Wahl in Ägypten: Wie der Gaza-Krieg Präsident Al-Sisi nützt

    Analyse

    Präsidentenwahl in Ägypten:Wie der Gaza-Krieg Präsident Al-Sisi nützt

    Golineh Atai
    von Golineh Atai
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    Ägypten steht am wirtschaftlichen Abgrund. Unter Al-Sisi ist es so arm geworden wie nie. Doch der Gaza-Krieg hat ihm Auftrieb gegeben - und von Krise und Repression abgelenkt.

    "Was sollen diese Wahlen denn bringen? Nichts. Nichts Neues", sagt ein Händler auf einem Markt in einem der ärmeren Viertel Kairos. Eine andere erwidert: "Na, der Präsident hat uns Sicherheit und Stabilität gebracht. Das ist die Hauptsache".
    Je mehr Krisen und Kriege in Ägyptens Nachbarländern, wie derzeit in Libyen, Sudan und Gaza, umso fester scheint Präsident Abdel Fattah Al-Sisi im Sattel zu sitzen. Gerade im Angesicht dessen würden viele auf demokratische Experimente verzichten, erklärt der Oppositionelle Mohammad Anwar Al-Sadat, ein Neffe des Alt-Präsidenten Sadat: "In so einer Zeit bleibt man wohl lieber beim Teufel, den man kennt."

    Wut auf USA und Israel: Präsident punktet

    Al-Sisis Popularität hatte zuletzt empfindlich gelitten: Ägypten steckt in der tiefsten Wirtschafts- und Finanzkrise seiner Geschichte. Doch Gaza veränderte die Gleichung dieser Wahlen. Der Krieg dort lenkte ab von den eigenen Opfern. Al-Sisis Rhetorik der Stärke - er übernahm viel von der Wut der Straße auf die USA und Israel in seine Reden - verschaffte ihm weitere Pluspunkte.
    "Für das Regime ist jetzt das Wichtigste die Wahlbeteiligung. Wie es eine Beteiligung von um die vierzig Prozent präsentieren kann", sagt Sadat. Wie das geht - das zeigt ein aufmerksamer Besuch in den Wahllokalen. Da Polizisten in Zivil die Stimmung dort kontrollieren, reden Wähler nur unter vorgehaltener Hand darüber, dass sie durch Druck und Einschüchterung ihrer Chefs - oder mit Sach- und Geldgeschenken - zur Stimmabgabe "ermuntert" werden. Zum Beispiel mit zwei Säckchen Zucker - gerade eine vielerorts unauffindbare Ware im Land.

    Ägyptens Wirtschaft am Boden

    Unter Al-Sisi ist das Land so arm wie nie geworden. Ägypten ist - nach Argentinien - der größte Schuldner des Internationalen Währungsfonds und - nach der Ukraine - das Land mit dem größten Risiko eines Zahlungsausfalls. Die Inflation erreichte fast vierzig Prozent. Die Währung ist kollabiert. Eine Ägypterin klagt:

    Wir leben in der Hölle. Alles ist so teuer! Der Präsident muss uns doch fühlen.

    Schon vor der Krise galten sechzig Prozent im Land als arm: sie lebten laut Angaben der Weltbank entweder unter oder am Rand der Armutsgrenze.
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    Armut in Ägypten - Megaprojekte des Präsidenten

    Experten machen dafür nicht nur den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine verantwortlich sondern auch die vielen Prestige-Bauten des Präsidenten, vor allem seine 58 Milliarden Dollar teure neue Hauptstadt, so groß wie Singapur. Kritik daran gilt als Subversion. Der Präsident hatte jüngst gewarnt:

    Wenn der Preis für Fortschritt und Entwicklung Hunger und Durst ist, dann lasst uns weder essen noch trinken.

    Präsident Al-Sisi

    Um über die Runden zu kommen, könne auch mal aufs Abendessen verzichtet werden. Oder mit Blutspenden etwas dazuverdient werden, riet er.

    Abdel Fattah Al-Sisi: Keine echten Gegner

    Auch nach einem Jahrzehnt der Repression ist Ägyptern der politische Humor erhalten geblieben: Spötter sprechen von den Präsidentschaftswahlen als einem "Demokratie-Festival". Feldmarschall Abdel Fattah Al-Sisi hatte sich durch eine umstrittene Verfassungsänderung eine dritte Amtszeit ermöglicht. Echte Gegner fehlen. Die Alternativkandidaten sind von oben "orchestriert" oder bewegen sich im aufgezwungenen Rahmen des Militärregimes. Ein Al-Sisi-Plakatwald beherrscht fast jede Straße im Land.
    Dabei hatte der Wahlkampf hoffnungsvoll begonnen. Der Oppositionelle Ahmad Tantawi hatte die Politik auf die Straße zurückgebracht. Das hatte es in Ägypten seit der Revolution nicht mehr gegeben.
    Tantawi - im Parlament bekannt für seine Kritik am Regime, und zuletzt im Exil, weil er Ägypten wegen Gefahren für seine Sicherheit verlassen musste - versprach mit seinem Wahlkampf einen Neuanfang. Er hatte eine Graswurzelbewegung geschaffen. Weder verortete er sich bei den Islamisten der Muslimbruderschaft noch beim Militär - sondern zog mit den Parolen des Arabischen Frühlings - "Brot, Freiheit, soziale Gerechtigkeit" - durch das Land.

    Schlägertrupps gegen Oppositionelle

    "Die Ägypter wollen einen Wandel und sind dazu auch fähig. Sie haben in unserer Kampagne eine echte Alternative gesehen. Und als das Regime das bemerkte, beschloss es, uns in plumper Manier zu behindern", sagt Tantawi dem ZDF.
    Hotels schmissen sein Wahlkampfteam hinaus. Vom Regime angeheuerte Schläger behinderten Tantawis Unterstützer, ihre Unterschriften für seine Registrierung als Kandidat abzugeben. Mehr als hundert seiner Mitarbeiter wurden festgenommen. Ihn selbst erwartet nun eine Klage wegen angeblicher Verstöße.

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