Bußgeld für falsche EM-Flagge?:Irrsinnige Fake News um Deutschlandfahnen
von Oliver Klein und Dina Bogdanski
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"1.000 Euro Bußgeld bei falscher Deutschland-Flagge zur EM" - solche Falschnachrichten kursieren in Sozialen Medien. Warum das Unsinn ist: ZDFheute mit einem Faktencheck.
Zwei Schwestern aus Ronneburg wollten nur ihr Haus für die EM dekorieren. Was sie nicht wussten: Ihre Deutschlandflagge mit Adler ist für den Privatgebrauch nicht erlaubt.26.06.2024 | 2:12 min
"EM 2024 in Deutschland: Fahnen sollten direkt danach entsorgt werden – Strafe droht", lautete die Schlagzeile des "Münchner Merkur". "Schwarz-rot-teuer! 1.000 Euro Bußgeld bei falscher Deutschland-Flagge zur EM" titelte die "Bild"-Zeitung. "Offenbar dürfen wir in unserem eigenen Land nicht mal mehr unsere Nationalfahne zeigen, ohne eine Strafanzeige bei der Polizei zu bekommen", heißt es in einem vielgeteilten Video bei TikTok.
Die Behauptungen haben alle eines gemeinsam: Sie stimmen nicht. ZDFheute mit einem Faktencheck.
Fall aus Hessen löst Diskussion aus
Vor allem ein Fall aus Hessen sorgte zuletzt für Aufsehen: Einer Familie wurde tatsächlich ein Bußgeld angedroht, weil sie eine falsche Flagge aufgehängt hatte. Sabrina Budinsky aus Ronneburg hatte anlässlich der Fußball-Europameisterschaft den Zaun ihres Hauses mit einer Deutschlandflagge dekoriert - schwarz-rot-gold, in der Mitte der Bundesadler. Das rief prompt das Ordnungsamt der Gemeinde auf den Plan: Die Flagge soll weg, verlangte die Behörde. Andernfalls könne das bis zu 1.000 Euro Bußgeld kosten.
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"Wir waren fassungslos", berichtet die Schwester Katrin Fleischhauer dem ZDF. Ihre Flagge würde schließlich seit 15 Jahren regelmäßig benutzt. Das Problem: Die aufgehängte Flagge mit dem Bundesadler in der Mitte sieht der sogenannten Bundesdienstflagge zum Verwechseln ähnlich. Diese Bundesdienstflagge dürfen nur offizielle Bundesstellen hissen - Privatpersonen dürfen sie nicht in der Öffentlichkeit zeigen, auch keine Flaggen, die ihr ähneln.
Quelle: picture alliance / ZB
Die Bundesdienstflagge - bestehend aus den Nationalfarben und dem Bundesadler, dem sogenannten Bundesschild - darf von Privatpersonen nicht öffentlich gezeigt werden. Nur offizielle Stellen des Bundes dürfen diese Flagge führen, also zum Beispiel der Bundestag, Ministerien, Bundesämter. Wenn Privatpersonen sich eine Bundesdienstflagge ans Haus oder ans Auto hängen, kann das eine Ordnungswidrigkeit sein und mit einer Geldbuße von bis zu 1.000 Euro belegt werden. Wichtig: Das gilt auch für Flaggen mit Bundesadler, die der Bundesdienstflagge zum Verwechseln ähnlich sehen. "Die Verwechslungsgefahr liegt dann vor, wenn bei einem unbefangenen Dritten unter Anlegung des Drei-Sekunden-Blicks der Eindruck entsteht, dass es sich um ein Dienstgebäude des Bundes oder eine amtliche Tätigkeit handelt", heißt es dazu von der Bundesregierung.
