Wie uns lebenswichtige Medikamente ausgehen

    Antibiotika-Engpässe:Wie uns lebenswichtige Medikamente ausgehen

    von Johannes Musial
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    Deutschland fehlen immer wieder Arzneimittel. Darunter Antibiotika, ohne die unser Gesundheitssystem nicht funktioniert. Es gibt Lösungsansätze - doch die brauchen Zeit.

    Fotomontage mit leeren Tablettenblistern, einem leeren Regal mit einer Tablettenverpackung und das grün leuchtende Die Spur-Logo.
    In Krankenhäusern und Apotheken werden Antibiotika knapp, auf die kranke Menschen und vor allem Kinder angewiesen sind.18.10.2023 | 28:51 min
    Ihre Erfindung war eine Revolution. Durch Antibiotika konnten endlich Krankheiten wie Hirnhautentzündung und Syphilis behandelt werden. Deutschland stellte lange große Mengen davon her und galt als "Apotheke der Welt".
    Heute sieht das anders aus: Es gibt Lieferprobleme und Versorgungsengpässe bei einem der wichtigsten Medikamente in Krankenhäusern und Apotheken.
    "Die optimale Behandlung, die hat man teilweise nicht mehr", sagt Dr. Friedrich Reichert. Er leitet die Kindernotaufnahme des Klinikums Stuttgart. Bei der Hälfte der Antibiotika, die sie benötigen, habe es im Rückblick auf das Jahr Warnungen gegeben. Immer wieder seien einzelne Mittel auch gar nicht verfügbar gewesen.

    Ein Hauptproblem sind da natürlich die besonders Vulnerablen, nämlich die Kinder, die auf Intensivstationen sind, die Krebserkrankungen haben, die Frühgeborenen.

    Friedrich Reichert, Klinikum Stuttgart

    Lieferengpässe bei über 500 Medikamenten

    In der Hochphase der Corona-Pandemie waren Medikamente oft knapp. Die Produktion stand teilweise still, Lieferketten waren gestört. Doch nach wie vor fehlen in Deutschland Medikamente. Ende September 2023 gab es Lieferengpässe bei 502 Medikamenten, davon 107 Antibiotika - zeigt ein Blick in die Lieferengpass-Datenbank des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte.
     Fieberthermometer, Hustensaft, Wärmflasche und eine Tasse Tee stehen auf einem Stuhl, während ein Kind im Hintergrund in einer Hängematte liegt
    Kritisch ist der Antibiotika-Engpass auch für Kinderstationen in Krankenhäusern.
    Quelle: dpa/Annette Riedl

    Die Daten belegen sogar eine drastische Entwicklung: Bereits seit zehn Jahren werden immer mehr Arzneimittel knapp.

    Wie konnte es so weit kommen?

    "Wir haben die Ökonomisierung zu weit getrieben. Also die Zitrone ist ausgequetscht", sagt Philipp Zöller. Er ist der Geschäftsführer von InfectoPharm, einem der letzten Hersteller von Kinderantibiotika in Deutschland. Seit Jahren warnt er, dass es zu einem Notstand kommen könne, wie wir ihn derzeit erleben.
    In den vergangenen Jahrzehnten ist die Antibiotika-Produktion deshalb abgewandert, vor allem nach Indien und China. Denn die meisten Antibiotika sind Generika, also Arzneimittel ohne Patentschutz. Für die gelten sogenannte Festbeträge und Rabattverträge der gesetzlichen Krankenkassen mit den Herstellern. Die Krankenkassen zahlen für diese Antibiotika mittlerweile so wenig, dass sich die Produktion in Europa kaum noch lohnt.
    Die Folge: Wir sind abhängig vom Ausland. Nicht nur das - in Indien und China produzieren Hersteller unsere Medikamente mit geringeren Standards für Arbeitende und Umwelt.

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    Wirtschaftlichkeit wichtiger als Versorgungssicherheit

    Selbst Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat erkannt:

    Wir haben die Preisschraube bei den Generika überdreht. Wir haben in vielen Bereichen unseres Gesundheitssystems die Wirtschaftlichkeits-Anreize überzogen.

    Karl Lauterbach, Bundesgesundheitsminister

    In diesem Sommer verabschiedete der Bundestag deshalb das Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG). Das beinhaltet folgende Eckpunkte:
    • Hersteller, Händler, Krankenhäuser und Apotheken müssen Vorräte von Medikamenten anlegen.
    • Die niedrigen Festbeträge bei den besonders vergriffenen Kinderarzneimitteln werden ab Februar 2024 abgeschafft.
    • Und gesetzliche Krankenkassen sollen vermehrt auf Hersteller aus Europa setzen.
    Auch die Europäische Union verhandelt derzeit über Gesetzesvorschläge, um die Medikamentenproduktion in Europa zu stärken. Im Gespräch sind unter anderem Subventionen.

    Können wir die Antibiotika-Produktion zurück nach Europa holen?

    Dass finanzielle Förderung ein möglicher Weg aus der Krise sein kann, zeigt ein Beispiel aus Österreich. In Kundl, nahe der deutschen Grenze, steht das letzte Werk Europas, das die wichtige Antibiotikagruppe der Penicilline vollumfänglich selbst herstellt - also vom Rohstoff bis zum fertigen Produkt, unabhängig von Zulieferern.
    Damit das Werk der Firma Sandoz trotz der niedrigen Verkaufspreise weiterläuft, subventioniert Österreich die Produktion insgesamt mit 50 Millionen Euro. Dafür hat sich Sandoz verpflichtet, für mindestens zehn Jahre in Europa zu produzieren.
    Dennoch sei die Herstellung ein teurer Prozess, der sich kaum lohne, so Hannes Wörner, der Geschäftsführer von Sandoz Österreich:

    So ein steriles Fläschchen Antibiotika kostet weniger als eine Dose eines Energie-Getränks. Das kann es nicht sein. Wir müssen wirklich wieder den Wert von diesen wichtigen Medikamenten kennenlernen.

    Hannes Wörner, Sandoz Österreich

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