Die VW-Mitarbeiter waren fassungslos, als sie bei internen Nachprüfungen im Oktober 2015 feststellten: Ein VW nach dem anderen hält die CO2-Katalogwerte, also Verbrauchsangaben, nicht ein. In internen VW-Unterlagen, die dem ZDF vorliegen, heißt es: "Es gibt … keinen nachvollziehbaren Weg, die einmal festgestellten Werte zu reproduzieren … selbst bei weiter Interpretation der legalen Handlungsspielräume." Für die Diskrepanzen fand VW "keine akzeptable Erklärung." Hatte VW bei der Typzulassung massenhaft manipuliert, damit die Verbrauchsangaben für den Kunden günstiger aussehen?
VW drohte finanzielles Fiasko
Der prognostizierte Schaden für VW war immens. Denn höhere CO2-Verbräuche führen zu höheren Kfz-Steuern und für Nachzahlungen hätte letztlich VW geradestehen müssen. Der Konzern rechnete mit einem Schaden von zwei Milliarden Euro und musste den Sachverhalt publik machen. Doch dann einen Monat später die Kehrtwende. Statt 130 Autos sollten plötzlich nur noch neun Autos verdächtige Werte haben. Eine plausible Erklärung, warum bei den 121 anderen Modellen auf einmal alles stimmen soll, lieferte VW nicht. In einem Gutachten der VW-Rechtsanwälte, das dem ZDF vorliegt, riet die Kanzlei Freshfields: Es sei nicht auszuschließen, dass Gerichte das Verhalten von Volkswagen als rechtswidrig einstufen könnten. Daher sei mit dem Kraftfahrt-Bundesamt "möglichst Einvernehmen herzustellen“.
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Dieses "Einvernehmen“ wurde hergestellt - und zwar für VW überaus günstig, wie Frontal 21 recherchierte. Der Konzern durfte den technischen Dienst für Nachmessungen selbst beauftragen. Das Kraftfahrt-Bundesamt bekam nur diejenigen Messergebnisse, die VW genehm waren. Und mehr noch: VW erreichte, dass weitere Nachprüfungen mit einem eigenen VW-Fahrer als Prüfperson durchgeführt wurden. Auch darin willigte das Kraftfahrt-Bundesamt ein und ließ VW sich damit selbst kontrollieren. Im April 2016 kamen dann noch einmal die Anwälte von VW ins Spiel, die mit rechnerischen Modellen angeblich belegten, dass fast alle CO2-Werte zutreffend wären. Es verblieben lediglich geringe Abweichungen bei sechs Fahrzeugmodellen. Doch auch für diese Modelle musste VW keine Steuern nachbezahlen. Der Autokonzern ließ sich einen weiteren Trick einfallen. Die sechs betroffenen Modelle bekamen neue Modellvarianten. Das heißt, die gleichen Autos wurden einfach in andere Modelle umgetauft. Höhere Steuern hätte damit nicht VW, sondern nur die Käufer von Neuwagen gezahlt.
Aufsichtsbehörden sorgen sich um wirtschaftlichen Schaden
Der Staatsrechtler Professor Joachim Wieland hält dieses Ergebnis für nicht vertretbar. Gegenüber Frontal 21 sagte er, die rechtsstaatlichen Vorgaben würden hier für eine Rückzahlungspflicht von VW sprechen. VW hingegen erklärt, man sehe keinen Anlass für Steuerrückzahlungen. Das Bundesministerium verweist auf das Steuergeheimnis. Das Bundesverkehrsministerium und das Kraftfahrt-Bundesamt beantworten diese und andere Fragen zu VW erst gar nicht. Die Behörden schweigen und lassen Volkswagen gewähren.
Denn offenbar sorgte sich das Kraftfahrt-Bundesamt um die Finanzinteressen des Automobilherstellers. Dies offenbart ein geheimes Dokument aus dem Kraftfahrt-Bundesamt vom 28. Januar 2016. Darin heißt es: Für ein Vorgehen gegen VW spreche zwar, dass "die ermittelten Werte schon im Typen-Genehmigungsverfahren nicht gestimmt haben" und "eigentlich die neu ermittelten Werte hätten angegeben werden müssen“. Dagegen spreche aber "der wirtschaftliche Schaden von VW“, also die drohende Steuerrückzahlung. So entschied sich die Behörde gegen die Rechtslage und für die wirtschaftlichen Interessen von VW. Das erklärt dann auch, warum im April 2016 VW-Chef Matthias Müller die Frage, ob denn Manipulationen stattgefunden hätten, wie folgt beantwortete: "Gott sei Dank hat sich das durch eine intensive Überprüfung und Zusammenarbeit mit dem Kraftfahrt-Bundesamt nicht bewahrheitet."
Wahrheitsfindung durch Zusammenarbeit. Im Falle von VW und Behörden bedeutet dies: VW gibt den Sachverhalt vor, die Behörden nicken ab.