Probleme durch Antibiotika:Wie der Darm wieder ins Gleichgewicht kommt
von Julia Tschakert
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Antibiotika versprechen schnelle Hilfe bei bakteriellen Infektionen, gehen aber häufig auf den Darm. Probiotika sollen die Beschwerden abmildern oder gar verhindern können.
Wenn Antibiotika den Darm durcheinanderbringen, sollen sie helfen: Probiotika. Was über deren Wirkung bisher bekannt ist und was nicht.23.06.2023 | 6:06 min
Wer schon mal ein Antibiotikum genommen hat, kennt das vielleicht: Nach kurzer Zeit plagen einen Übelkeit, Durchfälle oder auch Verstopfung. Das steht auch als mögliche Nebenwirkung in den meisten Beipackzetteln.
Bei manchen sind die Beschwerden so schlimm, dass sie das Antibiotikum wieder absetzen müssen. Wichtig: Diesen Schritt sollte man aber nur nach Rücksprache mit dem Arzt vornehmen, sonst drohen Antibiotika-Resistenzen.
Die Therapie mit bakterienfressenden Viren könnte eine Lösung gegen Antibiotika-Resistenzen sein. Wie die Behandlung mit Phagen bei multiresistenten Keimen funktioniert.
von Falko Schuster
mit Video
Das Mikrobiom entscheidet, wie unser Darm funktioniert
Um zu verstehen, woher die Darmprobleme kommen können, ist wichtig, zu verstehen, wie unser Darm funktioniert. Eine entscheidende Rolle spielt dabei die so genannte Darmflora, auch Mikrobiom genannt. Dahinter verbirgt sich eine Gemeinschaft von Billionen von Bakterien, die in unserem Darm leben.
Das Mikrobiom steht mit der Darmschleimhaut und unserem Körper in einem sensiblen Gleichgewicht. Dies kann durch Antibiotika-Gaben empfindlich gestört oder gar geschädigt werden. Das kann mitunter lebensgefährlich werden.
29.08.2022 | 0:43 min
Schätzungen zufolge leben insgesamt 30 bis 100 Billionen Mikroben in unserem Darm. Bei jedem Menschen ist die Zusammensetzung anders. Rund 1.000 Bakterien-Arten wurden bisher identifiziert. Bei etwa der Hälfte von ihnen ist nicht klar, welche Aufgabe sie haben und wie sie mit den anderen Bakterien interagieren. Auch was sie letztlich im Körper bewirken, ist weitgehend unklar. Ebenso, welche Auswirkungen ein gestörtes Gleichgewicht der Darmflora auf den gesamten Körper und seinen Stoffwechsel haben kann.
Längst steht aber fest: All diese Bakterien sind nicht "nur" für die Verdauung zuständig, sondern beeinflussen auch das Immunsystem. Über Nervenbahnen können sie außerdem sogar mit unserem Gehirn kommunizieren. Neuere Forschungen zeigen zum Beispiel auch, dass sie mit der Leber in Verbindung stehen und beim Abbau von Schadstoffen helfen. Anscheinend gilt: Je größer die natürliche Bakterien-Vielfalt in unserem Darm, desto gesünder der Mensch.
Probiotika: Hilfe für die Darmflora?
Seit einigen Jahren sind so genannte Probiotika auf dem Markt. Das sind Zubereitungen, die lebensfähige Mikroorganismen enthalten. Einige Hersteller werben damit, dass diese Darm-Probleme verhindern können, wenn sie während der Antibiotika-Einnahme genommen werden. Nach einer Antibiotika-Therapie sollen sie helfen, die Darmflora wieder aufzubauen.
Probiotika sind Zubereitungen, die lebensfähige Mikroorganismen enthalten. Es gibt sie in Pulver- oder Kapselform. Manche Präparate enthalten mehr als einen Bakterienstamm, häufig jeweils mit Milliarden Keimen, das sind so genannte Multi-Spezies-Präparate. Probiotika gibt es in der Apotheke und auch in der Drogerie. Die meisten Produkte gelten als Nahrungsergänzungsmittel und werden nicht von den Krankenkassen bezahlt.
Probiotische Produkte werden auch im Supermarkt angeboten, als Joghurts oder Drinks. Im Unterschied zu den meisten Produkten aus der Apotheke müssen deren Keime vor Einnahme nicht erst "aktiviert", also quasi zum Leben erweckt werden. Ob probiotische Joghurt-Produkte und Drinks deshalb weniger gut wirken, ist nicht eindeutig geklärt.
