Dubiose Firma vermittelt Nieren-Transplantationen in Kenia

Nieren-Operationen in Kenia:Dubiose Firma vermittelt Transplantationen

von Jörg Brase und Christian Rohde
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Deutsche Patienten haben sich in Kenia Nieren transplantieren lassen. Über Vermittler flossen dafür sechsstellige Beträge. Eine Recherche von Frontal, Spiegel und Deutscher Welle.

Organhandel
Es wirkt seriös und sei angeblich völlig legal: Im Internet bietet die Firma Medlead an, Organtransplantationen im Ausland zu vermitteln. Unter ihren Kunden sind auch deutsche Patienten.15.04.2025 | 23:16 min
Sabine Fischer-Kugler hat lange überlegt, ob sie sich im Ausland eine neue Niere besorgen soll. Schon als 20-Jährige musste sie wegen ihres Nierenleidens dreimal die Woche zur Blutwäsche - viel zu hohe Kreatininwerte. Die Dialyse hat Narben hinterlassen, an ihrem Arm sind die Schwellungen nicht zu übersehen.
Mit 25 bekam sie eine fremde Niere transplantiert, ganz legal in Deutschland. 30 Jahre lang ging das gut. Dann kam die Nachricht: Ihr Körper stößt das Organ ab. Als ihr Sohn seine Niere spenden will, lehnen die Ärzte in Deutschland ab - zu jung, zu riskant. Was bleibt, ist die Warteliste für ein Spenderorgan, und die ist lang.

Und das hat mir schon ein bisschen Angst gemacht, weil ich mir gedacht habe, acht Jahre warten, das ist eine lange Zeit.

Sabine Fischer-Kugler, Nierenpatientin

Im Internet stößt Fischer-Kugler auf ein Unternehmen namens Medlead. Ganz offen wirbt die Firma mit Transplantationen im Ausland. Auf der Webseite verspricht sie, die Wartezeit von vielen Jahren auf wenige Wochen zu verkürzen. Und das alles im Einklang mit dem Organspende-Gesetz - also völlig legal.
Kann das sein? Die 57-Jährige hofft und zweifelt zugleich: "Wenn es um Auslandtransplantationen geht, ist der Organhandel natürlich immer im Hintergrund." Was sie überzeugt habe, sei die Aufmachung der Homepage.
Organspende und Transport Typical
In Deutschland fehlen Organspender, sodass immer mehr Menschen im Ausland nach Lösungen suchen. Doch diese Praxis ist teuer und ethisch sowie rechtlich umstritten.11.04.2025 | 1:43 min

Dubiose Transplantations-Vermittler aus dem Internet

Medlead wirbt mit Videos zufriedener Kunden. Sie alle seien in den vergangenen Monaten in Kenia erfolgreich operiert worden. Mehrere deutsche Kunden erzählen ihre Transplantationsgeschichte, nennen ihren Namen und zeigen ihr Gesicht vor der Kamera, manche noch vom OP-Bett in Kenia.
Das überzeugt auch Fischer-Kugler. Sie zahlte nach eigenen Angaben für das Gesamtpaket mit Anreise, Hotel, Medizintests, Operation und Nachsorge einen sechsstelligen Betrag, zwischen 100.000 und 200.000 Euro.
Im Gespräch mit ZDF frontal und Spiegel zeigt Fischer-Kugler ihren Vertrag. Dort heißt es, Medlead stelle auf Bitten des Kunden lediglich "private Krankenhäuser zur Verfügung", die "mit altruistischen Spendern in Kontakt stehen".
Archiv: Ein Styropor-Behälter zum Transport von zur Transplantation vorgesehenen Organen wird am Eingang eines OP-Saales vorbeigetragen.
Für Angehörige und Ärzte ist es hilfreich, den Wunsch von potenziellen Organspendern zu kennen. Eine Erklärung dazu kann man nun auch online abgeben.27.09.2024 | 2:23 min
Medlead selbst habe "keine Beziehung" zu den Spendern und weist darauf hin, dass es "ein absolutes Verbot gibt, dem Spender eine Entschädigung für ein aus seinem Körper zum Spenden entnommenes Organ zu zahlen". Es sei ihr wichtig gewesen, dass das im Vertrag steht, sagt Fischer-Kugler.

Weil das wäre natürlich der typische Organhandel, du gibst mir deine Niere, dafür kriegst du von mir Geld.

