Videotheken in Deutschland: Was der Unterschied zum Streaming war

Läden fast verschwunden:Videotheken - das Streaming der Achtziger Jahre

von Pablo Silalahi
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Früher wurden Filme in der Videothek geliehen, heute gibt es vor allem Streaming. Warum dadurch auch Fantasie und Kommunikation verloren gingen.

Für viele Jugendliche der Achtziger und Neunziger Jahre war sie einer der coolsten Ort der Welt: die Videothek. Sie brachte schon lange vor Netflix und Co. Hollywood direkt ins Wohnzimmer. Regale voller Verheißungen: Romantik, Action, Thriller oder Comedy.
Und für alle über 18 Jahre natürlich Sex und Horror - hinter dem Vorhang, in der "Schmuddelecke". Für die Betreiber war das oft der lukrativste Bereich. Und für die gerade volljährig gewordenen eine Art Reifeprüfung: Die Mädchen kicherten - die Jungs erröteten. Wer in die Porno-Ecke durfte, war offiziell erwachsen.

Videotheken hatten auch eine soziale Funktion

Die Videothek war mehr als Netflix mit Kassetten und Regalen. Sie war auch Kontaktbörse und Diskussions-Forum: Film-Fans trafen auf Film-Fans. Da wusste eigentlich immer jemand Bescheid.
Zwar dauerte das Aussuchen des Films oft länger, als ihn später zu schauen. Aber vielleicht war das ohnehin nur Nebensache. Und der Wunschfilm war sowieso immer verliehen. Wichtig war, die Kassette pünktlich zurückzugeben. Ansonsten konnte es ganz schön teuer werden.
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Videotheken: Boom bis in die frühen Zweitausender Jahre

Im Vergleich zum Streaming war das alles furchtbar umständlich - Michael Hinz vermisst die Videotheken trotzdem. Der Film-Fan, Jahrgang 1979, hat in seiner Jugend viele Stunden damit verbracht, mit Freunden über die richtige Auswahl zu diskutieren.
"Es war ein Teil des Abends, den es heute nicht mehr gibt". Heute würde "alles nach Feierabend auf der Couch stattfinden", sagt Film-Fan Michael Hinz.

Die Interaktion mit verschiedenen Menschen ist verloren gegangen. Mit Netflix und Co. ist alles komplett in die private Sphäre verschoben worden - und das ist schade.

Michael Hinz, Film-Fan

Ihren Höhepunkt erreichte die Zahl der Videotheken nach der Wende 1989/90, als sie auch den Osten eroberten: 1991 gab es mehr als 9.000 Videotheken in Deutschland, kurz nach der Jahrtausendwende waren es noch gut 6.000.

Die Zahl der Videotheken ist stark geschrumpft

Heute gibt es kaum noch eine Handvoll. Ihre genaue Zahl ist nirgendwo aufgelistet. Auch beim Interessenverband des Video- und Medienfachhandels in Deutschland nicht - denn der hat sich inzwischen aufgelöst.
Filmwissenschaftler Nils Peiler betont, wie viel soziale Interaktion mit der Videothek verloren geht:

Sie war ein Ort, an dem man zusammenkam, an dem man sich auch beraten lassen konnte, an dem man stöbern konnte und das ist was ganz anderes als eine Programmauswahl beim Streaming.

Nils Peiler, Filmwissenschaftler

Filmwissenschaftler: Videotheken präsentierten die Filme fantasievoller

Auch die Präsentation ging damals mehr in die Tiefe sagt Peiler: "Zum Beispiel 'Cover Art', also dass es eigene Hüllen gab oder eigene Poster". Das habe heute - ähnlich wie Schallplatten - auch für Jüngere einen Reiz.

Wir bemerken, dass auch beim jungen Publikum da ein ganz hohes Interesse ist und dass die sich auch mit den Tapes auseinandersetzen und auch eigene Dinge entdecken, die vielleicht für die Alten selbstverständlich waren.

Nils Peiler, Filmwissenschaftler

Peiler leitet seit einigen Jahren das Filmhaus in Saarbrücken. Dort hat er gemeinsam mit dem Videokünstler Thorsten Wagner mit alten VHS-Klassikern eine temporäre Videothek eingerichtet. Mit allem, was dazugehört: Regale mit leeren Hüllen, die VHS-Kassetten gibt's gegen Vorlage der entsprechenden Marke erst an der Theke. In der Ecke steht ein Videorekorder mit flimmernden Röhrenfernseher.
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"Generation Netflix" stöbert einmal nicht virtuell

Eine Zeitreise in die 80er, die viele nur aus Erzählungen kennen: Leonie Matheis streift mit ihrer Mutter durch die Regale. Sie gehört zur "Generation Netflix". Sie findet Gefallen an ihrem Erstkontakt mit VHS:

Ich finde den Prozess spannend etwas auszusuchen und das nicht nur beim Durchdrücken auf Netflix mal zu sehen, sondern auch mal in die Hand zu nehmen und vielleicht auch anderen Menschen zu begegnen.

Leonie Matheis

Für die einen Nostalgie - für andere eine neue Welt. Vielleicht ist es mit den Videotheken wie mit der Mode: Alles kommt irgendwann wieder.

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Quelle: dpa

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