Bei der Berichterstattung zu Nachhaltigkeitsthemen im ZDF würdigt Fernsehrats-Mitglied Ulrich Lilie, dass komplexe Phänomene in den allermeisten Beiträgen ernst genommen und verständlich dargestellt würden. Bei der Darstellung von Klima-Themen mahnt der Präsident der Diakonie Deutschland an, „die gesamte Palette der Formate zu nutzen, um unterschiedliche Zielgruppen auf die Dringlichkeit, aber auch auf die Chancen zur Bewältigung dieser globalen Menschheitsherausforderung aufmerksam zu machen“. Mit Blick auf Talkshows wünscht er sich eine stärkere Präsenz der jungen Generation. „Sie gehören in die Diskussionen mit Firmenchefs, etwa aus der Autobranche oder der Landwirtschaft, und in die Gespräche mit Politikerinnen und Politikern.“
#Fernsehrat: Viele Forscher*innen fordern in der Klimafrage vehement schnelles Handeln. Wie schätzen Sie die Berichterstattung des ZDF zur Umwelt- und Klimapolitik ein?
Ulrich Lilie: Ich lerne bei der differenzierten Berichterstattung, die von einer klaren Haltung zu den globalen Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs) und der Dringlichkeit der Fragen geprägt ist, oft etwas hinzu. Komplexe Phänomene werden in den allermeisten Beiträgen ernst genommen und verständlich dargestellt. Dabei scheint mir der Grundsatz, „Haltung ist gut, eine von Fakten gestützte Debatte ist besser“, immer wichtiger zu werden. Denn wir haben es in der Klimadebatte mit vielen Interessen zu tun, und leider auch mit Stimmen, die Fakten leugnen. Das schließt emotionale Beiträge nicht aus, welche die Schönheit der bedrohten Natur oder die drastischen Folgen für von Hunger bedrohte Menschen zeigen.
#Fernsehrat: Welche Formate sind aus Ihrer Sicht besonders geeignet, um den Zuschauer*innen Informationen und Hintergründe zur Umwelt - und Klimapolitik zu vermitteln?
Lilie: Es gilt, die gesamte Palette der Formate zu nutzen, um unterschiedliche Zielgruppen auf die Dringlichkeit, aber auch auf die Chancen zur Bewältigung dieser globalen Menschheitsherausforderung aufmerksam zu machen. Der Klimawandel verdeutlicht ja wie kein anderes Phänomen, wie eng wir miteinander und mit der Natur verknüpft sind. Deshalb tragen wir immer auch eine Verantwortung insbesondere für die Länder im Süden, in denen die Menschen und die Natur besonders unter den Folgen leiden und die nicht unsere technischen Ressourcen haben. Vom Wetterbericht bis zum „Bergdoktor“, von den digitalen Formaten bis zu den großen Reportagen zur besten Sendezeit: Alle diese Formate können helfen, den Klimawandel und seine dramatischen Auswirkungen auf die vom Menschen bedrohte Schöpfung zu veranschaulichen.
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#Fernsehrat: Umwelt- und Klimapolitik spielt nicht zuletzt bei jungen Zielgruppen eine herausragende Rolle. Wie und über welche Kanäle soll das ZDF darauf reagieren?
Lilie: Unsere vier Kinder, junge Erwachsene zwischen 21 und 27 Jahren, schauen kaum noch das klassische Fernsehen. Sie stellen sich wie die allermeisten ihr persönliches Programm im Netz zusammen. Gefragt sind also zunächst alle attraktiven digitalen Formate. Aber es geht auch um eine stärkere Beteiligung von jungen Zuschauergruppen am öffentlichen Diskurs - denn der dreht sich um ihre Zukunft! Ich möchte mehr VertreterInnen dieser Generation in Talkshows und politischen Sendungen sehen. Sie gehören in die Diskussionen mit Firmenchefs, etwa aus der Autobranche oder der Landwirtschaft, und in die Gespräche mit Politikerinnen und Politikern. Außerdem geht es um gute Beispiele, um kreative Lösungen, die junge Zuschauer motivieren, selbst etwas gegen den Klimawandel zu tun und die eigenen Konsum - und Lebensgewohnheiten zu verändern. Es wäre fatal, wenn wir nach Corona wieder in den alten gefährlichen Wahrnehmungstunnel zurückkehren, in dem wir schon viel zu lange leben. Denn der Klimawandel zeigt nicht nur eindrücklich, wie vernetzt wir sind, sondern auch, dass wir Lösungen nicht aufschieben können.
#Fernsehrat: Umwelt - und Klimapolitik werden in der Gesellschaft zum Teil sehr kontrovers diskutiert. Wie soll das ZDF diese Debatte führen?
Lilie: Der Klimawandel ist ein komplexes Thema mit Folgen für alle Lebensbereiche - auch für die globalisierte Wirtschaft mit ihren schier endlosen Lieferketten und für die Arbeitsmärkte. Die sich aus dem Klimawandel ergebenden Veränderungsprozesse können schnell Ängste auslösen. Hier kommt man mit unterkomplexen Antworten nicht weiter. Gerade in Zeiten von Fake-News braucht es den Mut zum gesamten Bild, das immer differenzierter ist, als es zunächst erscheint. Und wir dürfen nicht in die „Relotius“-Falle tappen: Der hat einem breiten Publikum einschließlich seiner eigenen Redaktion so gut gefallen, weil er das geschrieben hat, was die Leute gerne lesen wollten. Das darf uns bei diesem Thema nicht passieren. Darum noch einmal: Haltung ist gut, wissenschaftliche und kritisch recherchierte Faktenkontrolle ist noch besser. Denn nur, wenn die Komplexität des Klimawandels angemessen mit reflektiert wird, wirkt die Debatte überzeugend.
Zur Person: Ulrich Lilie (geboren 1957) ist seit 2014 Präsident der Diakonie Deutschland, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Evangelischen Werkes für Diakonie und Entwicklung und seit 2018 Vizepräsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege.
2011 bis 2014 war Lilie Theologischer Vorstand der Graf Recke Stiftung Düsseldorf. Der studierte Theologe wurde 1989 zum Pfarrer ordiniert und arbeitete unter anderem als Krankenhausseelsorger und Gemeindepfarrer mit dem Zusatzauftrag der Leitung und Seelsorge im Hospiz am Evangelischen Krankenhaus Düsseldorf. 2007 bis 2011 hatte er das Amt des Superintendenten des Evangelischen Kirchenkreises Düsseldorf inne. Ulrich Lilie lebt mit seiner Familie in Berlin.