Sabine Fischer-Kugler, Medlead-Kundin

Monatelang recherchieren Frontal, Spiegel und Deutsche Welle, reisen nach Kenia in die Provinzhauptstadt Eldoret. Dort wurden in den vergangenen Jahren deutsche Kunden der Firma Medlead operiert, auch Fischer-Kugler.
In einem Hotel sprechen wir ausländische Gäste an, geben vor, Informationen für eine Verwandte zu sammeln. Ein russisches Ehepaar erzählt von der bevorstehenden Nierentransplantation des Mannes. Der Spender sei jung, sagen sie. Sie gehen davon aus, dass er Geld bekommt.

Niemand gibt seine Niere für umsonst her.

Frau eines Transplantationspatienten

Die Rückseite eines ausgefüllten Organspendeausweises. Das Zustimmungsfeld ist angekreuzt.
In Deutschland warten über 8.200 Patienten auf eine Organspende. Andere kommen erst gar nicht auf die Warteliste.24.10.2024 | 1:32 min

Medlead: Vermeintliche Firmensitze in Polen

CEO von Medlead ist der israelische Staatsbürger Robert Shpolanski. Die Firmenadresse befindet sich laut Handelsregister in der polnischen Hauptstadt Warschau.
Ein Tattoo für Organspenden
Die Zahl der Organspender ist seit Jahren zu niedrig. Inzwischen ist sie sogar rückläufig. Mit einer Tattoo-Aktion soll sich das ändern.02.05.2023 | 1:28 min
Vor Ort stellt sich heraus: Das ehemalige Bürohochhaus wurde schon 2023 abgerissen, vorher diente es als Flüchtlingsunterkunft. Im Vertrag von Fischer-Kugler steht noch eine andere Adresse in Warschau. An der findet sich eine Pizzeria. Von einem Büro der Firma hat niemand etwas gehört. Medlead erklärt auf Nachfrage:

Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Webseite bediente sich Medlead tatsächlich eines virtuellen Büros.

Stellungnahme von Medlead

Zum Vorwurf des Organhandels schreibt Shpolanski, seine Firma sei keine medizinische Einrichtung, sondern biete nur administrativen und logistischen Service an. Alles laufe nach Recht und Gesetz.

Wir weisen jeden Vorwurf kategorisch zurück, in Organhandel verwickelt zu sein.

Robert Shpolanski, CEO von Medlead

Das Netzwerk von Shpolanski, der auch Fitnesstrainer ist, so wirbt er auf seiner Webseite, agiere weltweit. Wo sich Shpolanski genau aufhält, ist unbekannt.
Robert Shpolanski (CEO von Medlead)
Robert Shpolanski (CEO von Medlead)
Quelle: Robert Shpolanski Fitness

Es gibt zu wenig Spenderorgane

Thomas Müller ist Nierenarzt und Vorsitzender einer internationalen Vereinigung, die gegen Organhandel und illegalen Transplantationstourismus kämpft. Er hat an einer Studie mitgearbeitet, für die Patienten befragt wurden, die auf ein Spenderorgan warten. Die Verzweiflung der Empfänger spiele eine große Rolle. "Es gibt sogar Tode auf der Warteliste, weil man so lange wartet", sagt Nephrologe Müller.

Ein Fünftel der Patienten sagt, egal wie, ich würde auch eine Niere kaufen. Im Wissen, dass das eigentlich nicht ethisch und nicht rechtmäßig ist.

Thomas Müller, Nephrologe am Universitätsklinikum Zürich

Doch wenn Spender Geld bekämen, "dann wird es illegal und kriminell". Weltweit gebe es rund 100.000 Transplantationen pro Jahr, sagt Müller. Davon seien mindestens fünf Prozent, also rund 5.000, illegal.

2023 wurden in Deutschland 2.122 Nieren transplantiert. Im selben Zeitraum kamen 2.617 Patienten neu auf die Warteliste. Insgesamt warteten 2023 über 10.000 Patienten auf eine Nierenspende.

Der Handel mit Organen ist in Deutschland verboten. Erlaubt sind lediglich Spenden, zum Beispiel von Verwandten oder Verstorbenen. Wer ein Organ verkauft oder sich ein gekauftes Organ einsetzen lässt, dem drohen Strafen von bis zu fünf Jahren Haft.

