Gil Ofarim vor Gericht: Schwierige Wahrheitsfindung

    Jüdischer Sänger vor Gericht:Ofarim-Prozess: Schwierige Wahrheitsfindung

    von Thomas Bärsch
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    Der jüdische Sänger schildert öffentlich einen antisemitischen Vorfall in einem Leipziger Hotel, wie er ihn erlebt haben will. Nun steht Gil Ofarim wegen Verleumdung vor Gericht.

    Als Gil Ofarim an diesem Dienstagmorgen den Leipziger Gerichtssaal betritt, trägt er fast die gleiche Kleidung, wie auf dem Video, das er im Oktober 2021 auf dem Bordstein vor einem Hotel aufnahm und das bis heute auf Instagram millionenfach geklickt wurde.
    Der jüdische Musiker stellt darin dar, dass er von einem Hotelmitarbeiter beim Check-in wissen wollte, warum Hotelgäste hinter ihm in der Schlange vorgezogen würden. Dann habe jemand gerufen, er solle seinen Stern wegstecken. Das habe ein Hotelmitarbeiter dann bestätigt und bekräftigt, dann könne er einchecken.

    Video von Ofarim löst Welle der Solidarität aus

    Das Video rief eine Welle der Solidarität hervor. Auf der Straße bei Demonstrationen und von Politikern. So bat Sachsens Wirtschaftsminister Dulig (SPD) stellvertretend um Entschuldigung für die erlittene "antisemitische Demütigung". Auch viele Medien griffen Ofarims Darstellung ungeprüft auf.

    Tweet von Martin Dulig im Oktober 2021

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    Der Sänger wirkt auf dem Video schockiert und tief betroffen, doch das war vermutlich nicht der einzige Grund für die rasende Verbreitung in den Medien. "Auch das Thema Antisemitismus ist hierfür maßgeblich", analysiert Judith Ackermann von der FH Potsdam.

    Das Ausbleiben einer Reaktion wäre hier problematisch. Insofern waren Medien schneller als bei anderen Themen zu einer Positionierung gezwungen.

    Judith Ackermann, FH Potsdam

    Beschuldigter Mitarbeiter erstattet Anzeige gegen Ofarim

    Sechs Monate später wendete sich das Blatt. Die Staatsanwaltschaft ermittelte und fand für Ofarims Darstellung keine Belege. Auf den Videoaufnahmen des Hotels ist eine Kette mit Davidstern nicht zu erkennen, und keiner der Anwesenden will die zitierte Äußerung gehört haben.
    Offenbar hatte Ofarim am Schalter sogar damit gedroht, in den sozialen Medien etwas zu posten, das dann viral gehen werde. Minuten später saß er auf dem Bordstein vor der Eingangstür und nahm das Video auf, das er am Tag darauf veröffentlichte. Das Gericht muss nun klären, was in der Lobby wirklich geschah.
    "Laut Anklageschrift hat sich Ofarim am Schalter über das Chaos in der Hotellobby beschwert und dann sei der Satz gefallen, was das denn hier für ein Scheißladen sei", berichtet Stefan Kelch vom ZDF-Studio Sachsen, der den Prozessauftakt beobachtet. "Daraufhin habe ihm der Hotelmitarbeiter das Anmeldeformular wieder weggenommen und gesagt, dass sich Ofarim ein anderes Hotel suchen müsse."

    ZDF-Rechtsexpertin Tacke: Gericht muss klären, ob Ofarim lügt

    Nun also steht Ofarim vor Gericht, wegen falscher Verdächtigung und Verleumdung des Hotelmitarbeiters. Sarah Tacke, ZDF-Rechtsexpertin, erklärt:

    Kern der Straftatbestände ist, dass jemand etwas Unwahres sagt und auch weiß, dass er etwas Unwahres sagt.

    Sarah Tacke, ZDF-Rechtsexpertin

    "Und genau darauf wird es nun im Gericht ankommen: Hat er was Unwahres behauptet und konnte er wissen, dass es falsch ist, dass er also lügt", so Tacke.
    Kaddor: "Antisemitismus ist alltäglich"
    "Wir brauchen eine schonungslose Selbstreflexion mit dem Thema", appelliert Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor (Bündnis 90/Die Grünen) zum Umgang mit Antisemitismus in Deutschland.19.10.2023 | 6:27 min

    Ofarim rückt nicht von eigener Darstellung ab

    Der Vorwurf der Lüge bedient ein klassisches antisemitisches Narrativ. "Wenn Gil Ofarim gelogen hat", fürchtet Philip Peymann Engel, der Chefredakteur der "Jüdischen Allgemeinen", "dann hat er der jüdischen Gemeinschaft einen Bärendienst erwiesen. Weil er Tür und Tor für den Einwand geöffnet hat, dass sich Juden Anfeindungen nur ausdenken, um Aufmerksamkeit zu generieren."
    Phillip Peymann Engel weiß, wovon er spricht: Der Fall wirkte offenbar wie ein Katalysator für mühsam unterdrückte Ressentiments. Kurz nachdem die ersten Zweifel an Ofarims Darstellung aufkamen, fühlten sich Deutschlands Antisemiten bestätigt und brachten die sozialen Netzwerke zum Brodeln.
    Gil Ofarim selbst rückte erst kürzlich in einem Interview keinen Millimeter von seiner Darstellung ab. Ein Urteil gegen ihn wird er nun kaum noch akzeptieren können. Sieht das Gericht für eine bewusste Falschaussage aber keine Beweise oder schenkt es Ofarim gar Glauben, dann dürfte auch das heftige Diskussionen auslösen. Zehn Verhandlungstage nimmt sich das Gericht Zeit. Ein Urteil fällt womöglich noch in diesem Jahr.

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