Gerichte zu Rammstein-Sänger:Lindemann-Vorwürfe: Was medial übrig bleibt
von Jan Henrich
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Die Berichterstattung zu den Vorwürfen gegen Till Lindemann beschäftigt Gerichte. Mehrere juristische Erfolge konnte der Rammstein-Sänger dabei verbuchen. Doch was bedeutet das?
Rammstein-Sänger Till Lindemann bei einem Konzert im Berliner Olympiastadion
Quelle: dpa
Nachdem die Irin Shelby Lynn auf Twitter gepostet hatte, dass sie nach einem Rammstein-Konzert mit Erinnerungslücken und blauen Flecken aufgewacht sei, überschlugen sich Vorwürfe und Verdächtigungen vor allem gegen Band-Frontmann Till Lindemann in den Medien.
Lindemann, der die teils schweren Anschuldigungen bestreitet, sah sich in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt und ging mit seinen Anwälten zivilrechtlich dagegen vor. Gerichte hatten daraufhin die Berichterstattung in Teilen untersagt. Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe von Gerichtsbeschlüssen zu unterschiedlichen Medienberichten über die Rammstein-Vorwürfe und zu den Grenzen der Verdachtsberichterstattung. Ein Überblick.
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Welche Äußerungen wurden untersagt?
Untersagt wurde bislang insbesondere, den Verdacht zu äußern, Till Lindemann hätte Frauen mit K.o.-Tropfen betäubt oder betäuben lassen, um Sex mit ihnen zu haben. Das Landgericht (LG) Hamburg hatte dem Spiegel bereits Mitte Juli eine entsprechende Berichterstattung verboten. Die eidesstattlichen Versicherungen und Berichte mehrerer Frauen hätten einen solchen Verdacht nicht tragen können. Auch mehrere Einzelpassagen der Spiegel-Titelgeschichte "Götterdämmerung" wurden untersagt, beispielsweise die Aussage, wonach der Gang zur After-Aftershow-Party bei Rammstein-Konzerten intern als "Schlampenparade" bezeichnet worden sei.
Ähnliche einstweilige Verfügungen ergingen gegen die Berichterstattung von NDR/Tagesschau und Süddeutsche. Auch hier hatten sich Frauen mit Erfahrungsberichten von Rammstein Aftershow-Partys an die Redaktionen gewandt. Auch hier untersagte das LG Hamburg, in den Veröffentlichungen den Verdacht zu erwecken, dass es dort zu strafbaren Handlungen gekommen sei.
Einen Teilerfolg konnten die Anwälte von Lindemann außerdem gegen die YouTuberin und Schauspielerin Kayla Shyx verbuchen. Acht Passagen ihres rund 30-minütigen Videos wurden untersagt. Unter anderem die allgemeine Behauptung, dass Frauen bei den Konzerten unter Drogen gesetzt würden. Die von der YouTuberin geschilderten eigenen beklemmenden Eindrücke von einer Aftershow-Party der Band durften hingegen online bleiben.
Mehrere Erfahrungsberichte als zulässig eingestuft
Denn es ist unstreitig, dass es das System der "Row Zero" bei Rammstein-Konzerten gab. Und dass dabei gezielt junge Frauen rekrutiert wurden, teilweise um schon während der Shows oder danach Sex mit Till Lindemann zu haben. Gerichte haben auch mehrere einzelne Erfahrungsberichte als zulässige Verdachtsberichterstattung gewertet. Erfahrungsberichte, in denen die betroffenen Frauen geschildert hatten, dass sie sich bei diesen sexuellen Handlungen nicht wohlfühlten, dass sie diese als "brutal" empfunden hatten oder dass sie dabei nicht "Herrin ihrer Sinne" waren.
Auch die Äußerungen von Shelby Lynn, der Konzertbesucherin, die die Vorwürfe ins Rollen brachte, hatte das LG Hamburg als zulässige Meinungsäußerung gewertet. Insbesondere auch die von ihr aufgestellte Vermutung, dass sie auf dem Rammstein-Konzert, bei dem sie Teil der "Row Zero" war, unter Drogen gesetzt wurde. Wobei sie dabei nicht gesagt hatte, von wem - und sie hatte auch keinen Vorwurf gegen Lindemann wegen eines sexuellen Übergriffs geäußert.
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Die Grenzen des Presserechts
Aus diesen Gerichtsentscheidungen lässt sich allerdings nicht schließen, was in Wahrheit bei den Konzerten passiert ist. Denn insbesondere in presserechtlichen Eilverfahren ist die Aufklärung offener Fragen begrenzt. Es wird zwischen Berichterstattungsinteresse einerseits und Persönlichkeitsrechten andererseits abgewogen. Heißt: Dass eine Äußerung presserechtlich untersagt wurde, bedeutet nicht, dass diese auch erwiesenermaßen unwahr ist.
Grundsätze der Verdachtsberichterstattung
Bei der Verdachtsberichterstattung, gerade bei Vorwürfen über Straftaten, müssen stets mehrere Grundsätze beachtet werden: Ein Bericht ist nur dann zulässig, wenn ihm ein sogenannter "Mindestbestand an Beweistatsachen" zugrunde liegt und ein Informationsinteresse besteht. Außerdem darf die Berichterstattung nicht vorverurteilen und es muss der betroffenen Person Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden.
Auch das ein Punkt, mit dem das Anwaltsteam von Lindemann juristische Erfolge einfahren konnte, beispielsweise in einem Verfahren gegen die Berichterstattung des ORF. Der hatte Lindemann im Zuge der Recherche zwar mit neu erhobenen Vorwürfen konfrontiert, dabei nach eigenen Angaben allerdings aus Gründen des Quellenschutzes darauf verzichtet, Ort und Zeit genau zu benennen. Für das Gericht reichte das nicht aus.
Keine Aufklärung in Sicht
Der mediale Umgang mit dem Fall Lindemann ist auch deshalb schwierig, weil in der Diskussion immer wieder unterschiedliche Aspekte miteinander vermischt werden. Auf der einen Seite Schilderungen über den zumindest fragwürdigen Umgang mit Frauen im System der "Row Zero" und allgemeine Diskussionen um "Machtmissbrauch" eines Superstars. Auf der anderen Seite die Erhebung von unbewiesenen Vorwürfen über teils schwere Straftaten.
Die strafrechtliche Klärung dieser Vorwürfe ist vorerst vom Tisch. Die Staatsanwaltschaft Berlin hatte Ende August entsprechende Ermittlungen eingestellt.
Eine endgültige Entkräftung der Vorwürfe lässt sich allerdings auch aus dieser Behördenentscheidung nicht herauslesen. Als Grund für die Einstellung gab die Staatsanwaltschaft an, dass sich mutmaßlich betroffene Frauen zwar an Journalisten gewandt hatten, nicht aber für eine Zeugenaussage zur Verfügung standen. Ohne Zeugen keine Ermittlungen.
Jan Henrich ist Redakteur in der ZDF-Redaktion Recht und Justiz
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