Kontrolleure: Krankenhaus in Eldoret mit verdächtigen Aktivitäten

Ein lokaler Geschäftspartner der Vermittlungsagentur Medlead ist offenbar das Mediheal-Krankenhaus in Eldoret. In einem Nebengebäude befindet sich die Dialysestation. Dort liegen auch zwei Hotelgäste, die auf ihre Transplantation warten, ein Russe und ein Israeli. In ein paar Tagen würde die Operation stattfinden, sagt der Mann aus Israel.
In seiner Heimat hätte er viele Jahre warten müssen. Und er sei schließlich schon 72 Jahre alt. Er wissen nicht, wer der Spender ist. "Das ist schon ein bisschen suspekt. Du sollst ihm kein Geld geben. Aber natürlich bezahlst du ihn."
Er habe etwas unterschreiben müssen, erzählt der Mann, als Absicherung. "Offiziell erklären wir, dass der Spender ein Cousin von mir wäre, der irgendwie zur gleichen Zeit mit mir nach Ostafrika gekommen ist." Vorgetäuschte Verwandtschaft? Und es soll offenbar doch Geld fließen? Nachfragen dazu beantwortet die Mediheal-Klinik nicht.
Dr. Christoph Specht und Ingo Nommsen im Gespräch.
Arzt und Medizinjournalist Dr. Christoph Specht spricht in der ZDF-Sendung "Volle Kanne" über Lebendorganspenden und worauf es dabei ankommt.29.01.2019 | 4:50 min
Mediheal stand 2023 im Fokus von Untersuchungen. Der Bericht für das kenianische Gesundheitsministerium blieb bislang unveröffentlicht. Er liegt Frontal, Spiegel und Deutscher Welle vor.
Darin wird festgestellt: Es gab Hochrisiko-Transplantationen bei alten und krebskranken Patienten. Dokumente, die Spender und Empfänger unterschreiben mussten, wurden nicht übersetzt. Es habe auch keine Statistiken der Todesfälle und keine Langzeitnachsorge gegeben. Gezahlt worden sei mit Bargeld. Die Einschätzung der Kontrolleure:

Es gibt verdächtige Aktivitäten, die auf Organhandel hinweisen, aber keine ausreichenden Beweise.

Bericht für das kenianische Gesundheitsministerium

Für eine Niere 2.000 Euro?

Am Rande der kenianischen Kleinstadt Oyugis treffen wir Kevin Otieno Werie. Er behauptet, er habe im vergangenen Dezember eine seiner Nieren an einen somalischen Patienten verkauft. Vor der Operation hätten ihn Mitarbeiter des Krankenhauses Personaldokumente unterzeichnen lassen.
Angeblich, um vorzutäuschen, dass er mit dem Spender verwandt sei. "Bevor ich das Krankenhaus in Eldoret verließ, gaben sie mir die versprochenen 2.000 Euro. Als ich nach Hause kam, wartete schon eine Bande Jugendlicher auf mich und wollte mein Geld. Ich musste ihnen 800 Euro geben." Sie hätten ihn erpresst.

Sie sagten, gib uns Geld, sonst gehen wir zur Polizei. Was du getan hast, ist illegal. So haben sie mich um das Geld betrogen.

Kevin Otieno Werie

Von dem Rest baute er eine Lehmhütte, bezahlte die Mitgift für seine Frau und kaufte ein gebrauchtes Motorrad, das bald darauf kaputt ging. Bis heute habe er sich von der Nierenoperation nicht erholt.
Über einen Informanten im Krankenhaus erhalten wir die Operationsliste, auf der auch Sabine Fischer-Kuglers Name zu finden ist, sowie der ihres Spenders. Ganz offensichtlich ist er kein Verwandter, sondern ein junger Mann aus Aserbaidschan. Warum er seine Niere spendet, laut Vertrag ganz ohne Geld, wollte Fischer-Kugler lieber nicht so genau wissen.

Da bin ich jetzt vielleicht schon egoistisch, weil ich wollte halt diese Niere, und Hauptsache der Vertrag passt. Aber mir ist das klar. Ganz sauber ist das nicht.

Sabine Fischer-Kugler, Nierenpatientin

Zur Wahrheit gehört auch: Für viele Nierenpatienten geht es um Leben und Tod. Es gibt zu wenig Organspender, auch in Deutschland. Die Wartezeiten sind lang, zu lang. Davon profitieren Geschäftemacher weltweit.

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Quelle: dpa

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