Die Fernsehratssitzung vom 2. Juli 2021 dürfte als eine der spannendsten ihrer Art in die Geschichte eingehen. Ein offenes Rennen um die Nachfolge von ZDF-Intendant Thomas Bellut, der im Vorfeld angekündigt hatte, im kommenden Jahr keine weitere Amtszeit anzustreben. Zwei überzeugende Präsentationen von zwei hochqualifizierten Bewerbern, drei Wahlgänge – die Fernsehratsmitglieder nutzten die Gelegenheit, die Kandidatin und den Kandidaten ausführlich, kritisch und gleichzeitig wertschätzend zu befragen.
Zunächst erläuterte Tina Hassel, Leiterin des ARD-Hauptstadtstudios, ihre Vorstellungen von der Zukunft des ZDF. Ihre Ausführungen standen unter dem Motto „Raum für das Wir“. Sie betonte, es gelte nicht nur, den Lifestyle der Metropolen abzubilden, vielmehr müsse ein moderner Heimatbegriff ausgefüllt werden. Das ZDF müsse künftig Sender, Empfänger und vor allem Dialogplattform sein. Formatsprengende Programme sollten wichtige gesellschaftliche Themen behandeln und als „Aufmerksamkeitsraketen“ wirken.
Im digitalen Bereich formulierte sie den Anspruch, ZDFheute zu einer der führenden deutschen Nachrichtenplattformen zu entwickeln. Insgesamt müsse das ZDF als Marken-Kosmos auf allen digitalen Plattformen zu Hause sein. Man brauche eine europäische Plattform als Gegengewicht zu den internationalen Anbietern.
In der anschließenden Fragerunde betonte sie, dass die Marke ZDF auch in vernetzten Mediatheken mit den ARD-Anstalten (Streamingnetzwerk) bestehen bleiben müsse.
Norbert Himmler, derzeit Programmdirektor des ZDF, führte in seiner Präsentation die bisherigen Erfolge des ZDF in Sachen Relevanz, Reichweite und Glaubwürdigkeit an. Das Haus stehe gut da, müsse sich aber in disruptiven Zeiten weiterentwickeln. Ziel sei es, die Akzeptanz in der Gesellschaft zu stärken. Er versprach, die Vielfalt im Programm sichtbar und messbar zu stärken und ein Konsultationsprogramm nach BBC-Vorbild aufzulegen.
Im digitalen Bereich kündigte er eine „Innovationsquote von 20 Prozent“ an. Internationale Partnerschaften sollen helfen, den übermächtigen Global Playern zu begegnen. Auch die Zusammenarbeit mit der ARD und dem Deutschlandradio wolle er ausbauen. Insgesamt müsse das ZDF der erste Partner für die Kreativen in Deutschland sein. In Sachen Mediathek setze er auf eine technische Partnerschaft mit der ARD, bei der beide Partner ihr eigenständiges Gesicht behalten sollten.
Auf Nachfrage erklärte Norbert Himmler, in der Geschäftsführung mehr Frauen besetzen zu wollen. Bei der Nachrichtenkompetenz gelte es, das Profil weiter zu schärfen. Zudem wolle er den investigativen Journalismus und die Wirtschaftsberichterstattung stärken.
Entscheidung in drei Wahlgängen
Im ersten Wahlgang erreichte Norbert Himmler 34 Stimmen und verpasste das nötige Drei-Fünftel-Quorum im 60-köpfigen Fernsehrat um zwei Stimmen. Auf Tina Hassel entfielen 24 Stimmen, zwei Fernsehräte enthielten sich. Der zweite Wahlgang fiel mit 32:28 Stimmen für Norbert Himmler knapper aus.
Nach einer Beratungspause trat Tina Hassel ans Mikrofon. Sie erklärte, dass beide Kandidaten das gleiche Ziel eine: ein starker, moderner, krisenfester öffentlich-rechtlicher Rundfunk. In diesem Sinne wolle sie, dass aus einer kleinen Mehrheit eine große Mehrheit werde, und ziehe ihre Bewerbung zurück. Unter dem Applaus der Fernsehräte betonte sie, dass eine Wahl mit echten Alternativen die „Krone der Demokratie” sei und sie „sehr erhobenen Hauptes hier vom Hofe reite“. Die Fernsehratsvorsitzende, Marlehn Thieme, zollte ihr „Respekt und auch ganz persönlich größte Wertschätzung“. Thieme betont, dass sich das Gremium geehrt gefühlt habe, mit den Kandidaten um die besten Konzepte gerungen zu haben. Im anschließenden dritten Wahlgang erhielt Norbert Himmler 57 der 60 Stimmen, bei zwei Enthaltungen und einer Gegenstimme.
Vielfalt und Barrierefreiheit als weiteres Thema
Neben der Wahl beriet der Fernsehrat u. a. das Thema Barrierefreiheit. Die barrierefreien Angebote im linearen Fernsehen und in der ZDFmediathek werden kontinuierlich ausgebaut. Bereits heute (1. Quartal 2021) sind 91,7 Prozent der ZDF-Programme zwischen 5:30 Uhr und Mitternacht mit Untertiteln versehen. In der ZDFmediathek lassen sich alle wesentlichen Nachrichten- und Informationssendungen mit Untertiteln und in Deutscher Gebärdensprache (DGS) abrufen. Bei der Audiodeskription liegt der Anteil im ZDF-Hauptprogramm im ersten Quartal 2021 bei 20,4 Prozent. Für die barrierefreien Angebote in der ZDFmediathek erprobt das ZDF vermehrt den Einsatz künstlicher Intelligenz.
Auch die Vorlage zur Vielfalt im ZDF passierte den Fernsehrat. Hierin gibt sich das ZDF das Ziel, Vielfalt als gesellschaftliche Realität im Programm und dem Unternehmen abzubilden. In der Fiktion werden bereits heute vielfältige Lebenswelten gespiegelt. Auch non-fiktionale Formate treten Stereotypen entgegen und zeigen diverse Realität. In Talk- und Dialogformaten ist das ZDF ein Ort für gesellschaftliche Debatten und unterschiedlicher Meinungen; bei der Auswahl von Protagonistinnen und Protagonisten sowie von Expertinnen und Experten wird auf Diversität geachtet. Es gibt zudem eine Unternehmens-Charta für Vielfalt, Inklusion und Chancengleichheit und eine bereichsübergreifende Arbeitsgruppe Diversity.
Daneben beschäftigte sich der Fernsehrat u. a. mit den Telemedienangeboten von ZDF, 3sat und phoenix, den Kooperationen im Programmbereich im Jahr 2020 und dem Stand und der Entwicklung von KiKA sowie mit diversen Programmbeschwerden. Das nächste Mal tritt der Fernsehrat am 1. Oktober zusammen.