzustand befinden, und das ist dramatisch. Denn wir haben in Amerika einen Präsidenten Donald Trump, der im Januar wieder ins Amt kommt. Der wird Tempo machen und natürlich Amerika an erste Stelle bringen, das hat er ja schon in seiner letzten Amtszeit gemacht. Und der "Inflation Reduction Act" von Joe Biden war schon fatal genug für unsere Wirtschaft.
Das heißt, dass wir jetzt eigentlich zwei starke Länder brauchen, die eine klare Richtung vorgeben, wir müssen beschleunigen, wir müssen investieren. Aber wenn unsere Regierungen in dem Zustand sind, in dem sie gerade sind, dann verlieren wir Zeit.
ZDFheute: Wie stehen beide Länder da?
Berner: Wir sind im Zustand der Stagnation. Deutschland und Frankreich haben sehr niedrige Wachstumsraten.
Frankreich rühmt sich zu recht damit, in den letzten Jahren viele internationale Investoren angeworben zu haben. Die Ansiedlungspolitik war sehr ausgeprägt.
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Aber wenn man sich diese ausländischen Investoren anschaut, dann hat jeder zweite schon angekündigt, dass er die Investitionen nicht weiterführt. Weil die Vision nicht klar ist.
Dabei haben wir sehr viele große Baustellen. Die Digitalisierung, Umwelt, Energie, Transformation unserer Industrie, vor allem im Automobilsektor. All diese Baustellen im Bereich Infrastruktur, Schiene, Straße, Luftfahrt brauchen dringend Investitionen. Große Investitionen. Sie brauchen auch ein starkes Engagement unserer Regierungen, die Ansagen machen, wo sie Schwerpunkte setzen. Das muss unbedingt jetzt passieren.
ZDFheute: Und was soll Macron jetzt machen? Zurücktreten?
Berner: Macron wurde demokratisch gewählt, zum zweiten Mal. Sein Mandat geht bis 2027. Was wir brauchen, sind klare politischen Ansagen, egal welcher Präsident an der Macht ist. Klare Linien, die engagiert verfolgt werden in Abstimmung mit den europäischen Partnern.
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Denn ich sage es nochmal: Bei allen Herausforderungen, allen Investitionen, die auf europäischer Ebene anstehen, ist es nicht Frankreich, aber auch nicht Deutschland alleine, die hier das Ruder herumreißen können, um den Herausforderungen der Transformation zu begegnen, die vor uns liegen.
Und deshalb brauchen wir Regierungschefs, die das verstehen, die das vertreten, die Lust haben, gemeinsam zu arbeiten. Und damit muss man jetzt eigentlich sofort anfangen.
Das Interview führte Susanne Freitag-Carteron, Leiterin des ZDF-Studios im Saarland.
Quelle: ZDF
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