Ischinger zu Europawahl: Probleme könnten größer werden
Interview
Experte Ischinger zu Europawahl:Was der Rechtsruck für die Ukraine bedeutet
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Europa hat gewählt - was der Rechtsruck für den Ukraine-Krieg und Deutschland bedeutet, erklärt Ex-Diplomat Ischinger. Er warnt: China und Russland dürften Europa nicht spalten.
Europa hat gewählt - Kiews Schicksal ungewiss? Darüber diskutieren bei Maybrit Illner heute unter anderem der SPD-Vorsitzende Klingbeil, CDU-Außenpolitiker Röttgen und Ex-Diplomat Ischinger.13.06.2024 | 63:59 min
ZDFheute: Gefährdet der Rechtsruck nach der Europawahl die Unterstützung für die Ukraine?
WolfgangIschinger: Das Ergebnis dieser Europawahl, einschließlich des unzweifelhaften Rechtsrucks, wird nicht dazu führen, dass die Europäische Union sich von der Ukraine abwenden oder die Unterstützung der Ukraine einstellen wird. Aber die Schwierigkeiten bei einzelnen Beschlüssen, egal ob es um Getreide, Geld oder militärische Leistung geht, könnten eher größer werden.
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ZDFheute: Wie kann man die Schwierigkeiten minimeren?
Ischinger: Der zentrale Punkt ist, allen Europäern klarzumachen, dass die Unterstützung der Ukraine keine Wohltat ist, sondern die Voraussetzung dafür, Sicherheit, Wohlstand und Frieden in unserem Land und für die nächste Generationen zu wahren.
ZDFheute: War es klug von Olaf Scholz, um Wähler zu werben, indem er sich als Friedenskanzler plakatieren ließ?
Ischinger: Die SPD und der Kanzler müssen feststellen, dass der Versuch, sich als Friedenskanzler zu präsentieren, angesichts der realen Bedrohung und der Katastrophe, die Russland jeden Tag in der Ostukraine verursacht, sich nicht ausgezahlt hat. Themen wie Migration und Heizungsgesetz haben aber mindestens genauso, wenn nicht sogar stärker, die Wahlentscheidung beeinflusst.
Quelle: Kay Nietfeld/dpa/Archivbild
... leitete von 2008 bis 2022 die Münchner Sicherheitskonferenz (MSC). Heute ist er Präsident des MSC-Stiftungsrats. Zuvor war er Staatssekretär im Auswärtigen Amt, außerdem deutscher Botschafter in Washington und London. Als Botschafter in Großbritannien lernte er Queen Elizabeth II. persönlich kennen.
Zweifel an der Entscheidungs- und Führungskraft der Regierung und die Sorge, dass möglicherweise ideologische Grundüberlegungen zu sehr im Vordergrund standen, haben aus meiner Sicht bei der Jugend und beim Wähler dazu geführt, sich von der Ampel abzuwenden.
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ZDFheute: Hat Sie Emmanuel Macrons Entscheidungen überrascht, als Reaktion auf das Europawahl-Ergebnis Neuwahlen auszurufen?
Ischinger: Ich sehe in der Art, wie Macron Politik betreibt, Risikobereitschaft und Entscheidungskraft. Ich denke nicht, dass Macron damit sich selbst und Frankreich schwächt. Mit ein bisschen Glück wird er wieder stabilere Verhältnisse herstellen können, nach diesem katastrophalen Wahlergebnis für das Mitte-Links-Lager. Aber ein erhebliches Risiko geht er ein, das ist richtig.
ZDFheute: Riskiert Emmanuel Macron damit nicht die Unterstützung für die Ukraine?
Ischinger: Die Entscheidungen über die Außenpolitik trifft der Präsident in Élysée-Palast. Und dem kann es weitgehend egal sein, was sein Premierminister denkt.
ZDFheute: Welchen Stellenwert hat die Wiederaufbaukonferenz mitten im Krieg?
Ischinger: Als Vorbereitung für Nachkriegsaktivitäten ist sie hilfreich. Wir werden keine Investitionswunder erleben. Aber es ist richtig, einen Plan zu haben und zu wissen, wer könnte was wann wie machen, sobald keine Bomben mehr fallen - und vielleicht sogar, solange noch Bomben fallen.
Der Chef der konservativen Republikaner hat sich als erster Vorsitzender einer traditionellen Partei für ein Bündnis mit den Rechtspopulisten des Rassemblement National ausgesprochen.12.06.2024 | 2:30 min
ZDFheute: Bei der Ukraine-Friedenskonferenz in der Schweiz nächstes Wochenende sind weder Russland noch China dabei. Kann sie trotzdem den Frieden näherbringen?
Ischinger: Diese Konferenz wird eine breit angelegte Demonstration der fortgesetzten internationalen Solidarität mit der Ukraine sein. China hat bereits 2023 mit seinem 12-Punkte-Plan gezeigt, dass es als wachsende Weltmacht Interesse hat, an Konfliktlösungen militärischer, politischer oder diplomatischer Art in Europa und im Nahen Osten beteiligt zu sein. Deshalb ist es bedauerlich, dass China offenbar fernbleiben wird.
Die Sendung "maybrit illner" mit dem Thema "Europa hat gewählt - Kiews Schicksal ungewiss?" am Donnerstag, 12. Juni, um 22:15 Uhr im ZDF - und ab 21 Uhr im Livestream auf ZDFheute.
Wiederaufbaukonferenz in Berlin, Friedenskonferenz in der Schweiz und überall auch die Bitte um Waffen: Der ukrainische Präsident Selenskyj reist durch Europa – und das ist gespalten. Die Gemeinschaft seiner größten Unterstützer ist nach der Europawahl so mit sich selbst beschäftigt wie lange nicht. Ist Russland einer der Gewinner dieser Europawahl? Bröckelt die Unterstützung für die Ukraine? Gibt Europa viel Geld aus, das der Ukraine wenig hilft?
Bei Maybrit Illner diskutieren der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil, CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen, BSW-Vorsitzende Amira Mohamed Ali, der langjährige Diplomat Wolfgang Ischinger und die Friedens- und Konflikforscherin Nicole Deitelhoff.
Im persönlichen Gespräch hat mir der chinesische Außenminister gesagt, was nützt diese Konferenz, wenn der Konfliktgegner Russland nicht dabei ist? Das ist keine falsche Frage, und ich hoffe, im weiteren Verlauf gelingt es ein Konzept zu verfolgen, um beide Konfliktparteien einzubinden. Das muss das langfristige Ziel sein.
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ZDFheute: Hat sich Kanzler Scholz um die chinesische Teilnahme bemüht?
Wolfgang Ischinger: Natürlich. Er hat sich auch im Vorfeld bemüht. Das war richtig! Es wäre schön gewesen, hätte Scholz nicht allein, sondern mit Frankreich und der Europäischen Union zusammen China sagen können, wir möchten, dass Ihr dabei seid, weil das für uns wichtig ist.
Darin sehe ich eine große Führungsaufgabe, an der sich Deutschland zentral beteiligen muss: Europa muss hier mit einer einzigen klaren Stimme sprechen.
Das Interview führte Berit Suhr. Sie arbeitet in der Redaktion "maybrit illner".