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Femizide nehmen erschreckend zu:Kenia: Tödliches Pflaster für Frauen
von Josefine Rein, Nairobi
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Immer mehr Gewalt gegen Frauen - etwa, weil sie sich gesellschaftlichen Normen widersetzen. Staat und Gerichte schauen tatenlos zu. Jetzt protestieren Aktivistinnen auf der Straße.
"Women's Lives Matter": Aktivistinnen protestieren in Kenia gegen die steigende Gewalt gegen Frauen.
Quelle: AFP
"Women’s Lives Matter" rufen die Frauen im Chor, während sie durch Nairobis Innenstadt marschieren. Frauen aus allen Stadtteilen, aller Religionen und aller Einkommensgruppen sind gekommen - auch ein paar solidarische Männer sind dabei. Begonnen haben die Proteste am internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, doch die Aktivistinnen und Aktivisten wollen 16 Tage protestieren - trotz Tränengas und Einschüchterungen durch die Polizei.
Gezielte Tötung - weil sie Frauen sind
"Wie viele Frauen müssen noch sterben, bis die Regierung diese Epidemie anerkennt und endlich handelt?", fragt Happy Olal, einer der Organisatoren der Proteste. Allein in den letzten drei Monaten berichtet die kenianische Polizei von 97 getöteten Frauen. Seth Nyakio, Waris Daud, Christine Nyakio - derzeit wird in Kenia jeden Tag eine Frau Opfer eines Femizids, der gezielten Tötung aufgrund ihres Geschlechtes.
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Tötung von Olympia-Marathonläuferin schockiert weltweit
Bereits im September hatte die Tötung der ugandischen Olympia-Marathonläuferin Rebecca Cheptegei für internationale Erschütterung gesorgt. Ihr kenianischer Lebenspartner hatte sie mit Benzin übergossen und angezündet. Sie starb wenige Tage nach dem Angriff. Cheptegei ist bereits die vierte Profiläuferin in Kenia, die von ihrem Partner getötet wurde.
Frauen widersetzen sich traditionellen Normen
"Diese Frauen widersetzen sich den traditionellen Normen, dass Frauen nur in der Küche stehen und sich um die Kinder kümmern", sagte ihre Kollegin, die kenianische Läuferin Joan Chelimo dem US-amerikanischen Sender CNN. Die Sportlerinnen von heute seien selbstbewusst und finanziell unabhängig - und damit eine empfundene Bedrohung für Männer.
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Opfer als Schlampen beschimpft
"Viele unserer Männer haben nicht gelernt, uns Frauen als Menschen zu respektieren", erklärt die 46-jährige Demonstrantin Stellamaries Nthenya. Das wäre es, was der Gewalt den Boden bereitet. In den sozialen Medien beschimpfen Männer die Opfer von Femiziden als "Schlampen", die die Männer finanziell ausnutzen. Selbst etablierte Zeitungen schrecken nicht davor zurück, den Opfern selbst die Schuld zu geben.
Täter kommen oft aus direktem Umfeld
Das Datennetzwerk Africa Data Hub dokumentierte 500 Femizide in Kenia zwischen 2016 und 2023 - die Dunkelziffer liegt vermutlich deutlich höher. Die Daten zeigen: In 75 Prozent der Fälle kamen die Täter aus dem direkten Umfeld der Opfer - Intimpartner, Ehemänner, Freunde oder Familienmitglieder. Den meisten der dokumentierten Femizide ging ein Muster gewalttätigen Missbrauchs durch die Partner der Opfer voraus. Schutzprogramme für Opfer häuslicher Gewalt hätten diese Frauen retten können - wenn der Staat gehandelt hätte.
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Verstärkt die Wirtschaftskrise Gewalt gegen Frauen?
Femizide sind lediglich die Spitze des Eisbergs der Gewalt gegen Frauen: Nach Angaben des kenianischen Statistikamtes hat fast die Hälfte der Frauen im Alter zwischen 15 bis 49 Jahren körperliche Gewalt, meist durch Partner, erlebt. "Viele Frauen in meiner Nachbarschaft verlassen ihre gewalttätigen Männer nicht, weil sie finanziell abhängig von ihnen sind", erzählt Stellamaries Nthenya. Sie macht die Wirtschaftskrise in Kenia für die steigende Zahl von Femiziden verantwortlich. Von der Regierung fordert sie mehr Arbeitsplätze für Frauen, "damit wir finanziell auf eigenen Beinen stehen können."
Korrupte Polizei, manipulierte Zeugen?
Die Aktivistinnen fordern außerdem, dass der Staat die Täter zur Rechenschaft zieht. Africa Data Hub berichtet von verzögerten Gerichtsprozessen aufgrund von mangelnden Ermittlungen und manipulierten Zeugen. Der Mord an der Schwester von Veronica Gathoni etwa wurde nie aufgeklärt. "Der Ehemann und Mörder meiner Schwester bestach die Polizei, und die Ermittlungen wurden eingestellt", erzählt Veronica Gathoni, während sie im Demonstrationszug durch Nairobis Innenstadt marschiert. Sie geht auf die Straße, um für Gerechtigkeit für ihre Schwester und hunderte weitere Opfer von Femiziden zu kämpfen.
Quelle: ZDF
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