Von der strengen Regel gibt es eine Ausnahme: "In Zeiten eines Großereignisses kann die Nutzung der Bundesflagge mit dem Bundeswappen jedoch als Ausdruck der nationalen Verbundenheit als ‘sozialadäquat’ geduldet werden", schreibt die Bundesregierung. Ein Sprecher des BMI erklärte gegenüber der ZDFheute, dass davon ausgegangen wird, dass die Bürgerinnen und Bürger mit der Flagge die deutsche Nationalmannschaft unterstützen wollen und demnach "nicht missbräuchlich" verwenden. Sobald die EM vorbei ist, gelte das aber nicht mehr.
Familie bleibt Bußgeld erspart
Das wusste die Familie natürlich nicht und fragte völlig verwundert noch mal beim Ordnungsamt nach. Die Mitarbeiter der Behörde dort prüften den Fall daraufhin noch mal ganz genau, nahmen sogar Kontakt mit dem zuständigen Bundesverwaltungsamt auf.
Sie kamen zu dem Schluss: Die Flagge darf hängen bleiben, zumindest so lange die EM läuft. Zur Begründung der Ausnahme heißt es, bei "nationalen Großereignissen wie aktuell bei der Europameisterschaft" könne die Flagge "als Ausdruck der nationalen Verbundenheit" angesehen werden. Einen Bußgeldbescheid gab es vom Ordnungsamt nie.
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Flaggen-Fake-News in Sozialen Netzwerken
Trotzdem schlägt der Fall hohe Wellen, vor allem in Sozialen Netzwerken: "1.000 Euro Strafe für falsche Deutschland-Flagge - sag mir dass Du in Deutschland lebst, ohne mir zu sagen, dass Du in Deutschland lebst", regt sich ein TikTok-Nutzer auf. Sein Video wurde millionenfach gesehen und zigtausendfach geteilt. Der Mann zitiert den Artikel der "Bild"-Zeitung, die fälschlicherweise berichtet hatte, dass die Familie aus Hessen bereits einen Bußgeldbescheid erhalten habe.
In anderen Berichten wird behauptet, dass alle Fahnen nach der EM "entsorgt werden" müssten, weil sonst den Besitzern eine Geldstrafe drohe. Ein Nutzer machte einen Screenshot der entsprechenden Schlagzeile des "Münchner Merkur" und postete bei X dazu: "Clownland". Dieser Beitrag wurde fast 100.000 mal angezeigt. Ähnliche Behauptungen kursieren auch in anderen Netzwerken.
Hintergrund des "Merkur"-Artikels auch hier: Die Bundesdienstflagge oder eine ähnlich aussehende Flagge darf nicht von Privatpersonen im öffentlichen Raum genutzt werden - der Besitz ist aber erlaubt, "entsorgt werden" muss nichts.
Bereits im April machte in Sozialen Netzwerken ein weiteres, absurdes Gerücht die Runde: "Offenbar dürfen wir in unserem eigenen Land nicht mal mehr unsere Nationalfahne zeigen, ohne eine Strafanzeige bei der Polizei zu bekommen", schimpft ein TikTok-Nutzer in einem tausendfach geteilten Video. Ähnliche Clips finden sich bei Youtube, einer hat über 300.000 Aufrufe.
Die Macher beziehen sich dabei auf Postings bei X und Instagram der "Jungen Alternative Ostküste", einer Jugendorganisation der AfD. Dort wird von einer gemeinsamen Wanderung berichtet, bei der Deutschlandflaggen getragen wurden. Dabei sei es zu einem "kleinen Vorfall" gekommen: Jemand habe es "als störend" empfunden, "dass man mit den Nationalfarben wandere" und die Polizei gerufen.
Faktenchecker des Content-Netzwerks "funk" von ARD und ZDF fragten bei der Polizei Kiel nach. Aus der Antwort geht klar hervor: Nicht das Tragen der Deutschlandfahne war der Grund für den Einsatz. Anlass waren vielmehr Hinweise von Zeugen, dass aus der Gruppe heraus rechte Parolen gerufen und strafbare Gesten gezeigt worden sein sollen, schreibt die Polizei. Es seien die Personalien aufgenommen und eine Verdachtsanzeige geschrieben worden. Mit einer Deutschlandflagge spazieren zu gehen, das ist selbstverständlich nicht verboten.