Femizide in Österreich: Sechs Frauen in vier Tagen getötet
Getötete Frauen in Österreich:Aktivisten: Femizide "strukturelles Problem"
von Lale Ohlrogge, Wien
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Am Freitag wurden in Wien fünf Frauen an einem Tag getötet. Drei Tage später tötete ein Mann seine Ehefrau. Aktivistinnen sehen ein strukturelles Problem in Österreich.
Am Freitag wurden in Wien innerhalb von 24 Stunden vier Frauen und ein Mädchen getötet.27.02.2024 | 1:55 min
Hunderte Frauen und Männer stehen vor einem S-Bahnhof in Wien. Sie halten sich an den Händen, nehmen sich in den Arm und ab und zu drängt ein Schluchzen aus der Menge. Auch Hanife Ada stehen die Tränen in den Augen. Zusammen mit den anderen, meist weiblichen Demonstranten, will sie trauern: Innerhalb von vier Tagen wurden sechs Frauen in Österreich getötet. Drei von ihnen in unmittelbarer Nähe der Gedenkveranstaltung.
Ada berichtet von ihrer eigenen Gewalterfahrung. Jahrelang hatte die gebürtige Türkin die Gewalt ihres Ehemannes ertragen, konnte sich nur lösen, weil er dachte, er hätte sie totgeschlagen.
Aktivistin: Femizide in Österreich "strukturelles Problem"
In Österreich erlebt jede dritte Frau im Laufe ihres Lebens Gewalt. Jeden Monat werden durchschnittlich drei Frauen ermordet, sagen die autonomen österreichischen Frauenhäuser. Das ist im EU-Vergleich relativ hoch. In Österreich hat man den Anspruch, in Gleichberechtigung und Liberalität weit fortgeschritten zu sein und versteht deswegen die Anzahl der Fälle nicht.
Am Freitag erstach ein afghanischer Asylbewerber drei chinesische Frauen in einem Wiener Bordell. Am selben Tag erdrosselte ein österreichischer Buchalter seine Ehefrau und seine 13-Jährige Tochter. Der Tatverdächtige wurde später tot aufgefunden. Am Montag dann ein weiterer Femizid: Ein Rentner tötete zuerst seine Frau und versuchte dann, sich selbst umzubringen. Der 93-jährige überlebte seinen Suizidversuch schwer verletzt und wurde ins Krankenhaus eingeliefert.
"Femizide sind hier in Österreich ein strukturelles Problem", sagt die Organisatorin der Demo, Sarah Moayeri von Rosa e.V. Die Täter sind fast immer Männer. Und die Frauenmorde hängen mit einer Gesellschaft zusammen in welcher es immer noch eine "sexistische und queer-feindliche Kultur" gebe, sagt die Aktivistin.
Drohungen, Beleidigungen, Schläge: Jede dritte Frau in Deutschland hat schon einmal Gewalterfahrungen gemacht. Doch die wenigsten sprechen darüber oder holen sich Hilfe.11.10.2023 | 30:12 min
Frauenministerin verweist auf Schutzeinrichtungen
Brigit Haller forscht seit Jahren zu Femiziden in Österreich. "Wenn in einer Gesellschaft keine Geschlechtergerechtigkeit herrscht, ist das immer der Nährboden für Gewalt gegen Frauen," so die Wissenschaftlerin. In Sachen Geschlechtergerechtigkeit sei Österreich aber nicht schlechter aufgestellt als andere EU-Staaten. Warum die Zahlen also ausgerechnet in Österreich so hoch sind, dafür hat die Sozialwissenschaftlerin keine Erklärung.
Die Frauenministerin Susanne Raab verweist auf Präventionsmaßnahmen und sagt, dass "jede Frau und jedes Kind" einen Platz in einem Frauenhaus oder einen Termin in einer Gewaltschutzeinrichtung bekommen würde. Und das "zu jedem Zeitpunkt." Diese Einrichtungen seien ausfinanziert.
Studie: Täter und Opfer kennen sich meist
Rund 75 Prozent der Taten werden von Österreichern oder EU-Bürgern begangen, so eine Studie, die die österreichische Regierung in Auftrag gegeben hat. Ein Mord ist meist das Ende einer langen Entwicklung. In über 81 Prozent der Fälle kennen sich Täter und Opfer, oder sind sogar verwandt. Häufig gelingt es Frauen nicht, sich rechtzeitig zu lösen. Oder, sie kehren sogar zu ihrem Peiniger zurück.
Hanife Ada hilft heute anderen Frauen bei der Trennung und setzt sich bei dem Projekt "Stop - Stadtteile ohne Partnergewalt" für Zivilcourage in der Nachbarschaft ein. "Meine Nachbarin meinte, sie hätte immer meine Schreie gehört, aber sie dachte es gehört zu meiner Kultur", so die gebürtige Türkin.
Der 2009 zu lebenslanger Haft verurteilte Josef Fritzl bleibt in Haft, so das zuständige Gericht. Er hielt seine Tochter Jahre gefangen, missbrauchte sie und zeugte Kinder mit ihr.
Sie müsse auch mit Rassismus kämpfen, erzählt sie. Ada fordert härtere Strafen für Gewalttäter, egal woher sie kommen. Und sie zieht die Mütter von Söhnen in die Verantwortung. "Wir müssen ihnen beibringen, gute Männer zu sein", sagt Ada.
Häusliche Gewalt fange nicht erst bei Schlägen an, sagt die Aktivistin Sarah Moayeri. "Es beginnt mit Manipulationen, mit unter Druck setzten mit psychischer Gewalt", erklärt sie weiter. Der Femizid sei System, meint Moayeri: "Sie sind die Spitze des sexistischen Eisberges".