Ausprobieren, welches Probiotika-Präparat passt
Birgit Terjung, Gastroenterologin an den GFO-Kliniken in Bonn, setzt probiotische Produkte bei Patienten und Patientinnen über 65 Jahren mit Begleiterkrankungen ein. Gerade bei älteren Menschen sei die Darmflora sensibler und soll so unterstützt werden. Terjung gibt am zweiten oder dritten Tage nach der ersten Antibiotikum-Gabe ein Probiotikum und setzt die Gabe auch nach abgeschlossener Antibiotikum-Therapie über vier bis fünf Tage fort.
… ist Internistin, Gastroenterologin und Ernährungsmedizinerin und leitet als Chefärztin die Abteilung für Innere Medizin - Gastroenterologie an den GFO Kliniken Bonn. Sie beschäftigt sich besonders intensiv mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa, der Refluxkrankheit und dem Reizdarmsyndrom. Sie ist Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) und wirkt dort seit 2022 als Mediensprecherin.
Welches Produkt für wen geeignet ist, könne man nicht sagen, da die Stuhlzusammensetzung des Einzelnen nicht bekannt sei, so die Gastroenterologin. Deshalb nutze sie vorwiegend Probiotika-Präparate, die viele verschiedene Keime in einer hohen Dosierung enthalten.
In den meisten Fällen hat Birgit Terjung damit gute Erfahrungen gemacht, auch wenn diese bis heute noch nicht wissenschaftlich untermauert seien.
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Manche Bakterien kommen abhanden
Von rund 1.000 angenommenen Bakterien-Arten im Darm kann der Mikrobiomforscher Peer Bork mit seinen Methoden 200 bis 300 pro Person sichtbar machen. Und er kann sehen, wie sich die Darmflora nach der Gabe von Antibiotika verändert.
… ist einer der führenden Mikrobiomforscher in Deutschland. Der Direktor des Standortes Heidelberg des Europäischen Labors für Molekularbiologie (EMBL) ist Bioinformatiker und hat etliche Stuhlproben aus aller Welt analysieren und sequenzieren lassen.
Einige der Bakterien hätten Resistenzen gegen bestimmte Antibiotika gezeigt, so Bork. Wenn ein Bakterium resistent sei, bleibe es bestehen, während alle anderen durch das Antibiotikum zerstört oder zumindest stark reduziert würden.
Forscher: Probiotika im Durchschnitt "gut" für Darmflora
Wie sich die Darmflora am besten wieder aufbauen lässt und ob dies überhaupt möglich ist, dazu gibt es sehr unterschiedliche Meinungen. Zwar geht Bork davon aus, dass Probiotika im Durchschnitt "gut" sein können. Ob sie dann tatsächlich zum Mikrobiom des Einzelnen passen, sei jedoch unklar.
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Bei Analysen der Darmflora ist Vorsicht geboten
Im Internet werden zahlreiche Stuhltests und -analysen der Darmflora angeboten, doch hier raten Expertin und Experte zur Vorsicht: Die Tests könnten immer nur eine kleine Portion des Stuhlgangs untersuchen und nie dessen Gesamtheit abbilden:
Peer Bork zufolge ist eine zuverlässige Interpretation des individuellen Mikrobioms noch Zukunftsmusik.
So bleibt das Prinzip Versuch und Irrtum. Man kann also Probiotika zu sich nehmen und hoffen, dass die Zusammensetzung der enthaltenen Bakterien zur eigenen Darmflora passt. Dabei kann sein, dass eine bestimmte Person mehr oder weniger der Bakterien benötigt, also die Dosierung nicht richtig ist, und in einigen Fällen sogar negative Auswirkungen die Folge sind.
Eine andere Möglichkeit, die Darmflora günstig zu beeinflussen, ist eine bewusste Ernährung. So wird etwa Präbiotika eine gesundheitsfördernde Wirkung auf den Darm zugeschrieben. So bezeichnet man Ballaststoffe wie z.B. Inulin und Oligofruktose, die nicht vom Körper verdaut werden.
Sie sind wasserlöslich und natürlicherweise z.B. in Chicorée, Zwiebeln, Knoblauch, Topinambur, Bananen und Schwarzwurzeln enthalten. Auch Flohsamen sollen eine gesunde Darmflora unterstützen, ebenso wie eine mediterrane Kost. Eine Studie zeigt zudem, dass fermentierte Lebensmittel, wie Sauerkraut und Kimchi, gut für die Gesundheit sind, indem sie die Vielfalt der Darmflora erhöhen.
Was tatsächlich "gesund" ist in Sachen Ernährung und ob die Erkenntnisse jeweils auf den Einzelnen übertragbar sind, dazu gibt es unterschiedliche Meinungen. Das liegt nicht zuletzt auch daran, dass sich Ernährung nur sehr schwer als standardisierter Faktor untersuchen lässt.
Julia Tschakert ist Redakteurin der ZDF-Sendung "Volle Kanne - Service täglich".