Exklusiv
Interview
Ampel in der Krise:"Neuwahlen würden die Dinge nicht verbessern"
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Die Ampel bleibt im Umfragetief und Teile der FDP wollen das Ende der Koalition. Politologin Julia Reuschenbach hält Neuwahlen aber für keine gute Idee - und warnt die FDP.
Das aktuelle Politbarometer sieht die SPD bei 16, die Grünen bei 15 und die FDP bei fünf Prozent.
Quelle: AP
ZDFheute: Laut ZDF-Politbarometer ist die Ampel nach wie vor in der Krise. SPD, Grüne und FDP kommen zusammen auf 36 Prozent. Was müsste die Koalition tun, um aus der Krise zu kommen?
Julia Reuschenbach: Das gemeinsame Auftreten müsste wieder stärker an die ursprünglichen Vorsätze des Bündnisses anknüpfen. Die Zusammenarbeit ist keine Liebesheirat, ja, aber:
Erzielte Erfolge müssten als gemeinsame Erfolge wahrgenommen und kommuniziert werden und schlussendlich bräuchte es in einigen Politikfeldern vermutlich auch nochmals eine inhaltliche Debatte und Neuverortung, weil sich die politischen Realitäten seit Beginn der Zusammenarbeit erheblich verändert haben.
ZDFheute: Eine Mehrheit von 78 Prozent bescheinigt der Ampel, dass die jüngsten Beschlüsse zur Migration wirkungslos sind. Sind die Maßnahmen also gar nicht historisch und deswegen kein geeignetes Mittel, um aus der Krise zu kommen?
Reuschenbach: Zweifel sind berechtigt, weil etwa vermehrte Abschiebungen alleine die Situation nicht verbessern und überdies die Zahl derer, um die es geht, sehr überschaubar ist. Es hätte sicherlich für die Kommunen noch mehr Entlastung und Perspektiven gebraucht, als die Beschlüsse nun hergeben.
Zugleich ist Migrationspolitik ein komplexes Thema, für das es keine einfachen und schnellen Lösungen gibt und bei dem auch nationale Lösungen nur ein kleiner Teil des Ganzen sind. Das muss Politik ehrlich kommunizieren. Die Krise der Ampel ist aber nicht nur eine in der Migrationspolitik. Das greift aus meiner Sicht zu kurz.
ZDFheute: Eine FDP-Initiative fordert das Ende der Ampel. Wäre der Ausstieg aus der Ampel für die FDP eine gute, vielleicht gar lebensrettende Idee?
Reuschenbach: Nein, das denke ich nicht. Man würde der FDP die Verantwortung für turbulente politische Zeiten in schwierigen Krisenzeiten zuschreiben. Man würde Gestaltungsmöglichkeiten verlieren und wenn dann zum Beispiel die Union in eine Regierung einträte, jede Machtoption verlieren. Es schiene mir ausgeschlossen, dass etwa anstelle der Ampel dann ein Jamaika-Bündis entstünde.
Vielmehr müsste sich die FDP fragen, ob sie die bei Regierungsbeginn formulierte Überzeugung, dass man in der Ampel viel gestalten und umsetzen werde, neu mit Leben füllen kann.
Julia Reuschenbach ist Politikwissenschaftlerin an der Freien Universität Berlin. Am dortigen Otto-Suhr-Institut forscht sie unter anderem zu Parteien und Wahlen sowie dem Themenfeld politische Kommunikation.
ZDFheute: Laut ZDF-Politbarometer würden 13 Prozent die Wagenknecht-Partei sicher oder wahrscheinlich wählen. Könnte sich da eine ernsthafte Alternative etablieren?
Reuschenbach: Da sind noch sehr viele Unbekannte im Spiel, weshalb solche Zahlen mit großer Vorsicht betrachtet werden müssen. Es ist unklar, ob und wieweit Frau Wagenknecht für die Wahlen 2024 und 2025 Strukturen, Landesverbände und Personen wird aufbauen können. Sie selbst kann nicht überall antreten.
Einfacher - etwa mit Blick auf mögliche Stimmenverluste der AfD - wird es damit nicht. Die Fragmentierung des Parteiensystems nähme weiter zu und da vermutlich niemand mit dem BSW koalieren würde, würden sich zumindest auf der Landesebene sicherlich auch Mehrheitsbildungsprozesse weiter erschweren.
Vor allem Anhänger der Linken und AfD würden die Wagenknecht-Partei bei der nächsten Bundestagswahl wählen.
Quelle: ZDF
ZDFheute: Insgesamt sind viele Befragte unzufrieden: Laut ARD-Deutschlandtrend wollen 41 Prozent der Befragten Neuwahlen. Glauben Sie, dass es dazu bald kommt?
Reuschenbach: Nein, das denke ich momentan nicht. Alle Beteiligten in der Bundesregierung sehen die Verantwortung, dass Neuwahlen einschließlich eines Wahlkampfes und dem gesamten damit verbundenen Aufwand in der momentanen Krisen- und Kriegssituation die Dinge mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht verbessern würden.
Notwendig wäre aber zweifelsohne, dass die Bundesregierung dringend wieder zu einer besseren Zusammenarbeit zurückfindet und dies auch politisch kommunikativ wieder mehr in die Bevölkerung transportieren kann.
Das Interview führte Dominik Rzepka aus dem ZDF-Hauptstadtstudio.
Die Umfrage zum Politbarometer wurde wie immer von der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen durchgeführt. Die Interviews wurden in der Zeit vom 7. bis 9. November 2023 bei 1.234 zufällig ausgewählten Wahlberechtigten telefonisch erhoben. Dabei wurden sowohl Festnetz- als auch Mobilfunknummern berücksichtigt. Die Befragung ist repräsentativ für die wahlberechtigte Bevölkerung in Deutschland.
Der Fehlerbereich beträgt bei einem Anteilswert von 40 Prozent rund +/- drei Prozentpunkte und bei einem Anteilswert von zehn Prozent rund +/-zwei Prozentpunkte. Daten zur politischen Stimmung: SPD: 17 Prozent, CDU/CSU: 32 Prozent, Grüne: 21 Prozent, FDP: fünf Prozent, AfD: 15 Prozent, Linke: drei Prozent, Freie Wähler: vier Prozent. Das nächste Politbarometer sendet das ZDF am Freitag, den 24. November 2023. Informationen zur Methodik der Umfrage und zu den genauen Frageformulierungen finden Sie auch auf www.forschungsgruppe.de.
Der Fehlerbereich beträgt bei einem Anteilswert von 40 Prozent rund +/- drei Prozentpunkte und bei einem Anteilswert von zehn Prozent rund +/-zwei Prozentpunkte. Daten zur politischen Stimmung: SPD: 17 Prozent, CDU/CSU: 32 Prozent, Grüne: 21 Prozent, FDP: fünf Prozent, AfD: 15 Prozent, Linke: drei Prozent, Freie Wähler: vier Prozent. Das nächste Politbarometer sendet das ZDF am Freitag, den 24. November 2023. Informationen zur Methodik der Umfrage und zu den genauen Frageformulierungen finden Sie auch auf www.forschungsgruppe.de.
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