Interview
Zwangsabschiebungen angedroht:Türkei: Warum die Stimmung gegen Syrer kippt
von Anna Feist
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2023 wurden in Deutschland 51 Prozent mehr Asylanträge gestellt als im Jahr davor. Mehr als 100.000 Asylsuchende kommen ursprünglich aus Syrien. Was steckt dahinter?
Kein anderes Land hat so viele Geflüchtete aus Syrien aufgenommen wie die Türkei: mehr als drei Millionen. Doch die Stimmung gegen die Syrer verschärft sich seit Monaten.13.02.2024 | 8:38 min
Kein anderes Land hat so viel Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen wie die Türkei: Mehr als drei Millionen Syrer leben dort, seitdem 2010 in ihrer Heimat ein Bürgerkrieg tobt. Der türkische Arbeitsmarkt und das Gesundheitswesen stehen ihnen grundsätzlich offen.
Doch seit der Wirtschaftskrise ist die Stimmung im Land gegen die Syrer gekippt: "Die kriegen noch nicht mal Mindestlohn", schimpft etwa Burhan Ergen im Istanbuler Stadtteil Fatih. "Für den Arbeitgeber ist das billig. Aber wenn unsere Türken einen Job suchen, dann finden sie keinen." Eine ältere Dame neben ihm stimmt kopfnickend zu: "Wenn man als Gast irgendwo hingeht, sollte man auch nach gegebener Zeit wieder nach Hause zurückkehren."
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Im türkischen Präsidentschaftswahlkampf im Mai 2023 kündigte Präsident Recep Tayep Erdoğan an, Häuser in Syrien zu bauen, "die eine Million Syrer aufnehmen können."
Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu machte damals Stimmung: "Spätestens in zwei Jahren werden wir alle unsere syrischen Brüder mit Trommeln und Zurna nach Syrien schicken. Wir werden kein Hindernis anerkennen." Und die Ex-Innenministerin Meral Akşener bezeichnet die Türkei gar als "eine Müllhalde der Europäer."
Quelle: ZDF
Mehr zu dem Thema sehen Sie am Dienstag bei frontal. Am 13. Februar um 21 Uhr im ZDF und in der ZDF-Mediathek.
Türkei droht mit Zwangsabschiebungen nach Syrien
Männer wie Tamer und Sami fürchten, dass sie abgeschoben werden, zurück nach Syrien, wo der Bürgerkrieg unter Diktator Assad weiter Opfer fordert. Beide kommen aus Syrien, leben seit mehr als zehn Jahren in der Türkei.
Sami hat das Gefühl, er sei Bürger dritter Klasse: "Egal ob du im Recht bist oder nicht, es gibt hier kein Recht mehr, wenn du nicht Türke bist."
Tamer hat als Journalist in der Türkei gearbeitet, Sami ist Dekorateur. Sie hatten sich nach ihrer Flucht eingerichtet, so gut es eben geht. Doch nun wollen beide weg aus der Türkei - Richtung Europa. Tamer hat es bereits einmal geschafft über den Grenzfluss Evros nach Griechenland. Doch dort sei er von griechischen Grenzern festgenommen worden. Kleidung und Geld seien ihm weggenommen worden, erzählte er.
Schließlich seien sie von türkischen Grenzern verhaftet worden: "Sie drohten, sie würden uns wieder zurücksenden nach Griechenland."
Viele Syrer planen Flucht aus der Türkei nach Europa
Tamer will es wieder versuchen, diesmal über das Mittelmeer. Denn in die alte Heimat Syrien wollen beide auf keinen Fall zurückkehren - aus gutem Grund: Diplomaten des Auswärtigen Amtes beschreiben die Lage in Syrien in einem vertraulichen Bericht von 2023 so: "Für keinen Landesteil Syriens kann von einer nachhaltigen Beruhigung der militärischen Lage ausgegangen werden".
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Und Flüchtlinge, die nach Syrien zurückkehren, müssten demnach mit dem schlimmsten rechnen. Im Bericht heißt es:
Während in dem von Diktator Bashar al Assad kontrollierten Teil des Landes jede Kritik lebensgefährlich sein kann, werden die kurdischen kontrollierten Gebiete im Osten des Landes regelmäßig von der Türkei bombardiert.
Erdoğan will seine Vorherrschaft im syrischen Grenzgebiet ausbauen. So verwaltet er einen Landstrich rund um Idlib - entlang der türkischen Grenze. Sauberes Trinkwasser und Hilfsgüter sind dort kaum vorhanden. Seuchen wie Cholera sind auf dem Vormarsch. Erdogan plant dennoch die rund drei Millionen Syrer, die derzeit in der Türkei leben, dorthin abzuschieben.
Migrationsforscher fordert Verhandlungen mit Assad
Der türkische Migrationsforscher Murat Erdoğan kennt die Stimmung und die politischen Pläne in seiner Heimat. Er fordert die Europäische Union auf, mit Assad und Syrien ins Gespräch zu kommen. Das sei schon 2016 im Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei besprochen worden: "Aber die EU wollte das nicht machen", weil Syrien eine Diktatur sei.
Daran festzuhalten sei falsch. Europa arbeite schließlich auch mit anderen autokratischen Regimen zusammen. Und nur durch Gespräche mit Assad könne die Flucht von weiteren Millionen Menschen in die Türkei und nach Europa verhindert werden. Europäische Politiker verschlössen davor die Augen, sagt Migrationsforscher Erdoğan: "Das ist gefährlich nicht nur die Türkei, sondern auch für Europa".
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Murat: "Jeder arbeitet jetzt als Schleuser"
Passiert nichts, profitieren jene, die mit der Flucht ihr Geschäft machen. So wie Murat. Seit acht Jahren arbeitet er als Schleuser. In den Sommermonaten, wenn die Nachfrage am höchsten ist, verdiene er bis zu 10.000 Euro pro Monat. Und er sei nur einer von vielen: "Jeder arbeitet jetzt als Schleuser, es gibt ja sonst kaum noch Jobs. Gerade in Istanbul gibt es Viertel, da findest Du in jedem Kaffee zwei bis drei Schleuser."
Obwohl türkische und griechische Grenzschützer viel härter durchgreifen und die Fluchtrouten dadurch immer gefährlicher würden als früher - die Nachfrage bleibt hoch. Murat weiß, warum: "Diese Menschen haben doch nichts zu verlieren. Sie würden alles in Kauf nehmen: Schläge, Folter und sogar den Tod."
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